Wegen Missbrauchs verurteilt, aber immer noch auf freiem Fuß

Konstantin N.
Mann verging sich unzählige Male an seinem Neffen. Opfer klagt über das Vorgehen der Justiz.

Konstantin N. hat lange darauf gewartet. Auf die Gerechtigkeit. Am 15. November des Vorjahres, so erinnert er sich, da hat er sich erlöst gefühlt. Sein Onkel wurde an diesem Tag in Wien zu zwölf Jahren Haft verurteilt – er hatte den heute 40-Jährigen unzählige Male als Kind missbraucht.

Auch die Großneffen waren dem Mann zum Opfer gefallen. Vom "hundertfachen Missbrauch", sprach die Richterin damals. Vom "Teufel, der sich Kinderseelen gekauft hat", der Richter des Oberlandesgerichtes, der das Urteil bestätigte. Und jetzt? Der heute 75-jährige Onkel hätte seine Haftstrafe längst antreten sollen. Hat er aber nicht. Er sei aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht dazu in der Lage, sagt er.

Konstantin N. versteht die Welt nicht mehr. Jahrzehntelang hat er gelitten.

Leidensgeschichte

"Der Missbrauch hat angefangen, da war ich sechs, sieben Jahre alt", erzählt er. Der "gute Onkel" war gern gesehen in der Familie. Schließlich half er bei finanziellen Problemen aus. Auch Konstantin N. bekam Geld von ihm. Oder teures Spielzeug. Nach jedem Besuch. Bis die Pubertät einsetzte. "Ab dem Zeitpunkt war ich uninteressant für ihn."

Den Missbrauch hat niemand in der Familie bemerkt. Konstantin N. sprach nicht darüber. Er litt leise, rutschte ab. Trank, nahm Drogen, lebte am Karlsplatz, ging in Haft. "Ich habe alles genommen, was mir beim Vergessen geholfen hat."

Im Jahr 2003 schließlich, da hatte er dann "diesen Moment". Er war in Therapie, fasste den Entschluss: "Ich muss jetzt eine Anzeige machen. Wer weiß, wie lange ich noch lebe."

Er ging zur Polizei, machte eine Aussage. Und erntete Kritik von der Familie, die ihm nicht glaubte. Und schließlich kam ein Brief, indem er erfuhr, dass das Verfahren eingestellt worden war. "Ich war für die Polizei damals nicht glaubwürdig." Dann kam der komplette Absturz. "Ich war drauf wie Schwein."

"Spießiges Leben"

Irgendwie hat er dann doch die Kurve gekratzt, eine Therapie gemacht und "die richtige Frau" kennen gelernt. Mit ihr hat er zwei Kinder, führt nun ein "spießiges Leben" und hat einen fixen Job.

Doch seine Vergangenheit ließ ihn nicht los. Doch noch einmal zur Polizei gehen – das war aussichtslos. "Ich habe meine Neffen so lange sekkiert, bis sie endlich eine Anzeige gemacht haben", sagt er. 2014 war das. Und plötzlich glaubte man den Opfern.

Er habe gelernt, über das Geschehene zu sprechen. Er stellte sich zur Verhandlung vor den Saal und blickte seinem Onkel lange in die Augen. Und endlich gab es Gerechtigkeit. Der Onkel stimmte nach anfänglichem Leugnen sogar einer finanzielle Wiedergutmachung über 214.000 Euro zu.

Kein Geld

"Geld haben wir keines gesehen. Angeblich hat er plötzlich keines mehr", sagt Konstantin N. Was aber viel schwerer wiegt, ist der Gedanke: "Da läuft ein verurteilter Kinderschänder frei herum. Wir waren ja nicht die einzigen, die er missbraucht hat."

Ein Gutachter muss nun den 75-Jährigen untersuchen – er entscheidet über eine eventuelle Haftunfähigkeit. Das kann allerdings dauern.

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