Sigmund-Freud-Park: Protest gegen die Protestzone
Am Freitag für das Klima, am Samstag gegen Corona-Maßnahmen, am Sonntag gegen Israel und am Dienstag für bessere Kindergärten: Der Bereich vor der Votivkirche – bekannt als Sigmund-Freud-Park – hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wahren Hotspot für Demonstrationen entwickelt.
Schließlich verfügt er über eine ausreichend große (Grün-) Fläche, liegt zentral und an der Ringstraße (auf der man davor oder danach einen Demozug bilden kann); und wegen der Nähe zur Universität sowie der U2-Station Schottentor gibt es viel junges, urbanes Publikum, das man mit seinen Botschaften erreichen kann.
Wohnqualität schützen
Von diesen oft recht lauten Botschaften – teilweise per Megafon – sind aber die um die Votivkirche beim Rooseveltplatz wohnenden Anrainer zusehends genervt. Unter dem Motto „Schützt unsere Wohnqualität!“ haben sie sich nun vernetzt und „auf einen Schlag 100 Unterstützer gefunden“, wie Initiator Johannes Grünberger dem KURIER berichtet.
Wobei er vor allem die „als Demos getarnten Veranstaltungen“ im Visier hat, weil diese – ohne Auflagen und ohne Ruhezeiten einhalten zu müssen – oft mit dröhnenden Bässen bis weit nach 22 Uhr Party machen könnten.
Mit Fotos von großen Boxen und einer Lärmmessung von 102 Dezibel (bei 110 beginnt die Schmerzgrenze) untermauert er die massive Einschränkung der Lebensqualität im Votiv-Viertel – übrigens als Wohnzone gewidmet.
Lärm-Exzesse erlaubt
Doch weil die Polizei das verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsrecht nicht beschneiden wolle, seien die Anrainer macht- und teilweise auch ratlos. „Aber gerade weil das Demonstrationsrecht ein so hohes Gut ist, darf es keinen Missbrauch geben“, findet Grünberger.
So reiche es, bei der Polizei einen „manifestativen Charakter“ anzugeben – und schon laufe die Party als Demo und unterliege damit kaum Regeln. Und nicht selten sein die Demo-Themen von marginaler Relevanz für Österreich – etwa ein weltweit geltendes Abtreibungsrecht, bemängelt Grünberger.
Was sagt die Wiener Polizei als zuständige Versammlungsbehörde zur Thematik? Gelten für Demos wirklich keine Lärmgrenzen und Ruhezeiten? „Die Rechtsprechung geht davon aus, dass an sich gesetzwidrige Verhaltensweisen (ausnahmsweise) von der Rechtsordnung erlaubt sind, wenn sie unbedingt notwendig sind, um die Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen“, heißt es von der Pressestelle.
„Akustischer Terror“ und das öffentliche Wohl
Auch „übliche Begleiterscheinungen einer sonst friedlichen Versammlung“ – wie Lärmerregung durch Megafone – seien nach gängiger Rechtsprechung „als rechtmäßig anzusehen“. Doch die Polizei nennt auch eine Ausnahme, wenn es um das „öffentliche Wohl“ geht: Unzulässig sei, wenn im Zuge der Demo unbeteiligten Personen die Meinung „auf eine geradezu als akustischer Terror zu bezeichnende Weise“ vermitteln würde. Den Demo-Organisator zivilrechtlich zu belangen, sei übrigens schwer bis unmöglich – denn die Identität des Veranstaltungsleiters weiterzugeben sei der Polizei „rechtlich nicht möglich“.
Grünberger und Co. wäre freilich schon geholfen, könnten sie vorab mit den Veranstaltern das Gespräch suchen, um so spätere Ärgernisse zu verhindern. Auch hier blockt die Polizei ab, so etwas sei organisatorisch „faktisch nicht möglich“.
Heißer Demo-Herbst
Immerhin: Alsergrunds Bezirksvorsteherin Saya Ahmad hat in der verzwickten Causa schon vermittelt. „Die Polizei prüft nun bei angemeldeten Veranstaltungen noch genauer, ob es sich um eine Veranstaltung oder eine Versammlung handelt“, sagt sie.
Bei echten Veranstaltungen sollen etwa Bühnen so gedreht werden, dass die Beschallung des Votiv-Viertels vermieden wird. Ob das (im bevorstehenden heißen Polit-Herbst) ausreicht, will Grünberger genau beobachten.
Und hat noch ein Ass im Ärmel – Stichwort „akustischer Terror“: „Erwiesenermaßen macht Lärm krank. Und wenn unbeteiligte Personen wie eben wir zu schützen sind, muss die Polizei auch eingreifen. Zumal auch in der Menschenrechtskonvention der Schutz der Gesundheit über das Versammlungsrecht gestellt wird.“ Und wenn alle Stricke reißen, bliebe auch noch ein Recht: eine leise Demo gegen die lauten Demos.
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