Obdachlose zieht es zum Praterstern

Betreuung: SAM-Leiter Markus Bettesch (re.) mit Franz und Walter
Projekt – Sozialarbeiter versuchen, bei Problemen zu vermitteln.

Sie urinieren an meinen Stand und bestehlen mich“, sagt der Blumenhändler Stefan Rstic. Sein Verkaufstand steht seit 20 Jahren in einem der Durchgänge am Praterstern in Wien. Besonders bei Schlechtwetter ziehen die rund 60 Obdachlosen von der angrenzenden Wiese in den Durchgang um.

Auch andere Geschäftstreibende ärgern sich darüber, dass die Wohnungslosen ständig Gäste nach Zigaretten fragen und Passanten anpöbeln.

Andere Erfahrungen macht die Passantin Edith Kruda. „Ich komme täglich her und fühle mich komplett sicher“, sagt sie.

Mit der Neueröffnung des Bahnhofes im April 2008, sollte auch alles andere besser werden. Zum modernen Design passen ungewaschene Obdachlose, die vor Lüftungsschächten schlafen und in der Öffentlichkeit urinieren, nicht mehr.

Miteinander Um die Probleme am Bahnhof zu lösen gründeten die Stadt Wien, Billa, die Wiener Linien und die ÖBB, 2008 eine gemeinnützige Gesellschaft – SAM. Seither kümmern sich acht Mitarbeiter 363 Tage im Jahr um ein gutes Miteinander.

SAM-Mitarbeiter sehen sich nicht nur als Berater bei Problemen, sondern auch als provokante Sozialarbeiter. In Gesprächen vermitteln sie den Obdachlosen, Rücksicht auf die Passanten zu nehmen. Gleichzeitig werben die Sozialarbeiter auch für Verständnis bei den Passanten und suchen nach Lösungen.

Das Urinproblem entschärfte SAM mit den „WC-Jetons“. Die Marken werden unter den Obdachlosen verteilt, damit sie die sonst kostenpflichtigen WC-Anlagen gratis nutzen können. Dem Problem Müll widmeten sich erfolgreich die Waste Watchers mit Schwerpunktaktionen.

„Oft führt schon allein die Anwesenheit von Obdachlosen zu Irritationen“, sagt Markus Bettesch, Leiter von SAM am Praterstern. „Wir vermitteln zwischen Obdachlosen, Passanten und Geschäftsleuten.“

Aber auch Therapieangebote werden gemacht.

„Der Praterstern ist ein knochenharter Überlebenskampf“, sagt Bettesch. „Viele Obdachlose begehen Selbstmord auf Raten.“ Arbeitslosigkeit und Wohnungsverlust führe zu Selbstaufgabe und Suchtmittelmissbrauch mit der Endstation Obdachlosigkeit. „Viele sagen dann: Ich sauf’ mich zu Tode.“

Sozialer Abstieg So passierte es auch Franz. Seit vielen Jahren ist der Praterstern sein Lebensmittelpunkt. Eine gescheiterte Beziehung war der Ausgangspunkt für den sozialen Abstieg. Er sagt: „Mein Leben ist traurig und beschissen. Wer will schon auf der Straße schlafen?“ Die Probleme beginnen schon im Kleinen. Wohin aufs Klo? „Groß gemma in die Halle, Klein mach’ ma da“, erklärt Franz und deutet auf einen Baum.

Die gemeinsame Aktion scheint langsam zu funktionieren. Die Beschwerden nehmen ab. Auch Bezirksvorsteher Gerhard Kubik, SPÖ, ist mit den Ergebnissen zufrieden. Etwaige Probleme quittierte er mit Milde: „Es ist halt ein Bahnhof.“

Marliese Mendel

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