Zu Fuß zur U-Bahn: Was ist mit den Wiener Rolltreppen los?
Ob funktional in Einkaufszentren oder Bahnhöfen, ob ikonisch in der Hamburger Elbphilharmonie oder hinauf zur Christus-Statue in Rio: Seit 130 Jahren rollt der Mensch treppauf bzw. treppab.
Doch während den Passagieren zur Jahrhundertwende im Londoner Kaufhaus Harrod’s nach der Fahrt noch Brandy (Herren) und Riechsalz (Damen) zur Beruhigung gereicht wurde, ist die einzige Rolltreppen-induzierte Aufregung heutzutage, dass das Ding wieder einmal nicht fährt.
Gefühlte Wahrheit
Und genau das kommt in Wien in den letzten Monaten gefühlt öfter vor. Besonders wochenlange Sperren von Fahrtreppen – so heißen die Transportmittel richtig – wie zuletzt in Heiligenstadt sorgen immer wieder für Ärger.
Doch stimmt das, nehmen die Ausfälle zu?
Jein, sagen die Wiener Linien. Die durchschnittliche Verfügbarkeit der 344 Rolltreppen im Netz liege übers Jahr gerechnet bei 97 Prozent. Tagesabhängig könne sie aber natürlich darunter fallen, ergänzt Markus Ehn, verantwortlicher Techniker für Fahrtreppen und Aufzüge bei den Verkehrsbetrieben.
Doch warum bleibt eine Rolltreppe überhaupt stehen? An sich ist sie ja kein besonders komplexes Konstrukt: Ein Elektromotor treibt eine Endloskette an, an der die Kammplatten, also die Stufen, befestigt sind.
Warten und reparieren
Zum einen, weil jede Rolltreppe neben einer jährlichen TÜV-Prüfung und einer alle 2,5 Jahre stattfindenden Grundüberholung monatlich gewartet werden muss. Das ist in vier Stunden erledigt.
Zum anderen, weil Störungen behoben werden müssen. Das kann auch, muss aber nicht so schnell gehen.
„Das Hauptproblem ist grundsätzlich der Kieselstein“, sagt Ehn. Besonders im Winter, wenn allen der Streusplitt im Schuhprofil steckt, nehmen dadurch ausgelöste Blockaden zu. Das Gute ist: Sie lassen sich schnell beheben. Wie auch elektrische Störungen, das zweithäufigste Problem. Nach drei bis sechs Stunden rollt die Treppe in so einem Fall wieder.
Schäden und Folgeschäden
Schwieriger wird es im Fall eines mechanisches Gebrechens, etwa wenn ein Lager kaputt geht. Weil eine Rolltreppe auch nach der Abschaltung noch etwas nachläuft und große Kräfte wirken, treten häufig Folgeschäden auf, erklärt Ehn.
Markus Ehn ist bei den Wiener Linien der "Herr der Rolltreppen" - und der Aufzüge
Wichtiger Hinweis
Ältere Modelle, wie die bereits seit 1976 im Einsatz befindlichen am Karlsplatz, verfügen über einen eigenen Maschinenraum
Wenn ein Lager ex geht, wird es meistens komplex
Elektrische Störungen lassen sich meist relativ schnell beheben
Unten Treppe - oben Rolltreppe
Das war auch in Heiligenstadt der Fall: Ein kaputtes Lager verursachte Schäden an der Hauptantriebswelle, am Getriebe und sogar am Motor. Die Folge: Die Rolltreppe musste in ihre Einzelteile zerlegt, in die Werkstätte transportiert, instandgesetzt, zurückgebracht, zusammengebaut und neu eingestellt werden.
Personalmangel und Lieferkettenprobleme
Zusätzlich gibt es externe Einflussfaktoren, die Stillstände länger dauern lassen – und damit sind wir wieder beim anfänglichen „Jein“.
Ehn leitet ein 35-köpfiges Team von Technikern, viele Aufträge werden aber extern – oftmals an den Hersteller – vergeben. Und diese leiden, wie auch die Wiener Linien selbst, unter Personalmangel.
Hinzu kommen Lieferkettenprobleme. Jede Rolltreppe ist eine Maßanfertigung – mit der Folge, dass man außer den Kammplatten die meisten Ersatzteile nicht lagernd hat. „Für Fahrtreppen gibt es keinen Baumarkt, wo man sich schnell ein paar Ersatzteile schnappen kann“, sagt Ehn.
„Da sind wir von Lieferanten abhängig, die Instandsetzungen an den beschädigten Teilen durchführen können“ – und das kann momentan insbesondere bei den älteren Modellen dauern.
Rekorde
Die längste Fahrt kann mit 53 Metern in der Zippererstraße (U3) absolviert werden, der größte Höhenunterschied wird mit 21 Metern am Alten Landgut (U1) überwunden. Die ältesten noch im Dienst stehenden Rolltreppen fahren seit 1976 am Karlsplatz - und werden plangemäß 2025 außer Dienst gestellt.
Geschwindigkeit
2,34 Stundenkilometer (0,65 Meter/Sekunde) schnell sind die Wiener Rolltreppen. Erlaubt wären laut EU-Norm EN 115 auch 1,8 km/h (0,5 m/s) oder 2,7 km/h (0,75 m/s).
Neuere sind wartungsfreundlicher und es ist leichter, Ersatzteile zu bekommen – weswegen sukzessive ausgetauscht wird. Dieses Jahr etwa am Südtiroler Platz, nächstes am Stephansplatz und 2025 sind die letzten sechs seit 1976 im Einsatz befindlichen Rolltreppen am Karlsplatz an der Reihe.
Sicherheit geht vor
Die lange Vorlaufzeit ist nötig, weil hinter so einem Tausch ein erheblicher logistischer Aufwand steckt – und nicht zuletzt die Räumung des Bahnsteigs im Notfall, die sogenannte Entfluchtung, jederzeit gewährleistet sein muss.
Doch egal, wie neu oder gut gewartet eine Rolltreppe ist: Auch die Fahrgäste müssen mitspielen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Laut Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) verletzen sich im Schnitt pro Jahr mehr als 600 Menschen auf heimischen Rolltreppen so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen – ausländische Staatsbürger nicht mitgezählt.
Die häufigsten Verletzungen: Knochenbrüche, gefolgt von Prellungen und offenen Wunden. Riechsalz hilft da nicht mehr. Nur ein Brandy könnte wohl nicht schaden.
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