Lange galt Wien als träumerisch, verschlafen – biedermeierlich eben. Es war weniger eine Großstadt, sondern vielmehr ein Ort mit zu vielen Einwohnern. Wien wäre wohl immer ein verschlafenes Nest an der Donau geblieben, wenn es durch die Ostöffnung nicht diesen starken Zuzug gegeben hätte. Von dem Aufschwung im CEE-Raum profitierte die Stadt enorm und ließ sie nach und zur bedeutenden Metropole heranwachsen. Auch wirtschaftlich hat Wien ordentlich aufgeholt. Wir zeigen, wo.
1. Wien und seine Menschen
„Als ich als Kind zum ersten Mal nach Wien kam, war ich begeistert von dem Stadtbild, den bunten Schaufenstern und den Kaffeehäusern“, erinnert sich Lucia Malikova. „Ich habe immer davon geträumt, hier zu arbeiten.“ 2008 nahm die gebürtige Slowakin die Chance wahr, über ein Tochterunternehmen der Erste Bank in Bratislava eine Stelle als Controllerin in der Zentrale in Wien zu bekommen.
Über die Plattform Internations, mit der sich von Firmen entsandte Mitarbeiter vernetzen können, lernte Malikova viele ihrer heute besten Freunde kennen. Dass Wiener von vielen als verschlossen und etwas grantig wirken, habe sie nie so empfunden. Im Gegenteil: „Etwas Abstand ist für die Eingewöhnung besser. Später aber entwickeln sich hier gute Freundschaften.“
25.000 internationale Fachkräfte leben in Wien
Laut der Wirtschaftsagentur Wien arbeiten etwa 25.000 internationale Fachkräfte in der Hauptstadt, die meisten davon sind auch Mitglieder bei Internations. Diese Expat-Community ist damit ein wichtiges Auffangbecken und schirmt Neuankömmlinge zu Beginn vielleicht auch ein wenig vor dem Wiener Grant ab.
Wer hier wen kennt, ist in Wien wichtig – es öffnet einem viele Türen. Das Netzwerk ist vergleichsweise klein, was von Vorteil ist.
von Andreas Landgrebe, Managing Partner Boyden
über die Wiener Gesellschaft
In den diversen Studien gilt Österreich nämlich seit Jahren als eines der unfreundlichsten Länder weltweit für ausländische Fachkräfte. In der aktuellen Studie rutschte Österreich im Gesamtranking sogar um 13 Plätze ab, auf Rang 37 von insgesamt 64 weltweit untersuchten Ländern.
Jüngst erhobene Daten der Expat Insider 2019 Business Edition, die extra für den KURIER ausgewertet wurden, zeigen zudem: 43 Prozent aller Fachkräfte haben grobe Schwierigkeiten, Freunde zu finden.
Beliebt trotz Grant
Andreas Landgrebe, Managing Partner und Headhunter bei Boyden, die international nach Kandidaten für Schlüsselfunktionen in Unternehmen sucht, relativiert allerdings:
„Österreicher werden zwar von vielen als durchaus reserviert empfunden, das hat mit Wien aber nichts zu tun. Die Stadt ist für Manager und Fachkräfte ein sehr attraktiver Dienstort.“ Er habe als Headhunter noch nie Probleme gehabt, Spitzenleute nach Wien zu holen, wird er nicht müde zu betonen.
2. Wien als Wirtschaftsstandort
Wien ist das wirtschaftliche Herz Österreichs. Die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer liegt 35 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Ein weiterer anschaulicher Vergleich – wenn auch nicht ganz ernst gemeint – ist der Big-Mac-Index.
Wien rangiert unter den EU-Hauptstädten unter den Top-Drei: Man arbeitet hier im Schnitt 18 Minuten für den lokalen Preis eines Big-Macs, nur London und Kopenhagen sind knapp besser. Im nur 55 Kilometer entfernten Bratislava sind es mit 48 Minuten fast dreimal so viel.
Ein seriöserer Befund der Österreichischen Nationalbank zeigt, dass der Gesamtwert der in Wien angesiedelten ausländischen Unternehmen mit über 100.000 Beschäftigten bei 75 Milliarden Euro liegt.
Beliebt unter Top-Forschern
Wegen seiner 20 Universitäten, den rund 1.500 Forschungseinrichtungen mit 46.000 Beschäftigten und 480 Life Science Organisationen (36.000 Beschäftigte) macht Wien auch in der Forschung international immer mehr auf sich aufmerksam.
Um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken, arbeiten wir eng mit Unis und FH zusammen, so angeln wir uns Absolventen direkt.
von Johannes Homa, CEO Lithoz
über das Anwerben von Spezialisten
In neuen Technologien tummeln sich bereits mehrere Spitzenanbieter am Wiener Markt, ergänzt Johannes Homa, CEO von Lithoz, einem weltweiten Anbieter für 3D-Drucker für Hochleistungskeramik mit Sitz in Wien. „Im 3D-Druck haben wir klar das Potenzial, zur Welthauptstadt aufzusteigen. Wir bemerken hier eine große, kreative Szene.“
Auch der Start-up-Sektor (siehe Punkt vier) hat sich gut entwickelt. Laut ASM Survey 2018 wurden zwischen 2004 und 2017 773 Start-ups in Wien gegründet. Österreichweit dominieren dabei die Bereiche IT /Softwareentwicklung (34,9 Prozent), Life-Science (10,2 Prozent) und Hardware (9,6 Prozent).
3. Der Wiener Jobmarkt
Für gut ausgebildete Fachkräfte ist Wien ein Schlaraffenland, vor allem für Hochqualifizierte aus dem Ausland. Mit seinen mehr als 200 internationalen Firmenzentralen konzentrieren sich laut der Ansiedlungsagentur ABA bis zu zwei Drittel aller internationalen Aktivitäten in der Bundeshauptstadt.
Das lockt Fachkräfte aus aller Welt an. Weniger gut Ausgebildete allerdings haben eindeutig das Nachsehen, zeigt ein Teilbericht des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und des Arbeitsmarktservice (AMS).
Den Autoren zufolge erhöhe sich durch den Zuzug von gering Qualifizierten der Druck am Arbeitsmarkt im Niedriglohnsektor. Dementsprechend hoch sei deshalb die Arbeitslosenquote in Wien im Vergleich zu den anderen Bundesländern.
Mehr Jobs im akademischen Bereich
Den größten Stellenzuwachs bis 2023 prognostizieren WIFO und AMS in wissensbasierten und akademischen Berufen (plus 82.000): insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen (18.300), in der Informations- und Kommunikationstechnologie (11.300) sowie im Unterrichtswesen (9.500).
Eine Arbeitsbewilligung zu bekommen dauert mitunter Monate – für einen Dienstortwechsel ist das zu lang.
von Melisa Gibovic-Danner, Head of Talent Acquisition Boehringer Ingelheim
über die Hürden der Rot-Weiß-Rot-Karte
Allerdings – die Wiener Industrie, der Handel, der Tourismus und IT-Betriebe klagen über fehlende Arbeitnehmer. In einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftskammer Wien gaben 38 Prozent von 213 befragten Unternehmen Fachkräftemangel als Herausforderung für das Jahr 2019 an.
In diesem Zusammenhang stelle die Rot-Weiß-Rot-Karte ein Hindernis bei der Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland dar, so Melisa Gibovic-Danner Head of Talent Acquisition des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim. „Eine Arbeitsbewilligung zu bekommen dauert mitunter Monate – für einen Dienstortwechsel ist das zu lang.“
4. Die Wiener Start-up-Szene
Vor wenigen Wochen ging ein Raunen durch die heimische Start-up-Szene: Nach sieben Jahren wird das Pioneers Festival eingestellt. Die Veranstaltung galt als Visitenkarte für Wien, hier traf sich das Who is Who der Techies. „Für die Gründerszene ist es ein Verlust“, sagt Markus Wagner, Investor und Gründer von i5invest. „Aber Wien ist als Start-up-Stadt immer noch aufstrebend.“
Einen großen Anteil daran hat tatsächlich die immer wieder attestierte hohe Lebensqualität. „Firmen sind sehr an Standorten interessiert, an denen es Software-Entwickler gibt, für Fachkräfte wiederum ist ein Standort mit guten Lebensbedingungen ein Argument.“ Man trifft sich in Wien.
Brücke zur CEE-Region
Die Hauptstadt fungiere außerdem als Brücke zur CEE-Region: „Für gute Leute aus Tschechien, Ungarn, der Slowakei, aber auch Italien ist in Wien zu arbeiten ein Upgrade.“ Im Vergleich zu den USA, wo Wagner seit Jahren lebt, könne man hier bereits um 150.000 Euro brutto im Jahr Top-Leute finden.
„Die Hauptstadt lockt sicher mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssten die Gehälter allerdings steigen“, meint Benjamin Ruschin, CEO von WeAreDevelopers, der größten Software-Entwickler-Vermittlungsplattform im DACH-Raum.
15.000 offene IT-Stellen
Für IT-Experten aus Drittstaaten sei der Arbeitsort jedoch ein hartes Pflaster. „Die österreichische Migrationspolitik ist sehr streng, Menschen aus Ägypten, Indien oder Russland haben es schwer“, sagt Markus Wagner. Benjamin Ruschin ergänzt: „Wir haben in Österreich 15.000 offene IT-Stellen – die Ausgestaltung der Rot-Weiß-Rot-Karte stellt eine Hürde für die Rekrutierung dar. Da gäbe es noch viel Potenzial.“
Wer in die Hauptstadt kommt, findet jedenfalls unzählige private Capital Investment Fonds, Inkubatoren, Acceleratoren, Events und Co-Working-Spaces. „Der Global Competitive Report der Insead zeigt, dass Wien auf Platz vier im weltweiten Ranking der Attraktivität für Fachkräfte ist.
Förderungen von 50 Millionen Euro
Wir haben ein Klima der Offenheit, Kreativität und Innovation. Zudem werden hier jährlich 50 Millionen Euro an Förderungen ausgeschüttet – wo gibt es das sonst?“, sagt Gerhard Hirczi, Chef der Wirtschaftsagentur Wien.
„Vor zwei Jahren wurde Wien neben Tel Aviv, New York City, Shanghai, Paris, London, Warschau, Dubai, Peking und Berlin sogar in die ,Star Alliance’ aufgenommen – eine Vereinigung von Städten mit bester Start-up-Infrastruktur.“ Diese beeindruckt auch die Berliner Bank N26 – sie will hier im Herbst 300 Mitarbeiter finden. Durch sie wird der Kampf um IT-Experten aber noch härter.
5. Wien im Vergleich
Seit der Veröffentlichung des Wienerlieds „Wien, Wien, nur du allein, ...“, haben sich die Lobeshymnen auf Wien bis heute fortgesetzt. In den jährlich veröffentlichten Mercer Studien über die lebenswertesten Städte der Welt, schaffte es Wien zum zehnten Mal in Folge auf den ersten Platz.
Auch der Economist kürte Wien just in dieser Woche zum zweiten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt. „Wien hat zwar noch nicht den Metropolen-Charakter wie Berlin, London oder Paris“, meint Andreas Landgrebe. „Eine Stadt kann auch überschaubar und gerade deswegen attraktiv sein.“
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