Prozess nach Kopfschuss in Jägerstraße: "Habe es nicht gemacht"

Der wegen Mordes Angeklagte (M.) vor Prozessbeginn.
Hochspannung bei Verhandlung am Wiener Landesgericht nach Mord in Wien-Brigittenau im April 2017. Angeklagter zu keinen Angaben zum Ablauf des Geschehens bereit. Erste Zeuge am Wort.

Am Montag ist am Landesgericht für Strafsachen der Mordprozess gegen einen 28-jährigen Mann eröffnet worden, der am 16. April 2017 in der Jägerstraße in Wien-Brigittenau einen 26 Jahre alten Mann auf offener Straße mit einem Kopfschuss aus seiner Pistole vorsätzlich getötet haben soll. "Ich dachte, dass ich das gemacht habe. Aber ich habe es nicht gemacht", sagte der Angeklagte.

Kosovare: "Nicht schuldig"

Der Kosovare, der vor sieben Jahren nach Österreich gekommen war und sich als Arbeiter auf Baustellen verdingte, bekannte sich "nicht schuldig". Er hatte sich wenige Minuten nach dem tödlichen Schuss mit den Worten "Ich habe die Scheiße da gerade gemacht auf der Jägerstraße. Ich wollte das nicht" auf einer nahe gelegenen Polizeiinspektion gestellt. Auf seine damalige Aussage angesprochen, korrigierte sich nun der Angeklagte: "Ich wusste nicht, wie das passiert ist."

Prozess nach Kopfschuss in Jägerstraße: "Habe es nicht gemacht"
ABD0013_20171120 - WIEN - ÖSTERREICH: Ein wegen Mord nach Kopfschuß Angeklagter am Montag, 20. November 2017, vor Prozessbeginn im Straflandesgericht in Wien.. - FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER
Darüber hinaus war der Mann zu keinen weiteren Angaben bereit und machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Fragen, wie er den Tag der Bluttat - den heurigen Ostersonntag - verbracht hatte, wie es zum Treffen mit dem späteren Opfer kam, welche Kleidung er dabei trug, unter welchen Umständen der Schuss fiel und wie er sich danach verhielt, beantwortete der 28-Jährige nicht.

Zeuge

Ein erster Zeuge schilderte, vier oder fünf Männer wären bei dem später Getöteten auf der Jägerstraße gestanden. Dann habe es plötzlich gekracht, der 26-Jährige sei umgefallen, habe sich noch ein Mal aufzurichten versucht, was ihm aufgrund der Schwere der Verletzung - der aus Bosnien stammende Mann erlitt einen Kopfdurchschuss - aber nicht mehr gelang.

Einer der Kontrahenten entfernte sich den Angaben dieses Zeugen zufolge schnellen Schritts vom Tatort, während einige andere in ein schwarzes Fahrzeug stiegen und davon fuhren. In diesem Zusammenhang erscheint von Bedeutung, dass der Angeklagte in einem dunklen SUV von einem Bekannten zur Polizeiinspektion Pappenheimgasse chauffiert wurde. Ob und wie viele Männer neben dem Lenker noch in diesem Fahrzeug saßen, wollte der Angeklagte auf Befragen von Richter Georg Olschak nicht beantworten.

Gutachten

In dem Verfahren hatte es wenige Tage vor der Hauptverhandlung einen Knalleffekt gegeben, als in der Vorwoche der von Richter Georg Olschak beigezogene Schießsachverständige Ingo Wieser sein Gutachten vorlegte. Der Ballistiker stellte fest, dass der Schuss aus einer Entfernung von mindestens eineinhalb bis zwei Metern abgegeben wurde. Das Projektil war dem 26-jährigen Bosnier durch den angehobenen rechten Oberarm in den Kopf gegangen und an der linken Scheitelhöhle wieder ausgetreten. Der Angeklagte hatte jedoch auf der Polizeiinspektion erklärt, er sei vom 26-Jährigen im Zuge einer Aussprache - beide hatten ein intimes Verhältnis mit derselben Frau - angegriffen worden und habe diesen abwehren wollen, indem er ihm seine Pistole Marke Tokarev auf den Kopf schlug. Dabei habe sich unabsichtlich ein Schuss gelöst, weil ihm sein Kontrahent die Hand wegstieß.

Der Schießsachverständige geht allerdings davon aus, dass das Opfer zum Zeitpunkt der Schussabgabe am Boden lag, seinen rechten Arm abwehrend hob und der vor ihm stehende Schütze schräg nach unten feuerte. Von Wieser durchgeführte Untersuchungen der Tatwaffe und Falltests mit der Pistole ergaben außerdem, dass eine Schussauslösung durch einen Schlag "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen" sei, wie es in dem Gutachten heißt.

Keine Schmauchspuren

Darüber hinaus konnten an der ebenfalls sichergestellten Bekleidung des Angeklagten keine Schmauchspuren gefunden werden. Als der Ballistiker die Tokarev testete, zeigten sich laut Wiesers Expertise "auch bei unterschiedlichen Waffenhaltungen und Anschlagsarten eine signifikante Beschmauchung von charakteristischen Schusspartikeln auf den Händen und am Gewand des Schützen". Das Fazit des Sachverständigen: "Falls der Angeklagte das untersuchte Gewand bei der Tat getragen hat, konnten keine sicheren Anhaltspunkte für eine Schussabgabe nachgewiesen werden."

Das Nichtvorhandensein von Schmauchspuren schließe den Angeklagten "als Täter nicht aus", hielt Staatsanwalt Christoph Wancata dem entgegen. Er gab sich in seinem Eingangsplädoyer felsenfest überzeugt, dass es sich beim Angeklagten auch um den Schützen handelt: "Ich gehe davon aus, dass der Angeklagte geschossen hat." Es gebe "kein einziges Beweisergebnis, dass gegen eine Schussabgabe spricht", meinte Wancata.

Die Verteidiger Werner Tomanek und Philipp Wolm bezeichneten die Mordanklage demgegenüber als "Arbeitshypothese". Sie bemängelten das aus ihrer Sicht schleißige Ermittlungsverfahren. Unbeteiligten Zeugen, die aus einer Entfernung von 30 bis 40 Metern einen Raufhandel beobachtet, vier bis fünf Männer wahrgenommen und später geschildert hatten, einer habe "unbedarft" mit einer Waffe hantiert, bis es krachte, sei der Angeklagte nie gegenübergestellt worden. "Die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Zeugen Lichtbilder vorzulegen oder eine Wahlkonfrontation durchzuführen", sagte Wolm.

Während bei seinem Mandanten keine Schmauchspuren gefunden wurden, hätte man solche bei jenem Mann entdeckt, der den Angeklagten nach dem tödlichen Schuss in einem SUV zur Polizei chauffierte, berichtete Wolm den Geschworenen. Der Angeklagte hätte gar keine Gelegenheit gehabt, sich zu waschen oder die Kleider zu wechseln, um allfällige Schmauchspuren zu entfernen: "Der Schuss ist um 15.05 Uhr gefallen. Um 15.11 Uhr war er schon auf der Polizeiinspektion und wurde festgenommen."

"Ein ehrlicher Lackl"

Es sei daher "undenkbar, dass er geschossen hat", betonte Wolm. Sein Mandant sei "ein ehrlicher Lackl", der zur Polizei gegangen sei. "Natürlich zweifelt er mittlerweile selbst an der Unfallversion", meinte der Verteidiger. Es sei "unstrittig, dass es einen Raufhandel gegeben hat und er eine Waffe in der Hand hatte". Ob auch ein anderer eine Faustfeuerwaffe betätigte und dieser dem 26-Jährigen in den Kopf schoss, "hat er (der Angeklagte, Anm.) nicht wahrgenommen", stellte Wolm klar. "Ein Mörder ist er sicher nicht", fasste der Anwalt zusammen. Eher sei der 28-Jährige "ein Bauernopfer".

>>> Mord in der Jägerstraße: Tatversion bröckelt weiter

Sekira (ORF) über den Mordprozess

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