Dass man die Sache mit der Tradition hier keinesfalls auf die leichte Schulter nahm, wurde bereits bei der Ankunft am Baufeld klar. Eine zehnköpfige Abordnung des Blasorchesters der Wiener Linien empfing die Gäste, bevor es 30 Meter in die Tiefe ging. Am Boden der Baugrube angekommen, ließen ein improvisierter Altar sowie zwei Geistliche (einmal katholisch, einmal evangelisch) ebenfalls keine Zweifel daran aufkommen, dass Tradition hier auch wirklich Tradition heißt.
Günter Steinbauer ist als langjähriger Geschäftsführer der Wiener Linien professioneller Bauherr, doch selbst er bekommt nach 13 Tunnelanstichen „immer noch Gänsehaut“, wie er verriet. Schließlich geht es um viel. Das Verkehrsnetz einer Stadt sei wie der Blutkreislauf des Menschen; beide stellten lebensnotwendige Infrastruktur dar, so Steinbauer.
Irdische Barbara
Der Vergleich mit der Medizin war freilich kein Zufall. Zur Tunnelpatin wurde nämlich Susanne Drapalik, Präsidentin des Samariterbundes Wien, erkoren. Und eine Tunnelpatin braucht es: Sie gilt für die Dauer der Bauarbeiten als irdische Vertreterin der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Wir erinnern uns: die Tradition.
Ihre Kernaufgaben – symbolischer Anstich des „Susanne-Tunnels“ und Transport einer Barbara-Statue in die dafür vorgesehene Vitrine – erledigte Drapalik ohne Tadel; bereits zuvor hatte sie bekannt gegeben, es sei ihr sowohl Ehre als auch Freude, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen.
In weiterer Folge übernehmen natürlich die Profis und errichten vorerst die Tunnel im Stationsbereich. Vorab wurde das Erdreich bereits durch Vereisen stabilisiert. Ab sofort graben sich Bagger durch die Erde, abgesichert wird der Vortrieb mit Spritzbeton. Ab Sommer passiert dasselbe auch von der anderen, der Rathaus-Seite her.
In zwei Jahren kommt der Maulwurf
Ab 2024 wird dann mittels Schildvortriebsmaschine – auch Maulwurf genannt – der eigentliche Tunnel gegraben. An der Oberfläche soll man davon nichts mitbekommen, eine „minimalinvasive Methode“ nannte das Steinbauer in einer weiteren medizinischen Metapher. Bis zum Augustinplatz wird sich der Maulwurf graben, dann wird er abgebaut, am Matzleinsdorfer Platz wieder aufgebaut und das Spiel wiederholt sich für die zweite Tunnelröhre.
2028, so der Plan, soll die verlängerte U2 dann ihren Betrieb aufnehmen. Sofern nichts dazwischenkommt. „U-Bahn-Bau ist die Champions League“, sagt Porr-Vorstand Jürgen Raschendorfer. Wassereinbrüche könnten genauso vorkommen wie archäologische Funde, Überraschungen seien Standard.
Dafür, dass es keine zu großen Verzögerungen gibt, will Drapalik sorgen. „Ich werde Sie oft besuchen, weil mir die Zukunft des Tunnels sehr am Herzen liegt“, so die Ankündigung der Tunnelpatin in Richtung der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Glück auf.
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