Vom Schaulustigen zum gewaltbereiten Aktivisten
Die FPÖ beschwerte sich am Samstag, die Wiener Polizei habe (auf Befehl der Polizeispitze) linksradikale Ausschreitungen geduldet und Ballgäste auf dem Weg zur Hofburg unzureichend geschützt. KURIER-Redakteurin Monika Payreder hat Freitagabend in der Wiener Innenstadt Gegenteiliges erlebt – ein Erfahrungsbericht.
Freitagabend, kurz vor 21 Uhr. Die Kollegen, die vom Ball berichten, melden erste „vereinzelte Zwischenfälle“ rund um die Hofburg in die Redaktion, von Farbbeutel- und Pfeffersprayattacken gegen Ballbesucher und Polizisten ist die Rede. Neugierig geworden, mache ich mich nach Dienstschluss auch auf die Suche nach den Krawallen. Allein, ich finde sie nicht. Auf dem Heldenplatz halten noch etwa 200 Menschen eine ruhige, fast schon beschauliche Mahnwache. Nein, das hier sind definitiv nicht die Störenfriede, die sich unter die Demonstranten gemischt haben sollen.
Also ab zur Albertina. Hier waren kurz zuvor noch Ballgäste beflegelt, beworfen und bespuckt worden, hieß es. Die Demonstranten, die jetzt hier ihre Parolen schreien, sind aber friedlich und unter Kontrolle. Die Krawallmacher (sofern nicht festgenommen) scheinen sich zum Graben, Ecke Kohlmarkt verzogen zu haben, zumindest rast ein gutes Dutzend Polizeiautos kurz vor halb zehn durch die Fußgängerzone dorthin. Ich hinterher. Und tatsächlich: Ich sehe aus einiger Entfernung, wie ein Blumentrog aus Stein umgeworfen wird und ein Demonstrant vor Polizisten davonläuft. Ob sie ihn erwischen, sehe ich nicht mehr, denn im nächsten Moment wird es laut und unruhig – und ich bin plötzlich zusammen mit 70 anderen von der Polizei eingekreist.
Einige in diesem bunt zusammengewürfelten Haufen scheinen das Prozedere, das folgt, schon zu kennen: „Das dauert jetzt“, sagt ein Bursch, der zwar offensichtlich schon das eine oder andere Bierchen zu viel intus hat, aber mehr nach Jute-statt-Plastik-Fraktion als nach schwarzem Block (wie gewaltbereite Aktivisten genannt werden) aussieht. Das Paar mittleren Alters rechts neben mir hingegen weiß ganz offensichtlich ebenso wenig, wie ihm geschieht, wie ich oder die vier deutschen Studenten links neben mir. Auf Nachfrage erfahren sie von einem Polizisten: „Na, ihr habt euch ja sicher vorher informiert, was hier los ist. Mitgehangen, mitgefangen.“
Aha. Und wie lange bleiben wir jetzt „mitgefangen“? „Naja, in der nächsten halben Stunde solltest du nicht aufs Klo müssen“, erklärt mir ein Mädchen grinsend, bevor es wieder zu den Trommelklängen weitertanzt. (Danke. Muss ich aber.)
Die vier deutschen Studenten nehmen’s nicht ganz so gelassen, vielleicht auch deswegen, weil der Regen langsam stärker wird. „Ja, klar wollten wir mitdemonstrieren“, sagt einer von ihnen. „Aber wir hier sind doch alle friedlich. Und jetzt sind wir in Sippenhaft. Großartig.“
Eine „Haft“ wird letzten Endes dann doch nicht aus unserer Mitgefangenschaft. Aber wir bleiben eine gute halbe Stunde umzingelt. Und werden dann, einer nach dem anderen, mit unseren Ausweisen zur sogenannten Identitätsfeststellung zu einem Polizeibus außerhalb des Kessels gebeten. Feinsäuberlich wird jeder in eine Liste eingetragen, Name für Name. Dann sind wir frei.
Bleibt die Frage: Wozu das Ganze? Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl erklärt mir am Tag danach: „Wenn im Umfeld eine Straftat passiert, ist die Polizei ermächtigt und verpflichtet, die Identität derer, die Auskunft dazu geben können, zu erheben.“ Das bedeute nicht, dass man selbst etwas angestellt hat. Gut. Aber was passiert dann mit unseren Daten? Stehen wir jetzt auf einer Liste von „Berufsdemonstranten“?
Nein, gespeichert würden unsere Namen nirgends, versichert Pürstl. In einer Aussendung der Polizei finde ich allerdings später am Abend den Hinweis, dass am Freitag „hunderte Anhaltungen, Kontrollen und Identitätsfeststellungen gewaltbereiter Aktivisten vorgenommen“ wurden. Gewaltbereite Aktivisten sind meine „Mitgefangenen“ und ich für die Polizei also offenbar doch. Hoffentlich nur in dieser einen Presseaussendung und wirklich nie in einer Kartei.
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