Türkischer Sender macht Stimmung gegen Österreich
„Österreich raubt türkische Kinder“, vermeldete der AKP-nahe türkische Nachrichtensender aHaber dieser Tage im Hauptabendprogramm. In dem Bericht wird behauptet, die Wiener Behörde – konkret: das Jugendamt – habe Vorwände erfunden, um einer türkischstämmigen Familie ein Baby wegzunehmen und dieses einer christlichen Pflegefamilie zu geben. Im Interview mit aHaber-Redakteur Ramazan Aktas bat der betroffene Vater sodann den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan um Hilfe. Mit Erfolg, wie es aussieht. Denn laut Aktas wollen nun das türkische Präsidialamt sowie das Familien- und Sozialministerium an die österreichische Behörde herantreten.
Das Jugendamt kam in der Sendung allerdings nicht zu Wort. Einseitige Berichterstattung ist bei aHaber keine Seltenheit. Aktas, der in Österreich auch als Sprecher für den verlängerten Arm der AKP – die UETD – fungiert, berichtet oft über Vorfälle mit türkischstämmigen Beteiligten, die stets in der Opferrolle dargestellt werden. Vorige Woche vermeldete aHaber etwa, dass ein Lehrer an einer Floridsdorfer NMS zwei Schüler mit Migrationshintergrund verprügelt habe. Dies behaupteten aber ausschließlich die Eltern der beiden schulintern als "auffällig" bekannten Buben. Bei Schule, Stadtschulrat oder Polizei fragte man nicht nach, bevor die Nachricht über soziale Medien verbreitet wurde.
In letzter Zeit waren wiederholt Kindsabnahmen das Thema. Dass in der türkischen Community zum Teil der Eindruck entsteht, österreichische Behörden würden gezielt Migrantenfamilien die Kinder wegnehmen, um sie in christliche Familien stecken zu können, bestreitet Aktas gar nicht. Er kündigt im Gespräch mit dem KURIER allerdings an, auch noch über die Sicht der Behörde berichten zu wollen (und seitens des Jugendamtes bestätigt man eine Anfrage von aHaber).
Der Vater erzählt
Im eingangs erwähnten TV-Beitrag schildert nun der Vater, Herr S., die Ereignisse aus seiner Perspektive. Er berichtet, das Jugendamt habe die Kindsabnahme damit begründet, dass die Eltern das Baby im Spital zu wenig besucht hätten. Und bei einem Hausbesuch habe man einen Mangel an Babynahrung und ungewaschene Kleidung beanstandet. Er und seine Frau hätten aber nicht öfter ins Krankenhaus kommen können, weil sie sich auch um ihre anderen beiden Kinder kümmern müssten.
Zudem hätte ihn die Behörde unter Druck gesetzt, damit er der Abgabe des Kindes „an eine christliche Pflegefamilie“ zustimme – und ihm mit der Abnahme seiner beiden Töchter (4 und 6) gedroht. Wohl um dies zu verhindern, versteckt sich die Mutter mit den Mädchen zurzeit in der Türkei.
Betretungsverbote
Dass S. und seine Frau in Wien amtsbekannt sind, berichtet aHaber nicht. S. verschwieg im TV-Interview, dass die Polizei mehrmals zur Streitschlichtung anrückte; dass gegen ihn Betretungsverbote ausgesprochen wurden, weil er seine Frau bedroht und auch geschlagen haben soll und dass heuer im Juni auch gegen seine Partnerin ein Betretungsverbot verhängt wurde.
Er erzählte nicht, dass das Amt für Jugend und Familie (MAG Elf) aufgrund der Streitschlichtungen zu Besuch kam und eine massive Entwicklungsstörung einer der Töchter feststellte. Die vorgeschriebenen Termine in einem Ambulatorium zur Entwicklungsförderung hielten die Eltern aber ebenso wenig ein, wie jene bei Augen- und Zahnärzten.
Im Oktober dieses Jahres fielen die Eltern dann erneut auf. Das Spital erstattete eine Gefährdungsmeldung ans Jugendamt, weil Mutter und Vater den zu früh geborenen Sohn nur selten besuchten. Wenige Tage bevor der Säugling entlassen werden sollte, wollte die MAG Elf abklären, ob die Familie auf den hohen Betreuungsaufwand des Kindes vorbereitet ist – und fand bei einem weiteren Hausbesuch weder ein Gitterbett noch Windeln, Fläschchen, Sauger oder geeignete Frühgeborenen-Nahrung vor. Die Entlassung aus dem Spital wurde daraufhin verschoben.
Delogierungsklage
Aus dem türkischen TV-Beitrag erfährt man auch nicht, dass die Eltern Ende Oktober eine Gerichtsverhandlung infolge einer Delogierungsklage „wegen ungebührlichen Verhaltens“ hatten.
Aufgrund der Verfehlungen des Paares, der Wohnumstände sowie der mangelnden Vorbereitung auf die Pflege des Kindes kam das Baby schließlich zu einer Krisenpflegefamilie. Ob diese christlich sei, sei kein Auswahlkriterium, heißt es von der MAG Elf. Ob das Kind in der Obsorge des Jugendamtes bleibt oder zu den Eltern zurückkommt, muss nun das Gericht entscheiden.
Laut MAG Elf sind die Kinder übrigens österreichische Staatsbürger. Insofern können türkische Ministerien wenig bewirken.
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