Von Künstler missbraucht: „Ich musste sein Bild jeden Tag sehen“
Jeden Morgen und jeden Abend musste Gabriela* an dem gigantischen Fassadengemälde in der Magdalenenstraße 33 in Mariahilf vorbeigehen.
Das Kunstwerk lag auf ihrem Weg zur Arbeit. Entworfen wurde das Wandgemälde „Atlantis-Klang-Haus“ von dem bekannten Maler Helmut Kand.
Zwei Frauengesichter sind auf der bemalten Hauswand zu sehen sowie mehrere Augen. Die offenen und geschlossenen Augenpaare kann Gabriela kaum ansehen. Zu schmerzlich erinnern sie die 29-Jährige an jenen 18. Dezember vor zwei Jahren.
"Augen-Sticker am Körper"
„Er hat mir überall Sticker mit Augen hingeklebt“, erzählt die junge Frau. Gabriela spricht von Helmut Kand. 2023 wurde der heute 77-Jährige verurteilt, weil er zwei Models, die er für ein Bodypainting-Fotoshooting engagiert hatte, sexuell missbraucht hatte. Neun Monate bedingte Gefängnisstrafe auf drei Jahre Bewährung wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung in zwei Fällen, so lautet das rechtskräftige Urteil.
Missbrauch im Atelier
Eine von ihnen ist Gabriela. Vor zwei Jahren wollte die Kolumbianerin ihr Masterstudium beginnen. Für den dafür notwendigen Kurs brauchte sie Geld und meldete sich für das angebliche Bodypainting-Fotoshooting bei Kand. Gabriela traf sich – genauso wie die zweite Frau – mit dem Maler in seiner Villa in Döbling.
„Ich habe ihn vorher gegoogelt und gesehen, dass er ein berühmter Künstler ist. Dabei habe ich auch gesehen, dass sogar die Stadt Wien Kunstwerke von ihm fördert und ausstellt. Das gab mir Sicherheit“, schildert die Kolumbianerin.
Erst als Kand die Tür zu seinem Atelier zusperrte, wurde sie skeptisch. „Er hatte mir auch Tapas und Wein angeboten, das fand ich merkwürdig“, sagt die junge Frau. Vereinbart war, dass Kand ihren Oberkörper bemalte. Doch daran hielt sich der Künstler nicht. Er habe angefangen, sie zu streicheln und zu bemalen – überall, auch in ihrer Vagina.
"1000-mal Nein gesagt"
„Ich hab' 1.000-mal Nein gesagt, dass er aufhören soll“, schildert Gabriela unter Tränen. Er habe ihr auch Pinselstiele eingeführt. Sie habe aus Angst nicht geschrien oder sich gewehrt.
Vor Gericht stritt Kand später alle Vorwürfe ab. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt in deren Recht auf sexuelle Bestimmung eingegriffen, respektive gegen deren Willen sexuelle Handlungen vorgenommen“, sagte der Künstler auch auf KURIER-Anfrage, Monate nach dem Urteil.
Petition eingebracht
Geändert hat sich für den Künstler seither wenig, er geht weiterhin seiner Kunst nach. Auch seine Werke prägen nach wie vor den öffentlichen Raum, wie etwa vielerorts in der Steiermark oder in Wien in der Magdalenenstraße.
Das wollen die Kollektive „Catcalls of Vienna“ und „Ni Una Menos Austria“ nun ändern. „Wir fordern die sofortige Entfernung aller Werke des verurteilten Sexualstraftäters Helmut Kand von allen von in der Verfügungsberechtigung der Stadt Wien stehenden Liegenschaften und Gebäuden“, heißt es in ihrer Petition, die sie bereits im Juni eingebracht haben.
Zwei weitere Opfer?
Binnen zwei Wochen hatten bereits mehr als 500 Personen unterschrieben. Noch im September werden Vertreter der zwei Kollektive ihr Anliegen vor dem Ausschuss des Stadtrates präsentieren. „Aber auch das ist keine Garantie, dass sich etwas verändern wird“, heißt es vom Vorstand von „Catcalls of Vienna“.
Im Zuge dessen hätten sich auch zwei weitere mutmaßliche Opfer des Malers bei ihnen gemeldet. „Ein Fall ist verjährt, im anderen Fall will die Frau nicht zur Polizei gehen. Man sieht ja, wie wenig bei der Verurteilung herausgekommen ist.“
Stadt prüft Neugestaltung
Nun sieht die Initiative die Stadt am Zug, allen „vergangenen und potenziellen künftigen Opfern des Künstlers“ die Sicherheit im öffentlichen Raum zurückzugeben, die ihnen zustehe. Die Stadt Wien betont, dass man aktuell eine Neugestaltung des Wandbilds in der Magdalenenstraße prüfe. So lange konnte Gabriela aber nicht mehr warten. Sie zog weg aus Mariahilf, um das Kunstwerk nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen.
* Name wurde geändert
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