Wien in 50 Jahren: Keiner kommt wegen des Canaletto-Blicks

Wien in 50 Jahren:  Keiner kommt wegen des Canaletto-Blicks
Wohin die Stadt wächst und warum Lebensqualität nicht alles ist, erklärt Trendforscher Franz Kühmayer.

Vor 50 Jahren dachte man, wir würden mit der Jahrtausendwende mit Flug-Autos unterwegs sein. Dass die relevanteste Innovation das Internet sein würde, ließ sich nicht absehen. Und als es erfunden war, hätte wohl kaum jemand vorausgesehen, dass wir es massenhaft dazu benutzen, unsere Selfies zu posten oder Wutkommentare kundzutun. 

Wie wird also das Leben im Wien des Jahres 2073 aussehen? Der KURIER hat sich mit dem Trendforscher Franz Kühmayer unterhalten. Er gibt überraschende Antworten.

KURIER: Ich wache im Jahr 2073 in Wien auf und schaue aus dem Fenster: Wie hat sich das Straßenbild verändert?

Franz Kühmayer: Wir haben viel zu naive Vorstellungen von der Zukunft, besonders bei einem Blick über mehrere Jahrzehnte nach vorne. Das Problem ist, dass wir von der Gegenwart linear hochrechnen und uns so ein Bild malen. Ich glaube aber, wenn wir 50 Jahre in die Zukunft schauen, werden wir die Stadt nicht mehr wiedererkennen. Und das ist gut so. Genauso wie wir in 50 Jahren unvorstellbar finden werden, was wir einmal für normal gehalten haben, wenn wir auf das Jahr 2023 zurückschauen. Dass wir beispielsweise den Autoverkehr als ein maßgebliches Kriterium von Stadtplanung angesehen haben, dass wir uns mit der Frage Energie erst beschäftigt haben, als der Hut schon gebrannt hat. Und noch eine ganze Reihe von solchen Dingen, die uns absurd vorkommen. So wie es uns heute absurd vorkommt, wenn wir uns Bilder aus Wien um die Jahrhundertwende anschauen. Bei einer Sache bin ich mir jedenfalls ganz sicher: Je präziser unsere Vision vom Jahr 2073 ist, umso sicherer ist, dass es so nicht sein wird. Dennoch müssen wir eine Vision haben. Aber diese muss sozusagen ein Korridor sein, eine Richtung, in die wir uns entwickeln wollen.

Die Stadt wächst, die Zwei-Millionen-Marke wird Wien voraussichtlich bereits 2028 knacken. Zusätzlicher Wohnraum muss her: Wachsen wir in der Zukunft also in die Breite, in die Höhe – oder beides?

Ich hoffe, dass wir nicht in die Fläche wachsen, sondern in die Verdichtung hinein. Genau das ist ja der Effizienzvorteil, den die Stadt bieten kann. Man will ja nicht Los Angeles werden, das ins Grenzenlose ausufert. Wenn man nicht mehr weiß, ob man in Wien ist oder nicht, verliert man jeden Standortvorteil.

Ist Wien bei der Wohnraumschaffung unterwegs in die richtige Richtung?

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Bücher in den Häcksler werfen und das Wissen „downloaden“: Wissensvermittlung im Jahr 2000 – oder  2073?  

Gerade bei der vorausschauenden Stadtentwicklung und Verkehrsplanung war Wien in vergangenen Jahren sehr smart. Etwa bei der Seestadt Aspern: Das ist ja eigentlich ein Musterbeispiel. Zu sagen, wir extrapolieren das Wachstum, wir wissen, dass wir ein großes Stadtentwicklungsgebiet brauchen werden, wir bauen schon einmal eine U-Bahn, bevor überhaupt die Notwendigkeit besteht. Das sind beispielhafte Dinge. Und man kann nur hoffen, dass das auch so weitergeht.

In den vergangenen Tagen hat Wien bei verschiedenen Rankings wieder den Status als lebenswerteste Stadt der Welt bekommen. Welche Maßnahmen müssen wir heute setzen, dass wir auch in 50 Jahren noch diesen Status haben?

Ich würde hier die Gegenfrage stellen: Wofür soll Wien stehen? Welche Rolle spielt Wien als Weltstadt? Denn Wien ist hauptsächlich wegen seiner Geschichte und kulturellen Vergangenheit bekannt und nicht für seine Errungenschaften der Gegenwart. Wenn ich also darüber nachdenke, ob Wien eine der spannendsten Städte der Welt ist, in welcher Zukunft entsteht, wird mir schnell klar werden, dass da mehr dazugehört als Lebensqualität. Da muss ich mich dann fragen: Sind hier die besten Universitäten? Ist hier ein Zentrum für Technologie oder Innovation? Ist Wien ein Zentrum für Politikentwicklung ? Ist es eine Drehscheibe des internationalen Handels? Wenn man sich solche Kriterien anschaut, wird es schon ein bisschen stiller. Und daher kann man schon sagen, aufbauend auf dieser tollen Lebensqualität, könnte Wien auch ein Upgrade seiner Vision vertragen. Es kann nicht immer nur Rückgriff auf die Ringstraßenpalais sein.

Mehr dazu: Lebenswerteste Stadt der Welt: Wien im Monocle-Ranking auf Platz 1

Sie sprechen die historische Architektur der Stadt an. Man sagt ja auch gern „Wien ist ein Museum“. Aber wie zukunftsorientiert ist das? Wie wird sich der Erhalt der alten Bausubstanz mit einer immer notwendiger werdenden Nachverdichtung ausgehen?

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