Neues Gesetz behindert Jagd auf Drogendealer
Beim Drogenhandel auf Wiens Straßen beobachtet die Polizei ein neues Phänomen: Dealer treten verstärkt in Großgruppen auf. Die Wiener Polizeispitze vermutet, dass das seit 1. Jänner liberalisierte Strafgesetz diese Entwicklung verschärfen könnte, weil Straßendealer nicht mehr so leicht wie bisher eingesperrt werden können. Der KURIER sprach darüber mit Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl und Vizepräsident Karl Mahrer.
KURIER: Seit 1. Jänner können Sie tatverdächtige Drogendealer nicht mehr so leicht einsperren. Gibt es Auswirkungen?
Gerhard Pürstl: Wir merken, dass das massive Auftreten von Dealern in einigen Bereichen der Stadt bereits im vergangenen halben Jahr deutlich zugenommen hat. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in der neuen Gesetzeslage.
Warum?
Pürstl: Man hat versucht, im Bereich der Gewerbsmäßigkeit die Bestimmungen lockerer zu gestalten. Und das betrifft auch den gewerbsmäßigen Suchtmittelhandel. Leider sind diese neuen Bestimmungen zur Bekämpfung des Straßenhandels meiner Meinung nach weitgehend ungeeignet.
Vor welchem Problem stehen Sie?
Pürstl: Wenn jemand früher Suchtgift-Kugeln im Mund hatte, hat das für den Vorwurf einer Gewerbsmäßigkeit gereicht. Heute müssen wir demselben nachweisen, dass er zwei weitere konkrete Taten geplant oder schon begangen hat. Also müssen wir diesen Verdächtigen drei Mal anhalten, bevor Untersuchungshaft verfügt wird.
Die Auswirkungen sind?
Pürstl: Früher haben Drogendealer nach der ersten Anhaltung nicht selten freiwillig die Szene verlassen. Nun weiß man dort, dass hier eine Liberalisierung eingetreten ist. Das lockt natürlich Täter an.
Wie hat sich der Straßenhandel entwickelt?
Karl Mahrer: Vor allem Algerier und Marokkaner sowie Westafrikaner drücken im Straßenhandel sehr stark an. In wesentlich geringerer Zahl sind es Mazedonier, Serben oder Afghanen.
An welchen Plätzen spielt sich das ab?
Pürstl: Das ist in erster Linie der Praterstern, dann entlang mehrerer Bereiche an der U6. Die Dealer sind hier sehr mobil unterwegs. Alles was an der U-Bahnlinie liegt, begünstigt den Drogenhandel, weil man schnell den Platz wechseln kann.
Der Straßenhandel ist in den vergangenen Monaten intensiver geworden?
Mahrer: Deutlich. Und man hat von Heroin und Kokain zusätzlich sehr stark auf Marihuana umgestellt. Das ist eine neue Entwicklung.
Wie reagieren die Konsumenten?
Mahrer: Man muss sagen, es gibt an manchen Orten weniger Bezieher als Händler. In einigen Bereichen sehen wir bereits ein Überangebot. In Großgruppen gleichzeitig und ungeniert aufzutreten, ist ein völlig neues Phänomen. Ja, man muss hier von einer neuen Strategie der Dealer sprechen.
Was heißt "dichteres Auftreten" in der Praxis?
Mahrer: Dass 10 bis 20 mögliche Dealer an einem Ort gleichzeitig auftreten.
Wenn es, wie Sie sagen, ein Überangebot gibt, wird sich das nicht wieder automatisch legen?
Pürstl: Nein, die wandern nicht ab. Ein Geschäft ist noch zu machen. Dass es leider auch in Wien Suchtkranke gibt, ist kein Geheimnis. Letztlich wird Kriminalität auf Kosten der Gesundheit anderer gemacht.
Die Polizei hat sich offenbar darauf eingestellt.
Mahrer: Ja, wir haben unser System noch mobiler und flexibler organisiert.
Welche Bilanz legen Sie nach einem halben Jahr vor?
Mahrer: Wir üben seit Juli starken Kontrolldruck aus und setzen täglich bis zu 100 Beamte ein. Durch unsere Bereitschaftseinheit (EGS) und Polizeiinspektionen gab es 43.000 Identitätsfeststellungen und 1568 Festnahmen. Wir haben rund 3000 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz erstattet.
Und das Suchtgift selbst?
Mahrer: Allein die EGS hat 3,2 Kilo Heroin, 1,5 Kilo Kokain und 11,5 Kilo Marihuana beschlagnahmt. Um das zu übersetzen, das sind 16.000 Portionskugeln Heroin, 8000 Kugeln Kokain und rund 11.500 Kugeln Marihuana.
Wie schaut es mit dem Drogenhandel im Umfeld der Wiener Schulen aus?
Pürstl: Der Bereich rund um die Schulen ist uns besonders wichtig. Das war mit ein Grund, warum wir seinerzeit die Szene rund um den Karlsplatz zerschlagen haben. Mahrer: In der Nähe von Schulen haben wir zuletzt keine konkreten Vorfälle verzeichnet. Aber wir haben die Straßenhändler stark an Verkehrsknotenpunkten und da gehen natürlich Schüler vorbei.
Zurück zum Gesetz. Sie werden über diese Probleme sicher mit der Justiz gesprochen haben?
Pürstl: Wir stehen mit der Justiz in konstruktiven Gesprächen. Aber weder ein Staatsanwalt noch ein Richter kann sich über eine neue Gesetzeslage hinwegsetzen. Die Justiz hat uns signalisiert, bei offenen Fragen zur Gewerbsmäßigkeit relativ rasch Rechtssicherheit schaffen zu wollen.
Seit 1. Jänner gilt folgende neue Gesetzeslage. Gewerbsmäßig liegt erst dann vor, wenn jemand durch eine wiederkehrende Begehung sich über einen längeren Zeitraum ein monatliches Einkommen von mehr als 400 Euro verschafft.
Weitere BestimmungenGewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn zwei weitere solcher Taten schon im Einzelnen geplant oder begangen wurden oder der Verdächtige ein Mal wegen einer solchen Tat verurteilt wurde. Verurteilungen, die länger als ein Jahr zurückliegen, zählen nicht.
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