Wien ist Hauptstadt der Obdachlosen

Herr Friedrich jetzt in einem Haus des Fonds Soziales Wien
Viele kommen aus den Bundesländern. Stadt gibt 48 Mio. Euro für Hilfe aus.

Der Bart ist gestutzt, die Haare ordentlich gekämmt: „Es passt schon“, sagt Herr Friedrich. Vor gut einem Monat traf ihn der KURIER noch versteckt im Schlafsack unter einem Baum im Stadtpark an, nun kann er ein sechs Quadratmeter großes Zimmer sein Eigen nennen. „Es ist hier ein bisschen wie im Studentenheim“, sagt Herr Friedrich schmunzelnd.

Doch der Weg in das „Wieder Wohnen“-Haus im 3. Bezirk war kein leichter. Nach der umstrittenen Räumung im Stadtpark hat sich der Zustand seiner Wunde am Bein so verschlimmert, dass er ins Spital musste. Auch wenn es seinem Bein nun viel besser geht und er sich über das eigene Bett freut, erklärt Herr Friedrich: „Ich vermisse meine Truppe aus dem Stadtpark.“ Dort haben sie immer zusammengehalten. Tag und Nacht; Sommer wie Winter. Schlafquartiere brauche er keine. „In die Gruft gehe ich nicht – da werde ich nur bestohlen“, erklärt Herr Friedrich. „Nächte im Freien härten ab.“

Ein Problem, das Caritas-Sozialarbeiterin Susanne Peter gut kennt. Viele ihrer Klienten ziehen die Nacht auf der kalten Straße einer Sozialeinrichtung vor. „Es braucht viel Zeit und Geduld, Menschen, die oftmals vom Leben schwer enttäuscht sind, dazu zu bringen, in eine Einrichtung zu gehen.“

Notquartier-Auslastung

Notquartiere – zumindest für Wiener – gäbe es eigentlich genug, wird seitens des Fonds Soziales Wien (FSW) betont. 48 Millionen Euro nimmt die Stadt jährlich für die Wohnungslosenhilfe in die Hand. Derzeit sei man zu 92 Prozent ausgelastet.

Cecily Corti von der Vinzirast sieht das ganz anders: „Wir sind bummvoll. Wir müssen täglich Menschen abweisen, manchmal bis zu 10 am Tag.“ Wie kommt es zu diesem Ungleichgewicht? „Wir nehmen wirklich jeden auf“, sagt Corti. Egal ob Österreicher, Tschetschene oder Nordafrikaner. Anspruch auf die Wohnungslosenhilfe haben vordergründig Wiener.

Fakt ist jedoch, dass die Zahl der Obdachlosen aus den Bundesländern oder dem Ausland rasant zunimmt. Peter Hacker vom FSW fordert deshalb auch: „Wir brauchen die solidarische Unterstützung anderer EU-Staaten und der österreichischen Bundesländer.“

Cecily Corti ergänzt: „Es braucht eine Bewusstseinsveränderung der Bevölkerung.“ Es braucht einen menschlicheren Umgang. Der Meinung ist auch Herr Friedrich. Eine Beschwerde gegen Polizei und MA 48 wegen der Stadtpark-Räumung wurde eingereicht.

Immer wieder suchen Obdachlose abgestellte Züge zum Übernachten auf. Vor allem bei Schnee und Kälte finden sie hier ein wenig Schutz und Wärme. Doch zur Ruhe kommen sie dort selten, wie der ORF berichtete. Denn die ÖBB sehen die Waggons keineswegs als geeigneten Schlafplatz und vertreibt die Schutzsuchenden.

„Zum einen sind die Gleisanlagen für Bahn-Laien äußerst gefährlich“, sagt ÖBB-Sprecher Michael Braun. Im Bereich der abgestellten Züge verlaufe der Strom oft am Boden. Personen könnten zudem über Gleise stolpern oder durch vorbeifahrende Züge zu Schaden kommen.

Ein weiterer Punkt: Es sei auch im Zuge der Übernachtungen immer wieder zu Vandalismus gekommen. „Und gerade heuer haben wir 580 Millionen Euro in neue Züge investiert“, erläutert Braun.

Als Ersatz stellen die ÖBB nun einen Aufenthaltsraum in Wien-Liesing zur Verfügung, der vom Roten Kreuz betreut werden soll. Laut Rot-Kreuz-Sprecher Andreas Zenker hätten dort etwa 40 Personen Platz. Das Quartier soll jedoch nur im Bedarfsfall geöffnet werden. Auch weitere Notquartiere in ganz Österreich – beispielsweise in St. Pölten, Linz, Salzburg oder Innsbruck – werden folgen. „Die zusätzlichen Energiekosten übernehmen wir gerne“, sagt Braun. Aber: Übernachtungen in Waggons dulde man keine.

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