Wohnen „in rund“

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Günstiges, autarkes und naturverbundenes Leben in einer Jurte ist im Prinzip auch hier zu Lande machbar. Die rechtliche Lage ist allerdings ein wenig knifflig. Als Garten-Atelier, Behandlungs- oder Seminarraum verfehlt die Jurte ihre Wirkung jedenfalls nicht.

Längst schon hat sie ihren Fixplatz unter den Glamping-Unterkünften. Und auch findige Airbnb-Vermieter haben die „runden vier Wände” als originelle Wohn-Attraktion für Touristen entdeckt. Die Rede ist von der Jurte.

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Und wer in der Mongolei im Urlaub in einem „Ger“, wie die tragbare Wohnstätte dort korrekterweise heißt, übernachtet hat, ist wohl ohnehin ziemlich aus dem Häuschen gewesen. Das Rund hat seinen Charme, dem fast jeder, der zumindest einige Stunden darin verbracht hat, erliegt.

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Diese „tiny homes“ locken zudem mit dem Versprechen der Freiheit. Denn – anders als ein Baumhaus (von dem ebenfalls viele Menschen träumen, wie der Siegeszug der vielen buchbaren Baumhaus-Hotels verrät) – ist die Jurte mobil. Selbst eine größere Jurte lässt sich an einem Tag zumindest abbauen, bekräftigen Jurtenbauer.

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Das „kreisrunde Wohnen und Leben”

Jurten decken zudem die Sehnsucht nachEinfachheit und Minimalismus ab. Und durchaus nicht nur jungeMenschen streben nach „Autofasten”, nach neuer Bescheidenheitoder dem Leben auf kleinstem Raum.„In einem Zirkuswagen oder einer Jurte ergibt sich das von selbst – man hat ja nicht viel Platz“, sagt Christian Schinke von www.transportable-raeume.de, der mit Frau und zwei kleinen Söhnen auf 20 Quadratmetern das Auslangen findet. Mit seinem Kompagnon Michael Herzog baut und renoviert er bewohnbare Zirkuswägen oder Jurten. Das Grundstück ist von mehreren Familien bewohnt, die Jurte dient als Gemeinschaftsraum.

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Das Runde, Kuppelförmige vermittelt eine heimelige bis domartige Atmosphäre, von der man automatisch irgendwie ergriffen ist. „Natürlich sind Jurten aufgrund ihrer Bauweise schwerer einzurichten. An das offenere Wohnen muss man sich gewöhnen, da es nicht so einfach ist, Zimmer abzuteilen”, so Schinke.

Menschen, die in einer Jurte als völlig autarke Wohneinheit in Österreich leben, sind daher noch eine seltene Spezies, weiß Claudius Kern, der sich schon sehr lange mit dem Thema beschäftigt und regelmäßig Jurtenbau-Workshops abhält. Die meisten Jurten würden als Seminarraum oder Wald- und Alternativschule bis hin zum Gästezimmer oder – wie eingangs erwähnt – als touristische Beherbergung genutzt.

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Anpassung für unsere Breitengrade nötig

Jurten, wie man sie aus der Mongolei oder Kirgisistan kennt, müssen an die Gegebenheiten unserer Breitengrade angepasst werden. „Sie eignen sich nicht für unser Klima. Importierte Jurten laufen meistens ab dem dritten Jahr Gefahr zu schimmeln. Zudem ist Filz ein schlechter Dämmstoff. In den Herkunftsländern gibt es eben nichts anderes als Tierhaare, Seile und Holzstangen”, erklärt Kern.

Den Grundgedanken könne man zwar beibehalten; Kern habe jedoch mit den Jahren seine Bauweise verfeinert, sodass seine Gers von der herkömmlichen Behausung abweichen. Was natürlich auch mit verbesserten Technologien sowie unserem Lebensstandard zu tun hat.

„Jom”: Wohnraum als Kraftort

Kern verwendet nicht einmal mehr die traditionellen Scherengitter sondern Hartfaserplatten oder Sperrholz als Wände und favorisiert eine Mischung aus Jurte und Dom („Jom”), die seiner Philosophie für die Alchemie des Bauens und Wohnens wohl am Nächsten kommt.

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Komfort inklusive

Bei aller Romantik muss bei den Jurten westlichen Zuschnitts auf Komfort ganz und gar nicht verzichtet werden: Sie können mit allem ausgestattet werden, was in ortsfesten Wohnungen und Häusern zu finden ist: Sanitärräume, Küche, Heizsystem (zum Beispiel Heizen mit Holz oder Infrarot-Paneele). Sie sind daher ganzjährig bewohnbar und man ist dennoch mobil – wobei Kern kein Wasser-Klosett propagiert.Kern: „Eine solche Jurte kann innerhalb einer Woche aufgebaut und innerhalb eines Tages wieder abgebaut werden. Standardvarianten plus ein wenig Inventar und ein bis zu zwölf Zentimeter dickes Schafwollvlies als Dämmung finden auf einem einfachen PKW-Anhänger Platz.” Geheizt werden muss im Winter zwar wenig, aber kontinuierlich, denn die verwendeten Materialien wie Schaf- oder Holzwolle oder Hanf dämmen gut – es wird schnell warm, sie speichern aber keine Wärme.

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Stroh als Dämmung

Einziges Minus, so Schinke: Jurten sind schwach, was die Schalldämmung betrifft. Stroh allerdings sei nicht nur günstig, sondern biete auch den besten Schallschutz, ist Jurten-Bauer Gerd Kerschbaumer (www.rundesleben.at) überzeugt. Mittels Excel-Programm lässt sich auf Knopfdruck jede sinnvolle Dom- oder Jurtengröße in gewünschter Festigkeit planen. Eine hochmobile Wohn-Jurte sei genauso gut isoliert und beheizbar wie eine robustere, ortsfeste Jurte. Weitere Themen der Jurtenbau-Workshops sind Wasserautarkie (durch Innen-Grünraum-Gestaltung soll direktes Wasserrecycling erzielt werden), im Innenraum benutzbare „Terra-Preta-Klos”, Energie-Autarkie (etwa durch Solarpower), Alternativen für Heizung, Kochen sowie dezentrale, eigene Stromversorgung, zugleich Holzkohlegewinnung für Terra-Preta (Anmerkung: besonders fruchtbare Erde).

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Ab 150 Euro den Quadratmeter

Für eine Jurte mit sieben Metern Durchmesser muss man bei Schinke mit etwa 24.000 Euro Kosten rechnen. Die Herstellung sei laut Kern einfach und auch für Laien möglich. Wer mehr selbst macht, kann den Preis auf 150 bis 200 Euro je Quadratmeter drosseln. Der erstmalige Eigenbau nehme für fünf bis acht Meter Durchmesser etwa einen Monat in Anspruch (wenn eine helfende Hand dabei ist).

Die Fläche lasse sich – wenn der Platzbedarf steigt – ringförmig erweitern. Theoretisch ließe sich eine Wohn-Jurte mit 250 Quadratmetern Fläche erschaffen: Im Mittelteil eine Fläche von zwei Mal acht Metern Durchmesser übereinander, drumherum ein Außenring von vier Metern Breite. „Wenn man gut baut, ist eine Jurte sehr lange haltbar“, meint Kern. Lediglich die Außenhaut (wasserfester Markisenstoff) müsse alle 20 bis 30 Jahre erneuert werden, wobei Kerschbaumer atmungsaktives Goretex nimmt.

Was sagt die Bauordnung?

Rasch wird der Traum von denleistbaren eigenen runden Wänden geträumt. Ein Baugrund ist je nachLage erschwinglich. Kommen bloß noch die Aufschließungskosten hinzu… und schon kann man günstig wohnen. Oder doch nicht? DieBauordnung (und derer hat Österreich viele) schiebt dem ein wenigden Riegel vor. „In den Gesetzen ist derartiges Wohnen (noch) nichtberücksichtigt, deshalb tun sich die Behörden schwer“, zeigtSchinke Verständnis.

Wohnzimmer im Grünen

Letztendlich könne man nur in Kontakt mit der Gemeinde herausfinden, was gilt, meint Kerschbaumer, für den die Idee des autarken Lebens im Runden „zu romantisch verklärt ist. Das ist in unseren Breitengraden einfach nicht ideal”. Als Wohnzimmer in Grünen, Garten-Atelier, Therapie- oder Seminarraum und dergleichen mehr allerdings erlebe man „im Bauch der Jurte” so manches Wunder ...

Text: Linda Benkö

Fotos: gettyimages, Claudius Kern, Linda Benkö

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