Polizei und Justiz verschärfen Kampf gegen Dealer

Drogen in kleinen Kugeln
Gesetz behindert Exekutive: Innen- und Justizminister reagieren auf die Kritik der Polizei im KURIER.

Jetzt kommt es zum Anti-Drogen-Sondergipfel. Nach dem KURIER-Interview mit dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl, der beklagt, dass das neue Strafgesetz die Polizei im Kampf gegen den Drogenhandel auf Wiens Straßen behindere, reagiert die Politik prompt. Justizminister Wolfgang Brandstetter und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärten dem KURIER, dass sie jetzt den Kampf gegen Dealer verschärfen wollen.

Wie berichtet, sorgt besonders die Lockerung im Strafgesetz im Bereich der Gewerbsmäßigkeit für Probleme. Die Polizei kann seit Jänner Drogendealer nicht wie bisher beim ersten Vergehen in U-Haft stecken. Sie muss ihnen zumindest drei Straftaten nachweisen. Ebenso, dass sie aus dem Drogenverkauf über eine längere Zeitspanne mindestens 400 Euro pro Monat erlösen.

Als Folge dieser Lockerung blüht der Drogenhandel auf Wiens Straßen auf. Das zeigte sich am Donnerstag bei einem Lokalaugenschein des KURIER mit Beamten der EGS (Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität).

Handelskai & Gürtel

Polizei und Justiz verschärfen Kampf gegen Dealer
Drogenhandel
19 Uhr: 15 Beamte der EGS rücken aus einer Wiener Polizeikaserne zur Razzia aus. Ihre Ziele haben sie schon während des Tages ausgespäht. Denn seit einigen Wochen wird in der Stadt ungeniert am hellen Tag gedealt.

Am Gürtel im Bereich Thaliastraße und Josefstädter Straße weist das geschulte Beamtenauge auf verdächtige Afrikaner hin. Es stehen mindestens 20 Dealer wenigen Passanten gegenüber. Schwerpunkt für die Polizei ist diesmal aber die U6 am Handelskai.

21 Uhr: Die U-Bahnstation und das gesamte Umfeld stehen unter Beobachtung. Die Beamten sitzen nicht in Autos mit Feldstechern, sie stehen nicht mit Funkgeräten herum. Das würde auffallen. Sie haben sich mit dem KURIER-Reporter für die Öffentlichkeit versteckt. Wie sie sich tarnen? Das wollen sie für sich behalten.

Der erste Funkspruch macht neugierig: "SA (Schwarzafrikaner) mit blauem Parka auf dem Bahnsteig. Die Kundin ist etwa 30, blond, besonders gut gepflegt." Nach dem Geschäft läuft der Dealer scheinbar panisch davon. Es ist ein "Sicherheitslauf". Denn der Verdächtige will offenbar wissen, ob ihm ein Polizist nachläuft. Das tut er nicht. Aber trotzdem erfolgt Minuten später in der Nähe der Zugriff.

23 Uhr: Die Truppe hat am Schwedenplatz Stellung bezogen. Ein Dealer will just einem Beamten Drogenkugeln verkaufen. Festnahme. Nur 20 Minuten später geht ein weiterer Verdächtiger ins Netz. Der musste zwar wissen, dass gerade ein Kollege abgeführt wurde. Offenbar meinte er, dass die Polizisten jetzt mit dem Festgenommenen beschäftigt sind.

23 Uhr 45: Jetzt sind die Beamten wirklich "ausgespielt". Sie müssen sich zurückziehen. Den Rest der Nacht sind sie damit beschäftigt, die "Gewerbsmäßigkeit" der Festgenommenen zu beweisen.

Polizei und Justiz verschärfen Kampf gegen Dealer
Drogengeld
Während die Beamten ihre Autos besteigen, geht das Geschäft der Dealer weiter. Am Schwedenplatz findet sich plötzlich eine Gruppe von 15 Männern zusammen. Es ist laut, und hat den Charakter eines Freundschaftstreffens. Es finden Übergaben statt. Waren es Drogenkugeln? Doch für diese Tatverdächtigen gibt es keine Kapazitäten mehr. Aber die EGS-Leute wissen: Morgen ist auch noch ein Tag.

Drogengipfel

Innenministerin Mikl-Leitner sagte zu der Entwicklung: "Wir müssen jetzt alles tun, um den offenen Drogenhandel nicht weiter explodieren zu lassen." Ob es dazu eine Gesetzesänderung oder andere Maßnahmen braucht, sei Gegenstand des Gipfels. Auch Justizminister Brandstetter sieht Handlungsbedarf: "Wir haben zwar noch kaum Erfahrungswerte, weil das Gesetz erst seit 14 Tagen in Kraft ist, aber die Suchtgiftkriminalität ist ein sehr ernstes Problem." Nun soll eine Expertengruppe aus dem In- und Ausland die Politik bei Maßnahmen beraten.

Die Wiener Straßendealer-Szene wird derzeit von drei Gruppen dominiert: Westafrikanern, Nordafrikanern und einer serbisch-mazedonischen Gruppierung. Jetzt drängen auch Afghanen vermehrt auf den Markt.

Für Drogenexperten ist die Herkunft der Dealer ein klares Indiz, dass die weltweiten Kartelle nicht nur Produktion und Transport organisieren, sondern auch den Handel vor Ort selbst in die Hand nehmen.

Eine wichtige Schmuggelroute lateinamerikanischer Kartelle geht nach Westafrika. Dort übernehmen Tuaregs den Weitertransport über die Sahara/Sahel-Zone ans Mittelmeer, wo es dann nach Europa geht. Für den Straßenverkauf schicken sie ihre eigenen Leute. Das erklärt den hohen Anteil von Nigerianern, Marokkanern, Algeriern und Tunesiern unter den Dealern.

Die meisten sind nach Erfahrung der Beamten Asylantragsteller. Wobei etwa Marokkaner oder Tunesier kaum eine Chance auf Anerkennung haben. „Das macht ihnen aber nichts, denn sie haben zumindest während des Asylverfahrens für ein paar Monate einen legalen Aufenthaltstitel,“ erklärt ein EGS-Beamter.

Afghanen wiederum kommen direkt aus dem Herkunftsland. Afghanistan ist das weltweite größte Anbaugebiet für Opium. Dieses wird einerseits auf einer Nordachse aus dem Osten nach Europa und andererseits über den Iran auf den Seeweg gebracht, wobei sich die Schmuggler im Iran mit den Behörden einen latenten Drogenkrieg liefern. Beim Straßenverkauf in Wien greift man zunehmend wieder auf eigene Kräfte zurück.

Die serbisch-mazedonische Gruppierung ist Teil der Balkan-Route. Während die Afrikaner fixe Standplätze bevorzugen, trifft man die Balkan-Dealer nur auf Vereinbarung. Zusätzlich mischen sich Türken, Tschetschenen und „der Rest der Welt“, so ein Beamter, unter die Gruppen. Syrer und Iraker wurden trotz des Flüchtlingsstromes noch keine in der Suchtgiftszene gesichtet.

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