Verein "Freispiel": Wie Freiwillige den Schulalltag retten

"Freispielerin" Angelika Linsmeier im Klassenzimmer
Eine Volksschule im 15. Bezirk hat einen hohen Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache. Dass alles klappt, ist auch Helfern von „Freispiel“ zu verdanken.

Was manche der Kinder bereits erlebt haben, mag man sich kaum ausmalen. Von den rund 270 Schülern, die die Volksschule in der Johnstraße im 15. Bezirk besuchen, flohen einige aus Kriegsgebieten. Manche haben sogar ihre Eltern verloren und kamen alleine aus Syrien oder Afghanistan nach Österreich.

Rudolfsheim-Fünfhaus zählt nicht zu den noblen Ecken Wiens: Der Bezirk ist sogar der kaufkraftschwächste in ganz Österreich, viele Niedrigverdiener und Zuwanderer leben hier. Rahmenbedingungen also, die für Lehrer herausfordernd sind. Dass es gelingt, für die Kinder hier eine positive Atmosphäre zum Lernen zu schaffen, liegt an den engagierten Mitarbeitern, aber auch an sieben freiwilligen Helfern des Vereins „Freispiel“. Der KURIER durfte zwei von ihnen einen Vormittag lang begleiten.

„Wir haben einen hohen Anteil an Flüchtlingen und an nicht-deutschsprachigen Kindern. Manche wurden nicht alphabetisiert, auch nicht auf Arabisch, kommen aber aufgrund ihres Alters in die 3. oder 4. Klasse“, sagt Direktorin Martina Bach. Auch die Eltern seien aufgrund ihrer Erfahrungen oft belastet. „Nachhilfe ist daher eine der letzten Sorgen, die diese Familien haben. Abgesehen davon, dass sie sich diese nicht leisten könnten“, fügt Bach hinzu. Doch selbst der engagierteste Pädagoge könne bei 25 Kindern pro Klasse nicht auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingehen.

"Freispielerin" Renate Kaiser im Klassenzimmer

"Freispielerin" Renate Kaiser im Klassenzimmer

„Zuhören und da sein“

Hier kommen die Freiwilligen ins Spiel: Jeder hat „seine“ Klasse, in der er einen Tag pro Woche hilft, wo es nötig ist. Etwa beim Schreiben, Lesen und Rechnen oder bei Hausübungen. „Es geht dabei nicht um Leistung. Oft ist einfach wichtig, dass jemand da ist und zuhört“, betont Bach.

Eine der „Freispielerinnen“, wie sie sich nennen, ist Angelika Linsmeier. Sie arbeitete im Pädagogikbereich. Nun, in ihrer Pension, verbringt sie jeden Dienstagvormittag in einer zweiten Klasse in der Johnstraße. Häufig kommen Flüchtlingskinder unter dem Schuljahr und müssen sich in der neuen Klasse erst zurechtfinden. Erst am Vortag sei die kleine Aliya (Name geändert, Anm.) aus Syrien dazugestoßen. Sie habe Aliya geholfen, ihr alles gezeigt. „Als sie dann in der Pause das erste Mal gelacht hat, sind mir vor Freude fast die Tränen gekommen“, erzählt Linsmeier.

Den Eltern keinen Vorwurf machen

Berufserfahrung als Pädagogin ist aber keine Voraussetzung: „Freispielerin“ Renate Kaiser etwa war in der Privatwirtschaft im organisatorischen Bereich tätig. Seit Mai 2023 hilft sie in einer vierten Klasse. Sie habe viel gelernt in der Zeit: „Ich war fassungslos, wie viel Personal den Schulen fehlt. Wie viel Potenzial bei den Kindern deshalb brachliegt“, sagt sie. „Und mir war vorher nicht bewusst, unter welch schwierigen Bedingungen manche Kinder leben. Dass sie in WGs untergebracht sind oder Hunger haben.“

Daher wäre eine ganztätige Schule eine gute Lösung, findet Linsmeier: „Mit Mittagessen und Betreuung am Nachmittag. Denn da hören die Kinder oft kein Deutsch mehr.“ Wichtig sei aber, den Eltern keinen Vorwurf zu machen: „Die haben oft eh schon ihr Packerl zu tragen“, fügt Linsmeier hinzu.

Beide „Freispielerinnen“ sind sich einig: Zu helfen sei eine riesige Bereicherung – vor allem die große Freude der Kinder, wenn sie mit ihnen plaudern, lernen oder lachen.

Direktorin Martina Bach mit Dorith Salvarani-Drill

Direktorin Martina Bach mit Dorith Salvarani-Drill 

Lange Warteliste

Gegründet wurde „Freispiel“ übrigens vor zehn Jahren von Dorith Salvarani-Drill, um sozioökonomisch schwachen Kindern zu helfen. 196 „Freispieler“ sind mittlerweile in insgesamt 91 Schulen, Horten und Kindergärten aktiv. Mit großem Erfolg: „112 Einrichtungen stehen aktuell auf unserer Warteliste. Und diejenigen, die schon Helfer haben, möchten mehr“, beschreibt sie.

Auch in der Johnstraße ist man für die Hilfe der „Freispieler“ sehr dankbar: „Diese Art der Betreuung wäre für uns sonst völlig unleistbar“, betont Bach. Gemeinsam schaffe man eine Atmosphäre, in der sich die Kinder wohlfühlen: „Manche Kinder weinen sogar, wenn die Ferien beginnen und sie nicht mehr in die Schule kommen können“, erzählt Bach.

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