Eine ältere Frau sitzt im Wartebereich. Sie hat vor einigen Tagen ihre Tasche in der U6 vergessen. Für solche kleineren Dinge wie Hauben, Regenschirme und Taschen, die nicht online registriert, sondern nur fotografiert werden, gibt es einen eigenen dicken Ordner. Diesen bekommt die Frau in die Hand, um selber in den Bildern zu suchen.
Ausweis, Geldbörse, Schlüssel
Die „Klassiker“, die verloren werden, sind Ausweise, Geldbörsen und Schlüssel. Rund 29.000 Ausweise und Dokumente, 13.000 Geldbörsen und 6.300 Handys wurden im Jahr 2022 im Zentralen Fundservice abgegeben. Schlüssel mit bunten Anhängern füllen vier große Plastikboxen – und das sind nur die, die binnen der ersten drei Monate nicht abgeholt wurden.
Für Nachschub ist regelmäßig gesorgt. An Spitzentagen kommen bis zu 200 Fundstücke nur von den Wiener Linien im Fundbüro an, die ÖBB liefern Fundstücke aus ihren Zügen einmal in der Woche ab.
Aufbewahrungszeit wird verkürzt
In den Regalen ist noch Platz, trotzdem stellt die Aufbewahrung eine logistische Herausforderung dar. Denn das Fundbüro ist derzeit gesetzlich verpflichtet, gefundene Gegenstände ein Jahr lang aufzuheben.
Mit einer Novelle aus dem Justizministerium, die im März im Nationalrat beschlossen werden soll, wird diese Frist für Gegenstände unter einem Wert von 100 Euro auf ein halbes Jahr verkürzt. 99 Prozent der Gegenstände, die abgeholt werden, werden ohnehin in den ersten sechs Monaten abgeholt.
Kleine Änderung, große Wirkung: Durch die Novelle würde etwa das Zentrale Fundservice der Stadt Wien 25 Prozent seiner Lagerfläche einsparen – was finanziell eine Ersparnis von jährlich 47.000 Euro bringen soll.
Wer’s findet, dem gehört’s
Was aber passiert mit Dingen, die nicht abgeholt werden? Was Mitarbeiter der Wiener Linien oder der ÖBB finden, geht nach Ablauf der Frist in das Eigentum der Stadt Wien über. Private Finder haben einen Vorteil, wenn sie eine Fundanzeige machen und so ihre Daten hinterlassen: Nach Ablauf der Frist werden sie verständigt, der Gegenstand geht dann in ihren Besitz über. Zudem gibt es über die Fundanzeige die Möglichkeit, einen Finderlohn zu beantragen (siehe Infobox unten).
Bei den knapp 100 Fundboxen, die in ganz Wien verteilt sind, bleibt der Finder freilich anonym. Und das nutzen manche offenbar, um illegale Gegenstände loszuwerden: Drogen und Waffen, die in den Boxen liegen, wandern sofort zur Polizei. Und dann gibt es noch Dinge, bei denen schwer vorstellbar ist, wie man sie überhaupt „verlieren“ kann: Rollstühle, Krücken und Kinderwagen, aber auch Röntgenbilder und blutige Gebisse. Aktuell sind im Fundbüro ein Schreibtisch und eine Mikrowelle gelagert.
Wohlstandsgesellschaft
Es komme vor, schildert eine Fundbüro-Mitarbeiterin, dass Leute kommen, um sich einen Laptop „abzuholen“, der gar nicht ihr eigener ist. Diese machen sich aufgrund von schwammigen Angaben aber schnell verdächtig.
Hunderte Laptops liegen derzeit in einem speziell gesicherten Container, gleich neben einer Unmenge an Handys und Powerbanks. Über die SIM-Karte versucht das Fundbüro, den Besitzer beim Handyanbieter ausfindig zu machen. Handys, die trotz aller Versuche niemand abgeholt hat, werden gelöscht und für karitative Zwecke im angrenzenden Altwarenmarkt, dem 48er-Tandler, verkauft.
Die Menge an Smartphones, die liegen bleibt, könnte ein Zeichen der Wohlstandsgesellschaft sein: Lieber ein neues Gerät kaufen als sich um das alte bemühen, so die Logik. Womöglich glauben aber auch viele, dass ihre Gegenstände gestohlen wurden, und denken gar nicht daran, dass es ehrliche Finder gibt, die diese sicher verwahren lassen.
Die Chancen stehen jedenfalls gut, dass man im Zentralen Fundservice fündig wird: Im Schnitt können knapp 60 Prozent der dort abgegebenen Gegenstände wieder an ihren rechtmäßigen Besitzer ausgehändigt werden.
Es bleibt zu hoffen, dass auch die Tasche aus der U6 darunter ist.
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