Tschetschenische "Sittenwächter" laut Studie nicht vorrangig religiös motiviert

Tschetschenische "Sittenwächter" laut Studie nicht vorrangig religiös motiviert
Die Dokustelle politischer Islam untersuchte in einer nicht repräsentativen Studie die tschetschenische Community.

Die Dokustelle politischer Islam hat sich der tschetschenischen Community gewidmet. Die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik veröffentlichte Studie zur Diaspora trägt den Titel "Jihadismus und 'Sittenwächter' in Europas tschetschenischer Community". Sittenwächter würden sich neben der Scharia, dem islamischen Recht, vor allem auf das "Adat", das tschetschenische Gewohnheitsrecht, beziehen, so die Erkenntnis der nicht repräsentativen Studie.

Für die Studie wurden 14 Personen mittels qualitativer Interviews befragt, die teils selbst als "Sittenwächter" aktiv waren oder nach Syrien ausreisen wollten, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Innerhalb der tschetschenischen Community war die Zahl der "Foreign Fighters" besonders hoch, von rund 320 ausgereisten Personen hatten rund 130 einen tschetschenischen oder nordkaukasischen Background.

Ausreise als Akt gegen Russland

Der tatsächliche Kampf für den "Islamischen Staat" (IS) sei dabei für einige eher "Mittel zum Zweck" gewesen. Aufgrund mehrerer Kriege sowie den Massendeportationen unter Stalin 1944 verbinde viele Tschetschenen ein kollektives Trauma und eine ablehnende Haltung gegenüber Russland, der Kampf für den IS sei auch als Kampf gegen Russland zu verstehen.

Der Erstkontakt der Befragten mit dem IS bzw. IS-Propaganda verlief dabei mehrheitlich über das Internet, in den Interviews wurde aber auch von Radikalisierung im Gefängnis sowie mehrfach von Radikalisierung in einer Wiener Moschee berichtet.

"Sittenwächter" nicht vorrangig religiös motiviert

Eine vorrangig religiöse Motivation bei selbst ernannten "Sittenwächtern", wie jenen die im August 2022 in Wien festgenommen wurden, da sie tschetschenische Frauen bedroht und verfolgt hatten, wenn diese "zu westlich" bzw. nicht den tschetschenischen Moralvorstellungen entsprechend auftraten, konnte die Studie nicht nachweisen. So wurde argumentiert, dass es eines der Hauptinteressen von "Sittenwächtern" in der tschetschenischen Community in Österreich sei, Beziehungen und Ehen zwischen tschetschenischen Frauen und nicht-tschetschenischen Männern zu verhindern, um "tschetschenische Blutlinien" zu erhalten. Im Islam hingegen wäre eine Beziehung zwischen einer Tschetschenin und einem Nicht-Tschetschenen erlaubt, solange beide dem Islam angehörten.

Viel eher gehe es um die Beibehaltung des tschetschenischen Gewohnheitsrechts. "Die Ursachen für diese Entwicklung liegen, wie die Studie aufzeigt, vor allem in der Perspektivlosigkeit der Jugendlichen und ihrer ethnonationalistischen Einstellung in Kombination mit der Instrumentalisierung der Religion als 'Widerstandsideologie'", so die Dokumentationsstelle.

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