Florian Schmidt: Eine ganz ähnliche Situation wie in Berlin. In der Zwischenkriegszeit gab es eine rege öffentliche Bautätigkeit. Aber man den Bestand nicht gesichert. Viele Häuser sind mittlerweile in Privateigentum, das Wohnen ist unleistbar. Da hat Berlin eine Sünde begangen, die die rot-rot-grüne Regierung gerade gutmacht. Unsere Philosophie: Neubauen, die Preise regulieren, aber auch ankaufen. Das gelingt etwa mit einem kommunalen Vorkaufsrecht.
Klingt, als liefe das alles konsensual. Tatsächlich wird in Berlin gerade eine Enteignungsdebatte geführt.
Schmidt: Der Begriff Enteignung klingt nach Sozialismus und nach entschädigungsloser Wegnahme.
Sie nennen es in Ihrem Buch „Vergesellschaftung“. Das ist ein schöner Euphemismus.
Schmidt: Der springende Punkt ist nicht der Name. Es geht darum, dass es eine Entschädigung gibt. In anderen Bereichen ist staatliche Enteignung übrigens an der Tagesordnung. Für den Kohleabbau oder für Straßenprojekte werden ganze Wälder abgeholzt und Dörfer zerstört. Das sind rabiate staatliche Eingriffe, die üblich sind. Beim Wohnen hat die Immobilienbranche plötzlich Angst, dass sie sich dem Gemeinwohl unterwerfen muss. Weil in diesem Geschäft Milliarden von Euro stecken, da gibt es massive Interessen.
Aber diese Interessen sind ja durchaus berechtigt.
Schmidt: Nein. Die sind nicht ganz legitim. Weil es zum Teil leistungslose Gewinne sind, die etwa über Bodenwertsteigerungen erzielt werden. Und zwar oft auf Kosten des Gemeinwohls. Daher ist es möglich, einzugreifen. Eingriffe ins Eigentum sind dann legitim, wenn das Allgemeinwohl es rechtfertigt. Das ist ein Grundprinzip unseres Rechtsstaats.
Und solche Eingriffe wünschen Sie sich für den 7. Bezirk, Herr Reiter?
Reiter: Nicht nur für den 7. Bezirk – für ganz Wien. Wenn die Konservativen für den Lobautunnel oder andere Straßenprojekte die Menschen reihenweise enteignen, ist das okay. Wenn es um Wohninfrastruktur geht, ist Enteignung plötzlich ein politischer Kampfbegriff. Es geht aber nicht um Raub, sondern um ein simples Vorkaufsrecht oder Ankaufspolitik. Am Wiener Immobilienmarkt herrscht der entfesselte Kapitalismus. Wenn Sie im 7. Bezirk eine 80-Quadratmeter-Wohnung kaufen, müssen Sie eine Million Euro zahlen. Wer soll sich das leisten?
Was soll die Stadt tun?
Reiter: Die Stadt hat 2020 rund 240 Millionen Euro in Wohnbau und 60 Millionen Euro in die Wohnbeihilfen gesteckt, da zeigt sich das Problem. Wohnbehilfen benötigen oft Menschen, die teure Bestandsmieten zahlen müssen. Warum verwenden wir nicht einen Teil der 240 Millionen Euro für den Ankauf etwa von Zinshäusern, um auch dort leistbares Wohnen zu ermöglichen?
Wie hoch darf denn eine „normale“ Miete sein?
Schmidt: Mehr als 30 Prozent des Einkommens sollten es nicht sein. Das geht sich, wenn man einen neuen Vertrag bekommt, nicht aus. Menschen trauen sich gar nicht mehr umzuziehen, da entsteht eine richtige Bunkermentalität.
In Neubau entsteht ein Großprojekt – das Warenhaus KaDeWe der Signa. Nicht zur Freude aller.
Reiter: Ich will das Signal senden, dass ein ambitioniertes Projekt auch ohne Extrawürste für den Immobilieninvestor machbar sein muss – und dass er die Interessen der Wohnbevölkerung zu wahren hat. Wenn ein 1.000 Quadratmeter großer Dachgarten entsteht, dann soll er für die Öffentlichkeit auch bei einem Eigentümerwechsel zugänglich sein. Das geht nur mit einem Servitut im Grundbuch.
Schmidt: Wir haben ähnliche Themen in Berlin. Da will die Signa mehr Baurechte. Das ist im kleinen Rahmen möglich – aber im Gegenzug müssen die Projekte ins Gemeinwohl einzahlen. Was ich nicht mittragen kann, ist, wenn die Stadt unter Druck gesetzt wird, indem man droht, Kaufhäuser zu schließen.
Herr Schmidt, Sie fordern in Ihrem Buch eine „urbane Revolution“, mit „Rebellion als Lebensstil“.
Schmidt: In Berlin gab es in den 70ern die Zeit der Hausbesetzungen, gegen die Spekulationen mit Wohnraum. Nach der Wende war das Thema kurz weg. Man dachte, man wird Welthauptstadt – wurde man aber nicht. Jetzt stehen die Menschen wieder gegen Turbokapitalismus, Verkehrskollaps und Klimawandel auf. Da haben sich Initiativen und NGOs gebildet, die Volksentscheide erwirkt und die Gesetzgebung geprägt haben.
Macht Sie beide das nicht traurig, dass die Grünen den Bezug zu den NGOs verloren haben? Ihre Parteien sind von Revolution weit entfernt.
Reiter: Naja, Sebastian Kurz hat sich als Bundeskanzler ja nicht selbst wegrevolutioniert. Da hat es einen mutigen Koalitionspartner gebraucht. Und hier im 7. Bezirk arbeiten wir mit vielen NGOs zusammen.
„Radikale, aber pragmatische Politiker“, das fordert Florian Schmidt in seinem Buch. Fühlen Sie sich da angesprochen?
Reiter: Ja. Man kann es radikal nennen. Oder mutig. Ich bin über die Grenzen des Bezirks hinaus dafür bekannt, dass ich gegen die Klimakrise und bei der Verkehrsberuhigung mutige Schritte setze.
Man könnte es auch teure Schritte nennen. Es gibt wohl kaum einen anderen Bezirksvorsteher, der von der Stadt so viele Mittel für den öffentlichen Raum lukriert.
Reiter: Ja, weil ich mich traue. Der überhitzte Asphalt früher war natürlich billiger als ein lebenswerter öffentlicher Raum. Er war halt nicht menschenfreundlich. Im Verhältnis zu den Kosten des Klimawandels sind meine Investitionen in Höhe von ein paar Millionen Euro doch Peanuts. Oder im Vergleich zur Lobauautobahn.
Schmidt: Es wird immer Bezirke geben müssen, die vorausgehen. In Berlin haben wir jetzt den taktischen Urbanismus eingeführt: Wir wollen Kiez für Kiez verkehrsberuhigen, den Raum umnutzen. Das passiert in kleinen Schritten, wir bessern peu a peu nach. Die Menschen wollen das, sie treiben die Politik voran. Natürlich gab es Aufregung von Autoliebhabern – aber vor allem deshalb, weil konservative Politiker falsche Angstmache betreiben. Niemand nimmt den Menschen von heute auf morgen das Auto weg.
Kommentare