Zoo-Direktor Hering-Hagenbeck: "Der Löwe wird nicht zum Veganer"
Seit 2020 leitet der deutsche Zoologe den Schönbrunner Tiergarten. Ein Gespräch über Aufgaben eines modernen Zoos und Missverständnisse im Zusammenleben von Mensch und Tier.
Er gehört zu Wien wie Stephansdom und Burgtheater: der Tiergarten Schönbrunn, der älteste Zoo der Welt. Seit 2020 leitet ein Deutscher die Traditionsinstitution (wie es auch schon beim Burgtheater vorkam), nämlich der Zoologe Stephan Hering-Hagenbeck. Der KURIER begab sich mit ihm auf einen Rundgang, um eine Zwischenbilanz seiner Zeit in Wien zu ziehen.
KURIER: Sie haben Ihren Posten Anfang 2020 angetreten, dann kam gleich Corona …
Stephan Hering-Hagenbeck: Allerdings bestand da kein direkter Zusammenhang, das möchte ich betonen. (lacht)
Wie haben Sie die Corona-Zeit hier erlebt?
Wir sind ein 365-Tage-Betrieb, und dass der Betrieb ohne Besucher stattfindet, kannte keiner von uns. Ich kann Personal, das für Tiere zuständig ist, auch nicht in Kurzarbeit schicken. Energiekosten, Futterkosten: Im Prinzip läuft der ganze Betrieb weiter, und von heute auf morgen hat man keine Einnahmen. Aber alles hat funktioniert, kein Tier musste hungern. (lacht)
Stimmt es, dass der Zoo noch nie so lange geschlossen war, auch nicht während der Weltkriege?
Ja, 230 Tage durften wir nicht betreten werden – wir waren ja nicht geschlossen. Und dann hatten wir lange Einschränkungen: Abstandspflicht, Maskenpflicht, … Und für Besucher war es etwa schwer nachvollziehbar, dass das Palmenhaus offen war, das Wüstenhaus aber nicht, weil es dort Tiere gibt. Aber ich sag’ immer fairerweise: Ich hätte nicht mit den Entscheidern tauschen wollen.
Sind die Touristen mittlerweile zurück?
Wir merken, dass einige Länder komplett fehlen, der asiatische Markt ist noch gar nicht zu spüren. Der amerikanische Markt ist, wahrscheinlich durch den Krieg in Europa, sehr dezimiert. Aber wir merken, dass der Tourismus aus den Nachbarländern wieder angelaufen ist.
Früher ging es darum, dass Zoos zeigen, wie Elefanten und Löwen überhaupt aussehen. Wie würden Sie die Aufgabe heute beschreiben?
Ich möchte zuerst auf das Historische eingehen: Früher hat sich der Mensch über die Natur gestellt und blickte auf die Tiere hinab. Der Kaiserpavillon ist höher gelegen, weil die Tiere zum Kaiser hochkucken mussten. Die Wahrnehmung war: Der Mensch macht sich die Natur untertan. Zoologische Gärten waren lebende Sammlungen, parallel zu den Naturkundemuseen.
Und heutzutage?
Heute versuchen wir, die Natur respektvoll darzustellen und Tiere anders zu zeigen. Wir beobachten sie in ihren natürlichen Lebensräumen und arbeiten eng mit Forschern zusammen. Wir wollen das Gehege optimal an das Verhalten des Tieres anpassen. Wenn jemandem, der uns besucht, ein Tier leidtut, dann haben wir was falsch gemacht. Zum Beispiel unsere neue Löwenanlage: eine historische Anlage, die wir modernisiert haben. Wir haben mit Kunstfelsen im Prinzip das geschaffen, was er in der Wildbahn vorfindet: Der Löwe überblickt gerne sein Revier. Nun liegen die Tiere oben auf dem Felsen, von da aus kann man auch den Kaiserpavillon sehen.
Ist der Löwe jetzt also höher als der Kaiser?
Ja, das ist er. (lacht) Das sind Kunstfelsen, die im Winter mit einer Heizplatte beheizt werden. Da ist uns der Löwe ähnlich: dass er, wenn es kalt ist, auch einen warmen Platz bevorzugt.
Themen wie Tiere und Zoos emotionalisieren in sozialen Medien oft sehr. Wie sehen Sie diese Debatten?
Das merken wir schon, dass sich die Diskussion zum Teil sehr emotionalisiert. Da sind wir letzten Endes mit unserem Verhalten aus der Vergangenheit auch ein wenig mit schuld: Wo man Tiere noch auf den Arm genommen oder ihnen eine rote Badehose angezogen hat. Heute wollen wir den Respekt für die Natur vermitteln.
Oft werden Tiere aber immer noch vermenschlicht …
Ich glaube, wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht davon ausgehen, dass alles, was wir gut finden, auch für andere gut ist. Der Tiger und der Löwe werden nicht zum Veganer. Und das sollten wir auch nicht mit unseren Hunden und Katzen machen. Es gibt inzwischen ja veganes Tierfutter für Fleischfresser, damit tue ich mir als Biologe und Naturwissenschafter sehr schwer. Bei uns wird dem Tier viel gegeben, entsprechend können wir den Lebensraum verkleinern, ohne dass das Tier Einschränkungen wahrnimmt. Eine Giraffe muss in der Wildbahn immer vor Löwen auf der Hut sein, meist schläft sie sogar im Stehen. Unsere Giraffen, obwohl die Löwen 100 Meter entfernt sind, legen sich über Stunden in die Sonne. Welcher Giraffe geht es besser? Offensichtlich genießen sie es, in der Sonne zu liegen.
Während Ihrer Kindheit in Südafrika war Ihr erstes Haustier eine Schlange?
Zum 7. Geburtstag bekam ich sie von Schulfreunden geschenkt. Sie hat in meinem Spielzimmer gelebt, ohne Terrarium. Ein halbes Jahr hat sie bei mir gelebt, dann hat sie sich entschieden, nicht mehr bei mir zu bleiben.
Aber sie hat Sie gebissen?
Ich hab’ sie aus dem Wasser herausgenommen, damit war sie nicht einverstanden – da hat sie mich gebissen. Das hätte sie wohl lieber selbst entschieden. (lacht) Ich hatte eine Beziehung zu dem Tier, sicherlich hat das auch meine Faszination für Reptilien geprägt. Ich habe ja über Parasiten von Reptilien meine Dissertation geschrieben.
Sie sollen auch versucht haben, Reptilieneier im elterlichen Backrohr auszubrüten?
Das waren natürlich unprofessionelle Versuche im Kindesalter. Die sind auch nie geschlüpft. Aber es zeigt, dass meine Eltern meine Begeisterung für die Natur immer sehr unterstützt haben.
Man hört heraus, dass Ihre Zeit in Südafrika …
… sehr prägend war. Ja. Die Faszination für die Natur, für die Biologie.
Wie geht es Ihnen nun als Deutscher in Wien?
Als ich aufgefordert wurde, eine Scheibtruhe (in Deutschland „Schubkarre“, Anm.) zu holen, stand ich erst mal wie ein Ochs vorm Berg. (lacht) Im Grunde ist das Wienerische aber gut zu verstehen und mir auch durch den Austro-Pop bekannt. Käsekrainer finde ich großartig, oder Berner Würstel. Und ein Kollege macht hervorragende Schnitzel.
Wie lange wollen Sie noch Tiergartendirektor in Wien bleiben?
So lange man mich lässt. Ich fühle mich sehr wohl. Es ist ein besonderer Ort und ich hätte noch viel vor – ein zoologischer Garten ist ja nie fertig.
Der Direktor: Stephan Hering-Hagenbeck, geboren 1967 in Frankfurt am Main, wuchs in Deutschland und Südafrika auf. Er studierte Biologie in Berlin und Paris und forschte in Afrika. Verheiratet mit Bettina Hagenbeck, stieg er in den Tierpark Hagenbeck in Hamburg ein. Bis 2018 war er dort Direktor. Seit Jänner 2020 ist er Alleingeschäftsführer des Schönbrunner Tiergartens in Wien
Seine Schwerpunkte: Artenschutz ist ihm ein großes Anliegen. So beteiligt sich Schönbrunn an der Kampagne „Reverse the Red“, mithilfe der der Fortbestand gefährdeter Tiere gesichert werden soll. Und von 2. bis
4. 9. finden im Tiergarten wieder Artenschutztage statt
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