Die Stadt von gestern und ihre Wiener Vergnügungen: Die Autoren Beppo Beyerl und Thomas Hofmann im Gespräch über die Authentizität von Traditionen und die Frage, was früher besser war.
KURIER:Vor einigen Wochen hat mit dem „Sopherl am Naschmarkt“ eines von vielen Lokalen zugesperrt, die sich als Traditionsbeiseln bezeichnen. Geht das nicht ein bisserl schnell in Wien, dass man sich mit dem Attribut Tradition schmückt?
Beppo Beyerl: Da geht es um den Namen der Frau Sopherl, die ja als Synonym für die Fratschlerinnen, die Standlerinnen vom Naschmarkt galt. Mit dem Lokal hatte die eigentlich nichts zu tun.
Aber man macht in Wien schon gerne Werbung mit Tradition, egal, ob sie stimmt, oder nicht.
Thomas Hofmann: Es ist wurscht, ob’s stimmt. Sobald man merkt, es funktioniert, ist die sogenannte Tradition unbestritten. Wir hören sie gern und sie verkauft sich gut, auch im 21. Jahrhundert.
Haben diese sogenannten Traditionen denn im Allgemeinen einen wahren Kern?
Hofmann: Es ist immer mindestens 30 Prozent erfunden. Aber wie bei einer Sage gibt es einen wahren Kern, der gepflegt und tradiert wird und plötzlich ist ein Mythos da, der vielleicht in der Form gar nie existiert hat.
Von Karl Kraus stammt ja die Feststellung „Alt Wien war auch einmal neu“.
Hofmann: Wir neigen dazu, Alt Wien zu glorifizieren ...
Beyerl: Wir nicht! Du sagst immer wir!
Hofmann: Also die Bewohner der Stadt. Die wollen immer das Gestern glorifizieren. Aber es war gar nicht so toll. Angefangen von den hygienischen Verhältnissen. Ich bin ziemlich froh, im 21. Jahrhundert zu leben.
Was tatsächlich früher besser war, ist der Naschmarkt.
Beyerl: Früher bestand er aus Standlern, die Obst und Gemüse verkauften. Heute ist er tot, es gibt nur noch wenige Ausnahmen wie den Kuczera. Gestorben ist der Naschmarkt schon mehrmals. Das erste Mal, als man die Autobahn hierher verlängern wollte. Und später, weil sich keiner mehr hierherstellen wollte.
Jetzt stirbt er wegen der Wasabinüsse.
Hofmann: Wenn ich heute einen Markt sehen will, geh ich auf den Hannovermarkt oder den Meiselmarkt. Am Naschmarkt gibt’s nur mehr Wasabinüsse und Thailand-Klamotten.
Beyerl: Er ist nur mehr für die Touristen da, die Sisi-Klumpert kaufen.
Hofmann: Man muss aber auch sagen, dass bei den Alteingesessenen vieles überteuert war. Und für den berühmten Wiener Grant braucht man auch einen guten Magen.
Der Grant, auch Tradition.
Beyerl: Die Fratschlerinnen vom Naschmarkt waren berühmt für ihr loses Mundwerk und ihren kreativen Schimpfwörter-Gebrauch. Die Sopherl war das Gegenstück zum süßen Wiener Madl: resch, raunzig, rotznasig. Man ist extra hingefahren, um sich das anzuhören. Statt ins Theater, ist man zu den derben Fratschlerinnen, um sich „anfäun“ zu lassen. Das stand sogar in Reiseführern.
Sie schreiben Bücher über Wiener Traditionen. Für wen eigentlich?
Hofmann: Für Wiener, die glauben, alles zu wissen.
Beyerl: Wir entdecken ja auch immer wieder Neues.
Hofmann: Etwa, dass es beim Begräbnis von Kaiserin Elisabeth Medien-Beschwerden über mangelnde Pressekarten gab. Ein neuer Aspekt auch für eingefleischte Kenner!
Wo verorten Sie das ursprüngliche Wien?
Hofmann: Bei mir draußen in Breitensee gibt’s ein Wirtshaus, da sitzen die Pensionisten, essen Gansl, spielen Karten. Da ist die Zeit stehen geblieben, es ist die Stadt von gestern.
Beyerl: Das ist aber auch nicht immer gut. Nostalgie nach Klo am Gang hab ich keine.
Thomas Hofmann, Beppo Beyerl: „Wiener Vergnügungen“ Styria, 224 S., 27€. Präsentation: 12. 11. 19h, Buchhandlung Orlando, Liechtensteinsstr. 17, 1090 Wien
Kommentare