Scheidender Wiener-Linien-Chef: "Am Ende geht es immer um die Finanzen“
40 Jahre war der studierte Bauingenieur Günter Steinbauer bei den Wiener Linien tätig, 2001 stieg er in die Geschäftsführung auf, seit 2004 war er CEO des Unternehmens. In seine Ägide fielen unter anderem Verlängerungen von U1 und U2, die Planungen für das aktuelle Großprojekt U2/U5 sowie für den automatischen Betrieb der neuen Linie und zahlreiche neue Fahrzeuggenerationen bis hin zum X-Wagen, der noch in diesem Jahr die ersten Fahrgäste befördern soll.
Mit dem heutigen 1. November trat er in den Ruhestand, aus diesem Anlass traf ihn der KURIER zum großen Abschieds-Interview.
KURIER: Wie sehr werden Sie Ihren Beruf vermissen?
Günter Steinbauer: Wenn man von der Bühne abtritt, vermisst man das schon ein bisschen, das ist keine Frage. Aber im Wesentlichen überwiegt der Stolz auf das, was man in den 40 Jahren begleiten und gestalten konnte.
Worauf sind Sie denn stolz?
Da gibt es mehreres, etwa den großen U-Bahn-Netzausbau, den es unbedingt braucht, die Einführung neuer Fahrzeuggenerationen und Antriebstechnologien. Aber auch auf interne Organisationsumgestaltungen, Investitionen in die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen.
Günter Steinbauer, geboren 1957, studierte an der TU Wien Bauingenieurswesen, bevor er 1982 in den Dienst der Wiener Linien trat. Zunächst war er für die Bauwerkserhaltung zuständig, danach vor allem für den U-Bahn-Bau.
2001 stieg Steinbauer in die Geschäftsführung auf, 2004 wurde er deren Vorsitzender und CEO. In seine Ägide fielen unter anderem die Verlängerungen von U1 und U2, die Planung des aktuellen Großprojekts U2/U5 und des automatischen Betriebs auf der neuen Linie sowie zahlreiche neue Fahrzeuggenerationen bis hin zum X-Wagen, der noch in diesem Jahr erstmals Fahrgäste transportieren soll.
Seine Nachfolgerin Alexandra Reinagl kennt das Unternehmen bestens. Die studierte Juristin stieß 2011 zu den Wiener Linien, zuvor werkte sie in der Stadtverwaltung sowie als Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Ost-Region (VOR). Als erstes weibliches Mitglied der Geschäftsführung war sie zuständig für Betrieb und Vertrieb und zeichnete in dieser Funktion unter anderem für die Einführung der Marke "WienMobil" und der zugehörigen WienMobil-App verantwortlich.
Reinagl führt künftig das erste rein weibliche Geschäftsführungs-Team der Wiener Linien. Ihr zur Seite stehen Petra Hums, seit 1993 bei den Wiener Linien und seit Jahresbeginn zuständig für Finanzen, Recht, Personal und IT, sowie Gudrun Senk, die von der Wien Energie zu den Verkehrsbetrieben wechselt und Steinbauers Agenden für Bau und Technik übernimmt.
Ist es schwierig, immer offen für Neues zu bleiben?
Das ist sicher die Herausforderung, wenn man seinen Job länger als die klassischen zwei Perioden macht. Weil man dann oft auch frühere eigene Entscheidungen infrage stellen muss. Aber ich glaube, ich bin bis zum Schluss neugierig geblieben und als Techniker wollte ich natürlich immer die neuesten technischen Dinge. Ich durfte auch immer als Erster die neuen Handys ausprobieren.
Wollten Sie immer schon ins Management?
Den Ehrgeiz, in höhere Positionen aufzusteigen, hatte ich immer schon. Ich habe auch schon nach sechs Wochen im Unternehmen spaßhalber den damaligen Direktor gefragt, wie das so geht, dass man Geschäftsführer wird.
Was hat er geantwortet?
Er hat gemeint, ich soll noch ein bisschen warten (lacht).
Sie haben einen sehr politiknahen Job ausgeübt. Lag Ihnen das von Anfang an?
Ich war schon in meinen Jugendtagen ein politisch denkender Mensch. Ursprünglich hätte ich vielleicht auch einmal vorgehabt, in der Politik zu arbeiten. Das hat sich anders entwickelt, aber diese Denkweise und wie man an manche Dinge herangeht, das liegt mir in meinem Inneren.
Alles wird teurer, nur die Jahreskarte nicht. Wie lange wird das zu halten sein?
Es gibt ja durch das Klimaticket zwei Player, die über die Tarife mitentscheiden. Sowohl die Stadt als auch das Klimaschutzministerium haben für die jeweiligen Legislaturperioden diese Tarife garantiert. Aber ich denke schon, dass eine gewisse Nutzerfinanzierung wichtig ist. Die Modelle mit den Null-Tarifen wie in Luxemburg oder Malta sind von der Fahrgastseite her nicht wahnsinnig erfolgreich.
Bei den Klimaticket-Verhandlungen hat es mit der Ostregion besonders lange gedauert. Warum?
Am Ende geht es immer um die Finanzen. Und bei so einem großen Raum wie Niederösterreich ging es natürlich um die Abgeltungen der Mindereinnahmen.
Kolportiert wurde, dass Wien auf der Bremse steht.
Es ging auch für uns um einige Fragen, etwa hinsichtlich des Vertriebs. Aber von der Finanzseite her war Wien nicht so betroffen, weil wir ja das 365-Euro-Ticket schon hatten.
Wie viel Einfluss hatten Sie darauf, welche Öffi-Projekte in welcher Reihenfolge umgesetzt werden?
Das Zauberwort ist Zusammenarbeit, zuallererst mit der Stadtplanung. Da gibt es natürlich auch Diskussionen, aber am Ende hat man immer einen guten Weg gefunden. Und an uns liegt es dann, das zeitlich pragmatisch umzusetzen. Klar, man muss die Finanzierungen klären, aber das geht eigentlich in einer vernünftigen Diskussion ab.
Gab es Projekte, für die Sie mehr kämpfen mussten?
Natürlich war es schon eine gewisse Überzeugungsarbeit, jetzt in der Innenstadt noch einmal diese schweren Baustellen zu machen. Aber wie man sieht, ist das Verkehrsgeschehen an der Oberfläche dank guter Vorbereitung nicht zusammengebrochen. Und natürlich hat uns das Bewusstsein für den Klimawandel auch geholfen.
Ist ein Szenario denkbar, in dem man noch einmal so zentrumsnah das U-Bahnnetz nachverdichten muss?
Eine U7 sehe ich eigentlich nirgendwo. Ich wüsste nicht, wo die fahren soll.
Kommt die U5 nicht viel zu spät?
Es gibt ja Stadtentwicklungspläne und Mobilitätskonzepte und die arbeiten wir ab. Von 2010 bis 2020 gab es den Bedarf, die Seestadt Aspern mit vielen neuen Wohnungen gut zu erschließen. Und jetzt geht es darum, in der Kernstadt, wo Linien schon an die Belastungsgrenze kommen, zu entlasten. Man kann immer diskutieren, was man zuerst macht, aber alles gleichzeitig geht halt nicht.
Für die vorausschauende Anbindung der Seestadt gab es viel Lob. Gleichzeitig wird das Fehlen von Tangentialverbindungen zwischen Floridsdorf und der Donaustadt moniert.
Die Radialverbindungen sind schon die wesentlich stärkeren. Und grundsätzlich sollten der Bedarf und die Antwort darauf korrelieren. Eine Ring-U-Bahn wäre jenseits aller Kosten-Nutzen-Verhältnisse. Eine gut beschleunigte Straßenbahn ist die richtige Antwort.
Apropos Ring: Wäre ein S-Bahn-Ring eine sinnvolle Ergänzung des Öffi-Netzes?
Ob es den Bedarf wirklich gibt, soll die Machbarkeitsstudie zeigen. Es wird sicher einen gewissen Nutzerkreis geben, aber ob es in Relation zum Aufwand steht, sollte man sich sehr fundiert anschauen.
Momentan gibt es wieder längere Intervalle wegen vieler Krankenstände. Wie schlimm ist der Personalmangel?
Wir haben derzeit eher einen Arbeitskräfte- als einen Arbeitgebermarkt. Dazu müssen wir die Generation der Babyboomer ersetzen. Wir können das Ärgste dämpfen, aber eine Zeit lang werden sich Beeinträchtigungen nicht vermeiden lassen.
Wie attraktiv sind die Wiener Linien als Arbeitgeber?
Die Bewerbungslage ist gar nicht so schlecht. Aber das Arbeitsumfeld ist schwierig – Schichtdienste, Wochenenddienste, Nachtarbeit etc. Das schreckt dann doch ab. Und bei manchen scheitert es leider auch an der Qualifikation.
Welche weiteren Herausforderungen liegen vor Ihrer Nachfolgerin Alexandra Reinagl?
Es gibt sehr viele begonnene Großprojekte, den U-Bahn-Bau, Straßenbahnprojekte, Fahrzeugbeschaffungen. Und natürlich die Aufgaben der letzten Meile.
Liegt die letzte Meile denn in der Verantwortung der Wiener Linien?
Wir werden nicht jeden zu seiner Haustüre bringen können, aber unsere Aufgabe ist es, leistbare Mobilität für alle Wienerinnen und Wiener zu gewährleisten. Darum testen wir etwa im 23. Bezirk ein On-Demand-Shuttle.
Im Jahr 2040 will Wien klimaneutral sein, dafür werden noch viel mehr Menschen als heute die Öffis nutzen müssen. Wie soll das funktionieren?
Wir legen derzeit ein sehr gutes Fundament. Wir können die Ressourcen durch Automatisierung bei den U-Bahnen noch deutlich steigern. Das Straßenbahnnetz wird erweitert und wir haben ein Standortkonzept entwickelt, wo in Zukunft noch Bus-Remisen entstehen können, um das Netz zukunftsfit zu gestalten. Wir werden noch viel mehr Leute transportieren müssen, keine Frage.
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