Wiener Schulen kämpfen mit massiven Belastungen

Sowohl in der Volksschule als auch in der NMS Grundsteingasse sind in manchen Klassen zwei Lehrerinnen notwendig.
Sprachdefizite und soziale Probleme – Schulen mit massiven Herausforderungen sollen künftig mehr Geld bekommen.

Laut Bildungsstandards sehen sich 66 Prozent der Wiener Pflichtschulen mit besonderen sozialen Herausforderungen konfrontiert – etwa ein Drittel davon könnte man als Brennpunktschulen bezeichnen. Als Bildungseinrichtungen also, in denen hohe soziale Belastungen zu Problemen wie Gewalt oder Radikalisierung führen. Um die Schulen zu entlasten, kündigte Bildungsdirektor Heinrich Himmer zuletzt die Einführung des Chancenindex an. Mittel, etwa für Sozialarbeiter, werden dabei nach den individuellen Herausforderungen von Schulen und nicht mehr nach der Schüleranzahl verteilt.

Wobei nicht jede Schule mit schwierigen Rahmenbedingungen gleich eine Brennpunktschule ist – wie Lokalaugenscheine des KURIER an der Volksschule und der NMS Grundsteingasse in Ottakring belegen. Zwar sieht man sich auch dort mit Problemen konfrontiert – Gewalt oder religiöser Fanatismus sind aber kein Thema.

Deutschförderklasse

„Die Zusammensetzung unserer Schüler ist ein Abbild der Ottakringer Bevölkerung. Wir sind bunt gemischt“, erklärt die Direktorin der Ganztagsvolksschule, Petra Müller. 90 Prozent der 310 Kinder haben Migrationshintergrund, mehr als die Hälfte sind Muslime. In den 13 Klassen sind 37 Muttersprachen vertreten.

Wiener Schulen kämpfen mit massiven Belastungen

Volksschuldirektorin Petra Müller.

Fließend Deutsch beherrscht bloß ein Drittel der Schüler, ein weiteres weist Defizite auf und der Rest sind Quereinsteiger ohne Deutschkenntnisse. „Außerordentliche Schüler“, die ohne Benotung 15 Stunden pro Woche in Deutschförderklassen unterzubringen sind beziehungsweise wären. Denn ob Platzmangels müssen diese Kinder in der Grundsteingasse integrativ unterrichtet werden. Also gemeinsam mit ihren Klassenkollegen von einer zweiten Lehrerin. Dass das die Konzentration nicht eben begünstigt, kann jeder beurteilen, der einmal in einem Großraumbüro gearbeitet hat.

Etliche Schüler sind ungefördert. Sie kommen aus bildungsfernen und finanziell schlechter gestellten Familien, manche haben einen Fluchthintergrund und sind traumatisiert. „Alles in allem ergibt das ein riesiges Spektrum, das wir unter einen Hut bringen müssen“, sagt Direktorin Müller.

Gewalterfahrungen gibt es an der Schule trotzdem nicht – und Auffälligkeiten muslimischer Schüler ebenso wenig. „Wir haben kein einziges Mädchen mit Kopftuch“, so die Schulleiterin.

Das mag mit dem Alter der Kinder und der permanenten Betreuung durch die Lehrer zu tun haben. Aber auch damit, „dass wir versuchen, die Kinder gut zu durchmischen“.

Man mache aus der Not eine Tugend und lege den Fokus der Schule neben Naturwissenschaften bewusst auf den Schwerpunkt Mehrsprachigkeit, betont Müller. „Punkto Sprachförderung kooperieren wir mit der Universität Wien“, sagt sie – nicht ganz ohne Stolz. Den Chancenindex sehne man dennoch herbei. Für Sozialarbeiter gäbe es genug Bedarf.

Wertschätzung

Eine Tür von der Volksschule getrennt befindet sich die NMS Grundsteingasse. Von 240 Schülern haben fünf Deutsch als Erstsprache. 21 Kinder sind ob ihrer Sprachdefizite noch nicht benotbar.

Wiener Schulen kämpfen mit massiven Belastungen

NMS-Direktorin Martina Hamelbach.

Der Deutschförderbedarf sei allgemein hoch, berichtet Direktorin Martina Hamelbach. Obwohl die Schüler zum Teil in Österreich aufgewachsen und in die Volksschule gegangen seien. „Da sie zu Hause nur ihre Muttersprache sprechen und auch die nicht korrekt erlernt haben, beherrschen sie nun die Zweitsprache Deutsch ebenfalls schlecht.“

Die Herausforderungen sind dieselben wie nebenan: Kinder stammen aus bildungsfernen Familien mit finanziellen Problemen, einige haben Schreckliches erlebt und mussten flüchten. Zum Teil misstrauen Eltern aus anderen Kulturen Behörden und der Institution Schule.

Dazu komme in diesem Alter bei einigen ein religiöser Übereifer. Mit muslimischen Schülern, die ihre Glaubensschwestern bewachen wollen, sei man heute mehr konfrontiert als früher. Einreißen lasse man so etwas jedoch nicht, sagt Hamelbach. Man suche das Gespräch mit Schülern und Eltern, fordere Disziplin ein und signalisiere gegenseitige Wertschätzung. Gewalt gebe es deshalb an der Schule nicht.

Vielleicht auch, weil ein Grätzelpolizist undisziplinierten Schülern ins Gewissen redet. Oder weil ein Sozialarbeiter außerschulische Probleme abfedert. Mittels Chancenindex ließe sich das Angebot erweitern.

Den Schülern scheinen die besonderen Herausforderungen an der NMS jedenfalls kaum bewusst zu sein – für sie sind sprachliche und religiöse Vielfalt Normalität.

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