In den alten Gemäuern des Landesgerichts Wiens hat es tropische 30 Grad, als Michaela Obenaus den KURIER zum Interview trifft. Die gebürtige Niederösterreicherin hat mit Juni die Leitung der größten Anklagebehörde des Landes, die Staatsanwaltschaft Wien, übernommen. Ihre Karriere begann sie bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten. 2017 wechselte Obenaus ins Justizministerium und war dort unter anderem für Extremismusdelikte, Gnadensachen und Gewalt in der Familie zuständig.
KURIER: Sie haben den Ruf, sehr penibel zu sein.
Michaela Obenaus: Es ist wichtig, sich erst einen Eindruck zu verschaffen. Nicht vorschnell zu beurteilen, sondern sachlich voranzukommen und dann überlegte Entscheidungen zu treffen.
Die Staatsanwaltschaft Wien wird auch als Kaderschmiede bzw. Flaggschiff bezeichnet.
Hier arbeiten derzeit 120 Staatsanwälte und Staatsanwältinnen. Wer hier arbeitet, sieht einiges und kann viel lernen, wir haben ein variantenreiches Betätigungsfeld. Jugendstrafsachen, Wirtschaftsstrafsachen, Organisierte Kriminalität, Gewalt im sozialen Nahebereich, Sexualstrafsachen und viele allgemeine Abteilungen. Es ist schön, wenn sich die Leute weiterentwickeln und auch zu den Instanzen gehen, wie etwa zur Oberstaatsanwaltschaft oder ins Justizministerium.
Ein aktuelles Verfahren, das sehr breit in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist der Fall Teichtmeister – da gab es auch Kritik an der Dauer des Ermittlungsverfahrens.
Es ist natürlich wichtig, Ermittlungsverfahren effizient abzuwickeln. Aber wir werden mit verschiedenen Problemfeldern konfrontiert, z.B. enormen Datenmengen, die gesichtet und rechtlich bewertet werden müssen. Besonders im Bereich Kinderpornografie sind die Ermittlungen technisch herausfordernd. Oft gibt es Auslandsbezug. Eine interne Arbeitsgruppe ist gerade dabei, sich allgemein die Abläufe anzuschauen und an gewissen Schrauben zu drehen.
Was meinen Sie damit?
Es geht um die internen Informationsflüsse, die Strukturierung, das Verfahrensmanagement. Zusammenhängende Verfahren sollen innerhalb einer Gruppe konzentriert werden, wenn das möglich ist.
Können Sie die die Kritik von außen nachvollziehen?
Natürlich. Man muss aber auch dazu sagen, dass ein Großteil der Verfahren zügig abgewickelt wird. In den Medien sind oft die langen Verfahren, die clamorosen Verfahren, die meistens auch berichtspflichtig sind an die Oberbehörden. Das halte ich aber genauso für wichtig, dass es diese Berichtspflichten gibt, weil ich das als Qualitätskontrolle sehe.
Nicht immer stimmt das Gerechtigkeitsempfinden der Öffentlichkeit mit dem Urteil überein. Ist das ein Problem aus Ihrer Sicht?
Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Ermittlungsverfahren aufgrund der Gesetze durchzuführen. Dass das für einen Laien, der nicht tagtäglich mit Strafverfahren konfrontiert ist, nicht nachvollziehbar ist, überrascht nicht. Ich denke, es gilt den Bürgerinnen und Bürgern unsere Arbeit zu erklären, transparent zu sein.
Spüren Sie bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren einen gewissen Druck?
Dann dürfte man nicht bei der Staatsanwaltschaft arbeiten. Wir haben gelernt, alle Verfahren gleich zu behandeln. Ohne Ansehen der Person, der Causa. Da lassen wir uns nicht beirren. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Medien über unsere Verfahren berichten. Aber man muss ja nicht alles lesen.
Strafverschärfungen sind immer wieder Thema. Unter anderem im Bereich Kinderpornografie. Gibt es Bereiche, wo Sie Verschärfungen für sinnvoll halten?
Anlassgesetzgebung ist ein schwieriges Thema. Es geht eher darum, die bestehenden Strafrahmen auszuschöpfen.
Sie waren im Justizministerium auch für das Thema Gewalt in der Familie zuständig. Ein Thema, das auch uns Medien laufend beschäftigt, Stichwort Frauenmorde.
Die hohe Rate an Frauenmorden ist ständig präsent. Opferschutz steht an vorderster Stelle. Es ist wichtig, zu hinterfragen, was wir noch machen können. Da geht es auch um die Täterarbeit, die Gefährdungseinschätzung. Die Institutionen müssen gut vernetzt sein, es dürfen keine Informationen verloren gehen. Dazu gehört die fundierte Begutachtung von Verletzungen. Klinisch-forensische Beweissicherung ist extrem wichtig. Wir kämpfen mit einem Mangel an Gerichtsmedizinischen Sachverständigen. Ich durfte im Justizministerium das Projekt zur Einführung von Gewaltambulanzen verbunden mit Maßnahmen zur Stärkung der Gerichtsmedizin betreuen. Ich wünsche mir, dass das zügig weitergeht. Wir brauchen die Gerichtsmedizinische Expertise in der Praxis ganz dringend.
Kriminalität verändert sich. Wo bemerken Sie das am stärksten?
Eindeutig im Bereich Cybercrime. In den vergangenen Jahren hat sich Kriminalität zum Teil in den digitalen Raum verlagert. Darauf müssen wir reagieren, seit März 2022 hat die Staatsanwaltschaft Wien eine Kompetenzstelle eingerichtet, bei der aktuell vier Kollegen und Kolleginnen arbeiten. Sie haben eine spezielle Ausbildung, sind gut vernetzt mit den IT-Experten der Polizei. Diese Verfahren haben sehr oft technische Herausforderungen, die Ermittlungen sind sehr komplex. Wir müssen mit dem technischen Fortschritt mitwachsen. Bei einigen Ermittlungsschritten stehen wir an. Es gibt Bereiche, wo wir nicht weiterkommen.
Vonseiten der Polizei kommt immer wieder die Forderung nach einer Ausweitung der Befugnisse bei den Ermittlungen. Sind Sie derselben Meinung?
Was den Bereich verschlüsselte Kommunikation anlangt, wünschen wir uns natürlich mehr Befugnisse. Niemand möchte, das betone ich, uferlose Befugnisse. Die Rechtsstaatlichkeit muss gewährleistet sein. Aber ja, es telefoniert heute niemand mehr, es werden andere Infokanäle benutzt. Hier eine Überwachung im gesetzlichen Rahmen zu ermöglichen, würde uns viele Ermittlungen erleichtern. Auch wenn das politisch schwierig ist.
Auch die Organisierte Kriminalität kommuniziert mit Kryptohandys. Bei einer entsprechenden Verhandlung hier im Haus gab es sogar Personenschutz für die Richterin. Gibt es eine Gefährdungslage für Staatsanwälte in dem Bereich?
Wir sind immer wieder mit Bedrohungsszenarien konfrontiert. Ab und an ist es notwendig, bei Hauptverhandlungen für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen zu sorgen. Auch bei anderen Terminen. Mitarbeiter-Schutz steht an erster Stelle.
Heikel waren auch die Ermittlungen nach dem Terroranschlag. Allerdings ist der Staatsanwaltschaft da ein Fehler passiert. Ein Teil des Verfahrens gegen den Waffenhändler des Attentäters wurde irrtümlich eingestellt.
Wir haben in diesem Terrorverfahren gegen mehr als 35 Beschuldigte ermittelt. In weniger als zwei Jahren ist die Anklage gegen sechs Hauptbeschuldigte eingebracht worden, die dem Attentäter sehr nahe gestanden sind. Unter den vier (nicht rechtskräftig) verurteilten Haupttätern war auch jener Mann, der für den Attentäter die Waffen organisiert und übergeben hat. Der Fall, den Sie ansprechen, betrifft eine Person, die in der Kette weiter hinten stand. Letztlich wurde auch er nach dem Waffengesetz verurteilt. Aber ja, Fehlerkultur ist wichtig. Wir evaluieren die Abläufe und schärfen dort nach, wo es notwendig ist.
Immer wieder hört man, dass es zwischen der Staatsanwaltschaft Wien und der WKStA ein gewisses Konkurrenzverhältnis gibt …
Es gibt immer wieder Berührungspunkte. Ich stehe in gutem Austausch mit der Leiterin der WKStA. Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern als Miteinander.
Wie sieht es mit der Personalsituation bei der Staatsanwaltschaft Wien aus?
Auch für uns ist es schwierig, Personal zu finden. Wir bearbeiten jährlich 150.000 Verfahren, im ersten Halbjahr 2023 waren wir schon bei 80.000. Der Anfall steigt also weiter. Das macht sich auch bei der Belastung einzelner Kollegen bemerkbar, wir arbeiten am Limit. Aber wir haben eine hohe Motivation. Im Bereich Cybercrime bekommen wir Stellen dazu. Aber es gibt Luft nach oben.
Reizt es Sie persönlich, wieder als Staatsanwältin im Gerichtssaal zu sitzen?
Die Leitung ist mit vielen Managementaufgaben verbunden. Ich habe mir noch keinen neuen Talar machen lassen. Aber das steht auf der To do-Liste. Ich kann nicht ausschließen, dass ich wieder mal verhandeln bin.
Haben Sie sich ein persönliches Ziel gesteckt?
Bei meiner Amtseinführung habe ich die Staatsanwaltschaft Wien mit einem großem Tankschiff verglichen, das manchmal auch in stürmische Gewässern fährt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Tanker auf Kurs bleibt.
(kurier.at, mr)
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Aktualisiert am 20.07.2023, 14:02
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