Genosse Nachbar: Was Favoriten über die neue SPÖ-Zentrale denkt
Neuigkeiten verbreiten sich in der Nachbarschaft schnell. Erst recht, wenn neue Nachbarn einziehen. In diesem Fall die Wiener SPÖ: Ab 2026 will sie in das historische Arbeiterheim Favoriten in der Laxenburger Straße 8 ziehen.
Derzeit ist das kunstvolle Eisentor noch mit Graffiti besprüht, hinter den Fenstern sind Vorhänge zugezogen. Einladend wirkt nur die Grätzeloase vor dem Haus.
Die Umzugspläne der SPÖ haben sich im Grätzl schon herumgesprochen, auch schräg gegenüber im Café Gloria. „Mich hat noch am selben Abend ein Nachbar angerufen und mir alles erzählt“, sagt die Chefin.
Grazyna Rimser, die von ihren Gästen aber nur „Gloria“ genannt wird, lebt seit 30 Jahren im Bezirk, das Kaffeehaus führt sie seit zwölf Jahren. Einige Passanten werden von der Chefin gegrüßt – und umgekehrt. Man kennt sich eben.
Ein Bezirk mit Problemen
„Die Leute freuen sich, dass die Roten herziehen. Sie hoffen, dass sich dann ein paar Dinge zum Besseren ändern. Wenn sie die Probleme selbst sehen, passiert vielleicht endlich was.“ Zu kämpfen habe man mit randalierenden Jugendlichen, Müll auf den Straßen, aber auch mit Drogenkonsum.
Assoziiert wird mit Favoriten der Viktor-Adler-Markt, die Wiener Austria und der Böhmische Prater. Aber auch mit den Silvester-Randalen und Siegesfeiern nach dem Wahlsieg des türkischen Präsidenten Erdoğan. Er ist der bevölkerungsreichste Bezirk mit hohen Arbeitslosenzahlen und niedrigen Bildungsgraden.
Auch wenn dies heute aus dem Bewusstsein verschwunden ist: Tatsächlich gibt es in Wien kaum ein Gebäude, das so eng mit der Geschichte der Sozialdemokratie verbunden ist wie jenes in der Laxenburger Straße.
Errichtet hat es der Otto-Wagner-Schüler Hubert Gessner. Im Arbeiterheim, das gleich mehrere Säle, Bühnen, Lokale und eine Bibliothek beherbergte, hielt die Sozialdemokratische Arbeiterpartei bis zum Verbot 1933 ihre Parteitage ab.
Dass hier die Wiener Landespartei ihre neue Heimat finde, habe intern durchwegs positive Reaktionen hervorgerufen, sagt eine Sprecherin. Der Tenor laute: Wenn man schon die altehrwürdige Parteizentrale in der Löwelstraße verlassen müsse, dann sei ein historisch so bedeutsamer Bau das ideale neue Quartier für die rund 100 Mitarbeiter.
Schwierige Arbeitsbedingungen
Für sie waren die Arbeitsbedingungen in der Löwelstraße zunehmend untragbar geworden: Das Gebäude müsste dringend saniert werden, es fehlen größere Besprechungsräume, das WLAN funktioniert schlecht, die Barrierefreiheit ist nicht gegeben.
Eine Adaptierung wäre laut Sprecherin nur mit beachtlichen Flächenverlusten möglich gewesen. Deshalb habe man mehrere Optionen geprüft, aus denen das Arbeiterheim als Favorit hervorging. Noch müssen aber viele Details mit dem Mehrheitseigentümer geklärt werden.
Der Architekt: Hubert Gessner studierte bei Otto Wagner und arbeitete in dessen Büro am Bau von Arbeiterwohnheimen. Nach 1918 entwarf er selbst einige kommunale Wohnhausanlagen für die Stadt.
Parteiverbot: Im Oktober 1933 fand im Haus der letzte Parteitag statt, bevor die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) vom Dollfuß-Regime verboten wurde
Diktatur: Nach 1933 nutzten zunächst die austrofaschistische „Vaterländische Front“ und später dann NSDAP-Organisationen das Haus. Nach Kriegsende folgte die sowjetrussische Kommandantur, erst 1952 ging das Arbeiterheim wieder in Betrieb
Der Bau, der ab der 1990er-Jahre als Hotel genutzt wurde, gehört mehrheitlich der Seca Leasing Gesellschaft, an der unter anderem die UniCredit beteiligt ist. Weiters scheint der SPÖ-nahe Verband Wiener Arbeiterheime als Eigentümer der Liegenschaft auf.
Mit Kaufoption
Laut Landespartei sei noch nicht geklärt, ob die SPÖ Wien die Immobilie kauft oder sich lediglich als Mieter einquartiert. Offen ist auch, ob die Bundespartei ebenfalls nach Favoriten zieht. Wie berichtet, ist sie nicht abgeneigt, muss eine mögliche Übersiedlung aber noch prüfen. Man sei in enger Abstimmung, heißt es.
Jedenfalls sind auch am neuen Standort umfassende Renovierungs- und Umbauarbeiten erforderlich. Die Parteizentrale soll ein Café bekommen – ein Begegnungsort nicht nur für Parteimitglieder. Auch ein Ort für politischer Bildung könnte hier entstehen, mit einem Kino für das Wiener Filmarchiv der Arbeiterbewegung.
Ersatz für Notunterkünfte gesucht
Derzeit sind in dem Gebäude noch Plätze für jeweils hundert Flüchtlinge und Obdachlose, die vom Fonds Soziales Wien betreut werden. Laut einem Sprecher von Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sollte es kein Problem sein, bis 2026 einen Ersatz zu finden.
Der Umzug könnte eine Aufwertung der Gegend bedeuten. Der Bürgermeister soll auf einen Kaffee kommen und am Abend über die Favoritenstraße spazieren
Welchen Empfang man der Partei bereiten wird, wird sich zeigen. Zurück im Café Gloria kommt bei Pensionistin Gerda jedenfalls keine Freude auf: „Jetzt kummt die Parteizentrale a no daher.“ Ob sie glaube, dass die SPÖ im neuen Zuhause näher an ihre Wähler rückt? „Die Politiker sollten versuchen, mit der Mindestpension auszukommen. Die wissen doch nicht einmal, was die Milch kostet.“
Das sieht auch Stammgast Eduard Mitch so: Der SPÖ würde mehr Bezug zur Bevölkerung guttun. Die Probleme seien größer, als man glaube: „Der Umzug könnte eine Aufwertung der Gegend bedeuten. Der Bürgermeister soll auf einen Kaffee kommen und am Abend über die Favoritenstraße spazieren“, empfiehlt der 63-jährige Pensionist.
Mir is` wurscht, ob die SPÖ herzieht. Ändern kann ich`s eh nicht. Und was ich wählen soll, weiß ich sowieso nimma
Was man dort findet, sind Handyshops und die alltägliche Schlange vor dem Kebabstand Ferhat Döner. Gerade noch im Café, steht Kaffeehaus-Chefin Gloria vor dem Kaiser`s Würstelstand. Sie ruft die Rettung für einen obdachlosen Herren, dem die Hitze nicht bekommt.
Jemand aus der Umgebung habe sie alarmiert. Man schaut offenbar gemeinschaftlich auf den Mann, der Würstelstand bieten einen schattigen Sitzplatz und ein Glas Wasser an. Was einem hier aber auch entgegenschlägt, ist viel Politikverdrossenheit. „Mir is’ wurscht, ob die SPÖ herzieht oder nicht. Ändern kann ich’s eh nicht“, erklärt ein Gast. „Die Politik macht immer Versprechungen, die sie dann nie einhält. Und was ich wählen soll, weiß sowieso nimma.“
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