Gegen Beschimpfungen und Attacken: So wollen die Wiener Linien ihre Mitarbeiter schützen

ein Mann in gelber Warnweste steht mit dem Rücken zur Kamera auf einem U-Bahnbahnsteig in Wien
Jeden zweiten Tag kommt es zu Übergriffen auf Mitarbeiter der Wiener Linien. Um diese und andere Krisen zu bewältigen, setzt das Unternehmen auf sein Krisenteam „Sozius“.

Längere Wartezeiten, zu viel Alkohol oder eine Strafe wegen eines fehlenden Tickets: Fahrgäste der Wiener Linien sind aus unterschiedlichen Gründen manchmal nicht gut auf deren Mitarbeiter zu sprechen. In extremen Fällen werden die Angestellten wüst beschimpft oder gar körperlich attackiert.

Allein 2023 wurden 168 Übergriffe auf das Personal der Wiener Linien registriert, umgerechnet bedeutet das einen Vorfall an jedem zweiten Tag. Die Wiener Linien starteten daher schon vor 15 Jahren eine Gegeninitiative, um die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu entlasten: das Sozius-Team.

Sozius, ein Akronym für „Soziale Unterstützung“, ist das innerbetriebliche Kriseninterventionsteam der Wiener Linien. Sprich: Hauptberufliche Mitarbeiter der Wiener Linien absolvieren zusätzlich zu ihren Arbeitstätigkeiten Ausbildungen im Bereich der Notfallpsychologie und der Krisenintervention.

Rund um die Uhr im Einsatz

Auf freiwilliger Basis ist das Team im Einsatz – auch an Sonn- und Feiertagen. Andrea Schmalzer, Leiterin des Referats Arbeitspsychologie, erklärt: „Das Sozius-Team ist 24 Stunden am Tag besetzt. Immer, wenn die Wiener Linien unterwegs sind, ist Sozius im Einsatz.“ Einer von ihnen ist Marcus, der nicht mit vollem Namen genannt werden möchte.

Seit über zwei Jahrzehnten ist er bei den Wiener Linien angestellt. Schon bevor er Teil von Sozius wurde, war es dem 55-Jährigen ein Anliegen, seine Kollegen zu unterstützen. „Immer wieder gab es Arbeitsunfälle oder Gefahrenstellen. Ich habe mich immer schon bemüht, dass etwaige Probleme ausgemerzt werden“, erzählt der Technik- und Verwaltungsmitarbeiter.

Nicht allein durch die Krise

2020 ist Marcus deshalb dem Sozius-Team beigetreten. Seither hilft er Mitarbeitern dabei, akute Herausforderungen im Arbeitsalltag zu bewältigen. Die Einsätze sind vielfältig: Wenn etwa ein Auto mit einer Straßenbahn zusammenstößt, kann es Blechschaden, Verletzte oder im schlimmsten Fall auch Tote geben.

Marcus und sein Team sind da, um zu helfen: „Das Wichtigste ist für uns, dass kein Mitarbeiter allein gelassen wird.“ Auch bei Vorfällen mit Personen im Gleisbereich oder Attacken auf das Personal rückt das Team aus. Dazu zählt das Entschärfen von verbalen Angriffen, bei denen Sozius als Vermittler auftritt. 

Auch ein Teil der notfallmedizinischen Betreuung gehört dazu: Beispielsweise begleitet ein Sozius-Helfer betroffene Mitarbeiter zu Untersuchungen ins Krankenhaus. „Man soll sich nicht allein fühlen, wenn die psychische Belastung im Moment groß ist“, sagt Marcus.

Weniger Stigmatisierung

Seit der Gründung von Sozius hat sich betriebsintern laut Wiener Linien vor allem eines verbessert: „Das Verständnis für psychische Belastungen hat sich stark geändert. Es ist einfach viel weniger verpönt, Hilfe zu suchen.“ Bis dahin sei es ein weiter Weg gewesen.

„Zum einen mussten wir vermitteln, dass die Verschwiegenheitspflicht herrscht, und Vertrauen aufbauen. Zum anderen musste den Menschen vermittelt werden, dass sie nicht schwach sind, wenn sie Hilfe suchen – im Gegenteil“, ergänzt Referatsleiterin Schmalzer. 

Heute gebe es deutlich mehr Einsätze als im Gründungsjahr 2009, weil die Mitarbeiter inzwischen aufgeschlossener seien. Rund 300-mal rückte das Team im Jahr 2023 zu Einsätzen aus – die Folgebetreuung nicht mitgezählt.

Stütze in der Krise

„Was mich persönlich freut, ist, wenn sich Kollegen melden, deren Fälle schon lange abgeschlossen sind, und mitteilen, dass es ihnen jetzt wieder gut geht. Da weiß man, dass man etwas richtig gemacht hat“, erklärt Sozius-Mitarbeiter Marcus.

Ereignet sich ein etwa ein Verkehrsunfall, meldet das der betroffene Mitarbeiter bei der Leitstelle. Diese fordert die notwendigen Einsatzkräfte, wie Rettung oder Polizei, an. Auch das Team-Sozius wird von der Stelle informiert. Zwei Teammitglieder rücken zum Einsatzort aus und betreuen die Mitarbeiter der Wiener Linien.

Betroffene Personen werden nach einem Vorfall gewöhnlich vom Dienst freigestellt, um sich vom Vorfall erholen zu können. 

Seinen Kollegen eine Stütze zu sein, sei sein persönlicher Antrieb. „Egal wie schlimm es kommt, es steht einfach immer ein Kollege hinter einem, und das ist Gemeinschaft für mich.“

„Das übergeordnete Ziel von Sozius ist, die psychische Gesundheit der Mitarbeiter aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen“, erklärt Andrea Schmalzer. Bei einem Vorfall bedeute das, dass jemand vor Ort ist, sich kümmert und abschätzt, wie es weitergehen soll.

Auch nach einem Einsatz übernimmt das Team einen Teil der psychologischen Nachbetreuung. „Jeder Mitarbeiter kann natürlich selbst entscheiden, ob das Angebot angenommen wird oder nicht. Wichtig ist nur, dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird“, so Schmalzer weiter. Mitglieder des Sozius-Teams gehen mit bestem Beispiel voran: Auch sie nutzen Sozius, um Ereignisse aufzuarbeiten.

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