Ab durch die Hecke

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In einem chaotischen Eck der japanischen Präfektur Aichi sorgt das Studio Velocity mit einem hinter hohen Hecken versteckten und dadurch nahezu unsichtbaren jedoch wohnlichen Wintergarten für Aufsehen.

In einem chaotischen Eck der japanischen Präfektur Aichi sorgt das Studio Velocity mit einem hinter hohen Hecken versteckten und dadurch nahezu unsichtbaren jedoch wohnlichen Wintergarten für Aufsehen.

Jetzt, wo das Haus fertig ist, kann man sagen: Insel der Seligen. Bevor jedoch die beiden japanischen Architekten Miho Iwatsuki und Kentaro Kunhura ins Spiel kamen, hätte man wohl eher andere und wenig schmeichelhaftere Phrasen für das freie Fleckchen Land gefunden. Sinnlose Schutthalde, vielleicht. Denn: Der besagte Baugrund befindet sich in einer eher tristen Gegend der japanischen Präfektur Aichi. Umringt von Industrie und architektonisch wenig interessanten Objekten, ist er zudem von Straßen diagonal angeschnitten. Daraus ergibt sich zu allem Überdruss eine asymmetrische Form, die jegliches Bauvorhaben weiter verkompliziert.

Architektonisches Gustostückerl?

Genau nach dem Geschmack des für seine Kreativität bekannten Architekten-Duos. So fanden die beiden Gründer des Studio Velocity tatsächlich auch diesmal einen Weg, um auf das wenig spannend wirkende Stück Land ein architektonisches Gustostückerl zu pflanzen. Womit wir schon beim Dreh- und Angelpunkt ihres Konzepts angelangt wären. Den Pflanzen.

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Idyllische Lage? Definitiv nicht. Deshalb waren die Architekten …

 

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… bei diesem Wohnhausprojekt in Japan besonders gefordert!

Konkret gingen die Architekten von einer bereits bestehenden Hecke aus, die das Areal umrahmte. Sie bildete den Ausgangspunkt für einen ersten wesentlichen Entschluss: Das Wohnhaus sollte nicht auf mehreren Etagen Lebensraum bieten, sondern in vielen kleineren Wohneinheiten zu ebener Erde.

Blick hinter die Hecke

„So übernehmen heute die Hecken die Funktion eines Sichtschutzes, die normalerweise von einer Außenwand kommt“, erklären Iwatsuki und Kunhura. Das wiederum schuf eine weitere ungeahnte Möglichkeit. Nachdem der natürliche Sichtschutz der Hecken gezielt genutzt wurde, konnte man fast die gesamte äußere Hülle des Gebäudes verglasen! Nur die notwendigsten Elemente wurden als weiße Wände realisiert.

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Als Tragwerk dienen Holzbalken, auf denen die Dächer aufliegen. In unterschiedliche Richtungen geneigt, fügt sich der Bau dadurch natürlich in seine Umgebung ein. Und auch im Inneren erzielten die Architekten durch die schrägen Decken mit zum Teil ungewöhnliche Höhen eine Verbindung mit dem Umraum: „Hecken und Kernwände sorgen für Privatsphäre, erlauben aber auch die Aussicht bis unterhalb des Daches, wodurch die Präsenz des Gebäudes reduziert wird.“

Wintergarten der Superlative

Generell wirkt das Haus wie ein ziemlich großer und gleichzeitig besonders luftiger Wintergarten. Einer, dessen lebensspendendes Herz in der Mitte schlägt und das nach außen hin zusätzlich zur Hecke von den Nutzräumen vor neugierigen Blicken geschützt wird. Die gemeinschaftlich genutzten Bereiche wie Wohn-, Ess- oder Musikzimmer legten die Planer also zentral an. So konnten sie eben auch bei diesen sensiblen Räumen die konzeptionelle Transparenz des großen Ganzen erhalten.

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Auf eine Etage reduziert, wurden die Räume auf unterschiedliche Pavillons unter einem Dach vereint. Das Herzzstück bilden die sensiblen Wohnbereiche.

Abgesehen von der außergewöhnlichen Raumaufteilung und den unendlich vielen Glasfronten sticht also das kompliziert wirkende Dachgebilde ins Auge. Für derartige Spielereien sind die Architekten von Studio Velocity längst berühmt. In diesem Fall aber haben sie buchstäblich noch einen draufgesetzt.

Blätterdach für den Wintergarten

Um die zwölf miteinander verbundenen Pavillons, aus denen das darunter befindliche Wohnhaus besteht, zu überdachen, schufen sie viele einzelne Flächen. Diese wurden dann schräg, diagonal, gekippt und sogar sich überlappend angeordnet montiert. Von oben betrachtet würde das dem 124 Quadratmeter großen Bau eine besondere Leichtigkeit verleihen und zusätzlich etwas Florales. Sofern man die einzelnen Dachelemente als übersetzte Blätterlandschaft verstehen möchte. Die Planer dazu: „Wir fragten uns, wie man von der umgebenden Natur ausgehend eine Beziehung zur räumlichen Komposition schaffen könne.“

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Und diese Überlegungen pflanzen sich weiter fort – in den Außenbereich des Wohnhauses, das übrigens für ein Ehepaar mit zwei Kindern gedacht ist. So wird das Objekt von kleinen Terrassen und echten Wintergärten gesäumt, die sich optisch kaum vom Wohnbereich unterscheiden.

Topfpflanzen und Thonetmöbel

Diese Wirkung unterstützen die beiden Kreativen außerdem, indem sie sich nicht nur als Architekten des Hauses, sondern auch als jene des Gartens und gar des Innenraums ins Spiel brachten. Miho Iwatsuki und Kentaro Kunhura platzierten rund um das Haus eine Vielzahl von Topfpflanzen. Diese machen ein Verschmelzen von Innen und Außen aber auch von Bauwerk und Natur möglich, sind sie sicher. „Durch diese Staffelung aus offenen und geschlossenen Räumen, Holzbalken und dem vielen Grün entsteht ein Vexierspiel, das die Grenzen zwischen Garten und Gebäude optisch auflöst“, heißt es.

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Verstreute Topfpflanzen und bewusst platzierte Bugholzmöbel …

 

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… sollen dem Auge Anhaltspunkte zur Orientierung liefern.

 

 

 

Die von den zwei Herren ausschließlich im Wohnraum platzierten Bugholzstühle und -bänke definieren jene Bereiche, die man als „Innenräume“ bezeichnen soll. Ein gestalterischer Kniff, der bei Studio Velocity genau so wenig überrascht, wie die individuelle Dachkonstruktion. Schließlich kommen die traditionsreichen Thonetmöbel in ihren Projekten genau so regelmäßig vor. In Anbetracht des organisch-konstruktiven Kontext dieses Hauses schaffen ihre ornamentalen Lehnen jedoch einen schon auf den ersten Blick gelungenen Kontrast, wird betont.

Wintergarten oder Spiegelkabinett?

Sie geben dem Blick des Besuchers eine Art Orientierungshilfe. Denn auch wenn die Leichtigkeit des Seins hier offensichtlich zu werden scheint, wäre man ohne Anhaltspunkte wohl wirklich verloren.

Und der idyllische Wintergarten würde womöglich schnell zum verwirrenden Spiegelkabinett werden, in dem jede Wand und jeder Raum dem anderen gleicht.

Text: Johannes Stühlinger

Bilder: Studio Velocity

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