Zu seiner jüngsten Aktion gab es weltweit mehr als 6.000 Medienberichte. Auch sonst hat Norbert Kettner gerade einen Lauf. Ein Gespräch über Wien als Nummer 1 bei Kongressen, Overtourism und den ESC.
Wiens Tourismus sorgt für Wirtschaftswachstum, Wien erobert den ersten Platz als Kongressstadt zurück, der Tourismus nimmt ein riesiges Kapitel im Regierungspakt von Rot-Pink ein, mit einer Promo-Aktion, bei der der Wiener Walzer ins All übertragen wurde, wurde ein weltweites Medienecho erzeugt (siehe unten): Angesichts dieser Schlagzeilen kann man wohl ohne Übertreibung behaupten, dass Norbert Kettner, Direktor des Wien Tourismus, eine sehr gute Woche hatte.
KURIER: Aktionen des Wien-Tourismus erhalten oft riesige mediale Aufmerksamkeit. Ist Wien so beliebt, dass die Leute so gerne über Wien schreiben? Oder muss man ein bisschen verrückt sein, um so etwas öfter zu schaffen?
Norbert Kettner: Man braucht wie immer im Leben Glück, aber schon auch überraschende Ideen dafür. Wien hat ein traditionelles Image weltweit. Das ist auch gut so, besser ein traditionelles Image als gar keines. Und damit spielen wir. Die Aktion hat unglaublichen Niederschlag gefunden. Eine Bekannte, von der ich seit Jahren nichts gehört habe, hat mir geschrieben, dass sie die Aktion im australischen Fernsehen gesehen hat.
Es braucht Themen, die keiner weiteren Erklärung bedürfen. Johann Strauss’ 200. Geburtstag löst in allen Menschen weltweit etwas aus. Dann muss man einen Twist schaffen, bei dem die Leute sagen, daran hätte ich nicht gedacht. Im konkreten Fall hat Stanley Kubrick schon 1968 viel Arbeit für uns gemacht, indem er die Besonderheit des Wiener Walzers im Vergleich zum generellen Walzer erkannt hat. Dass die Geschichte so abgehoben ist, ist schon außergewöhnlich. Wir mussten die Symphoniker keine Minute lang überzeugen, mitzumachen. Bei der Sitzung mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA war es genauso. Die hätten auch beide sagen können, ihr spinnt ja.
Kein Zögern?
Bei den Symphonikern spielt es eine Rolle, dass wir Kulturschaffende niemals als Pausenclowns missbraucht haben. Wir sind immer auf Augenhöhe.
Und die ESA?
Dass sie so angesprungen sind, war ein Glücksgriff. Und dann kam noch dazu, dass wir in Zeiten wie diesen, wo die Geopolitik nicht einfach ist, gemeinsam ein europäisches Projekt von Wien aus gefeiert haben.
Ich meine rauszuhören, dass der Riesenerfolg auch Sie überrascht hat.
Ja, weil ich so funktioniere und weil man so einen Riesenerfolg schwer voraussehen kann. Aber es war schon extrem sauber geplant und das ganze Haus war gefordert. Ich bin stolz auf das Team.
Wien ist erneut Kongressmetropole Nummer 1. Liegt das an der kulturellen Reputation der Stadt oder warum ist gerade Wien so beliebt?
Das ist ein gemeinschaftlicher Erfolg von den drei großen Venues, dem Austria Center, der Viecon (früher Messe) und der Hofburg, aber vor allem auch vom universitären Sektor. Ein Erfolgsrezept ist auch der Service, den wir im Convention-Büro anbieten. Dieses ist weltweit anerkannt und ungeschlagen.
Warum ungeschlagen?
Es gibt eine Grundhaltung, dass wir Kunden, die nach Wien kommen wollen, gut behandeln. Wir wollen für Delegationen das Beste, haben aber auch den guten Draht zur Stadt. Und die Reputation Wiens als Treffpunkt darf man nicht vergessen. Bei uns sind mehr als 50 internationale Organisationen ansässig, das trägt zum Renommee bei.
Und warum ist umgekehrt für Wien der Kongress-Sektor so wichtig?
Da spielt das Thema Wertschöpfung eine Rolle. Der durchschnittliche Wiengast gibt 360 Euro pro Tag aus und bleibt 2,3 Tage. Der Kongressgast gibt 560 Euro am Tag aus und bleibt im Schnitt 3 Tage. Das ist natürlich eine Klientel, die man in der Stadt haben will. Wir sind sehr stark bei humanmedizinischen, aber auch bei Technologie-Kongressen. Diese Talente will man anziehen.
Damit die internationale Reputation noch weiter steigt?
Natürlich, das sind alles Botschafter für uns.
Aber ist Kongress-Tourismus wirklich noch ein Zukunftsmodell? Stichwort: Klimakrise. Werden Menschen auch in Zukunft noch für wenige Tage ins Flugzeug steigen, um zu Kongressen zu fliegen?
Ja. Wir waren uns nicht sicher während der Pandemie und kurz danach. Aber was wir heute sehen, ist, dass wir diesen Austausch brauchen, nämlich genau um zum Beispiel den Klimawandel zu bekämpfen. Wir hatten Anfang Mai 20.000 Forscherinnen und Forscher der Geosciences da. Das sind nicht nur Geologinnen und Geologen, da geht es ganz stark um die Erforschung von Wetterphänomenen, vom Klimawandel. Darüber hinaus entwickelt sich in den USA eine Diskussion darüber, wie sehr die Vereinzelung im Homeoffice und über Videokonferenzen den Menschen mental zusetzt. Den Face-to-Face-Austausch wird es weiter geben und ich bin persönlich auch sehr froh – nicht nur fürs Geschäft, sondern auch für die Gesellschaft, in der man leben will.
Die Stadtregierung scheint das auch so zu sehen. Rot-Pink will den Ausbau der Meeting-Destination. Die sind wir doch schon.
Um den Spirit zu zeigen: Wir hatten vor Kurzem eine der führenden Agenturen im Corporate-Meetings-Geschäft bei uns und haben sie gefragt, wo wir besser werden können. Sie waren ganz irritiert, weil sie gesagt haben: „Ihr seid die Nummer eins, wir sind es nicht gewohnt, dass wir von führenden Destinationen gefragt werden, wo sie besser werden können.“ Wir haben es aber gemacht, weil wir immer lernen wollen. Die Positionierung als Nummer 1 ist ein riesiger Erfolg, aber das ist nicht das Himmelbett, in das wir uns legen, sondern es ist ein Ansporn, noch besser werden zu wollen.
Erst Conchita, dann JJ: Wien würde nächstes Jahr wieder gerne den Eurovision Song Contest ausrichten.
In Wien scheitert seit Jahren die Realisierung eines Fernbusterminals. Brauchen wir diesen überhaupt?
Wir brauchen ihn, weil Fernbus ist nicht nur Reisebus, sondern auch Linienbus. Linien-Services sind gekommen, um zu bleiben. Wir brauchen als Metropole den Fernbus-Terminal als Nukleus, aber wir müssen das Bus-Thema neu organisieren.
Inwiefern?
Es gibt aktuell um den ersten Bezirk herum elf Busausstiegsstellen. Das halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Wir müssen uns neue Systeme überlegen, am besten mit digitalen Lösungen wie in anderen Städten, wo wir klären, welche Busse fahren rein und wohin. Da müssen Verkehrsplaner ran.
Wien wird sich für den Song Contest bewerben. Wie realistisch ist es, dass Wien zum dritten Mal den Zuschlag bekommt?
Da gebe ich keine Wetten ab. Wir haben vor zehn Jahren schon das Privileg gehabt und die Rahmenbedingungen sind in Wien natürlich ausgezeichnet. Das Bangen, ob es genug Hotelbetten gibt, ist bei uns kein Thema. Wir hatten 2015 circa 65.000 Betten, heute haben wir 81.000, also ein Viertel mehr. Sogar Kongresse mit 5.000 Besuchern spürt man nicht mehr unmittelbar über die gesamte Destination. Wien wird ein seriöses und gutes Angebot abgeben. Aber der ORF entscheidet.
Sie sind selbst ORF-Stiftungsrat. Lässt sich das vereinbaren?
Der Stiftungsrat ist nicht eingebunden in das aktuelle Ausschreibungsverfahren. Er wird, wenn alles abgeschlossen ist, Budgets beschließen.
Und wenn Wien einen Zuschlag erhält, dann sind Sie als Tourismusdirektor und nicht als Stiftungsrat operativ tätig?
Ja. Und ich kann nur jedem Stiftungsrat raten, sich nicht operativ einzubringen. Aber es stimmt natürlich, ich habe als Stiftungsrat den Auftrag, für das Wohlergehen des Unternehmens zu sorgen, und ich habe als Tourismusdirektor den Auftrag, das Beste für die Destination zu erreichen. Aber das ist klar getrennt.
Es wird Sommer und es sind viele Touristen auf der Straße. Sind die hohen Nächtigungszahlen wirklich ein Grund zum Jubeln oder schrammen wir schon am Overtourism entlang?
Nein, wir schrammen nicht entlang. Es geht nicht um Limitierung, sondern eher um Organisation. Es ist auch ein eigenes Kapitel im aktuellen Regierungsprogramm, dass man den öffentlichen Raum entlastet. Wien hat als einziges Bundesland ein Wirtschaftswachstum. Das ist natürlich nicht nur auf den Tourismus zurückzuführen, aber in Zeiten wie diesen muss man froh sein, dass es Bereiche gibt, die überhaupt noch wachsen. Aber wir haben dichte Zonen, speziell im ersten Bezirk, und die wollen wir angehen.
Ist Neuorganisieren nicht nur eine gut klingende Überschrift?
Wie in allen Bereichen gibt es auch hier nicht die einfache Antwort auf komplizierte Probleme. Es ist ein Bohren harter Bretter, aber wir haben gemeinsam mit der Stadt schon einiges geschafft. Das betrifft nicht unmittelbar den öffentlichen Raum, aber zum Beispiel die Änderung bei der Vermietung über Kurzzeitplattformen, also die Reduktion auf 90 Tage. Das ist von langer Hand gut vorbereitet gewesen und ein Punkt, um die nach wie vor hohe Tourismusgesinnung der Bevölkerung hochzuhalten. Andere Bereiche kann man nur über freiwillige Vereinbarungen machen. Ich kann nicht per Gesetz vorschreiben, wie groß eine von Fremdenführern geführte Touristengruppe ist. Aber wir haben eine klare Meinung, dass diese reduziert werden müssen, und führen Gespräche mit den Sozialpartnern.
In Ungarn wurde jetzt die Pride verboten, in Wien ist aktuell der Pride Month. Wie schwer ist es, angesichts reaktionärer Kräfte, den Status als weltoffene Stadt zu erhalten?
Wien hat sich seit vielen Jahren als eine Stadt etabliert, in der Weltoffenheit auch gelebt wird. Die reaktionären Kräfte werden überall stärker. Aber in Wien ist das in diesem Ausmaß nicht spürbar. Ich sage nicht, dass es für manche Individuen nicht spürbar ist, es gibt keine Stadt, in der es keine Diskriminierung gibt. Aber als Gesamthaltung. In Wien gibt es die sehr gesunde städtische Kultur des Laissez-faire. Ich muss nicht euphorisch sein bei dem Thema, aber ich bin als Städter einfach gewohnt, dass das ein relevantes Thema ist, und das finde ich den besten Zugang dazu.
„Waltz into Space“: Wiener Walzer im All
Vor rund einer Woche haben die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Chefdirigent Petr Popelka im Museum für angewandte Kunst (MAK) unter anderem „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss Sohn gespielt. Der Walzer wurde von der „Deep Space Antenna“ der European Space Agency (ESA) in Cebreros, Spanien, mit einer elektromagnetischen Welle mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung Voyager 1 geschickt.
„Mit der Mission ,Waltz into Space‘ korrigiert der Wien Tourismus ein Versäumnis der Raumfahrtgeschichte: 1977 blieb ,An der schönen blauen Donau‘, in der Popkultur mittlerweile als Hymne des Weltalls verankert, auf der Voyager Golden Record außen vor“, erklärte Direktor Norbert Kettner. Auf besagter Golden Record waren Bilder, Geräusche und Musik von der Erde gespeichert. Das Ziel der Aktion: potenziellen außerirdischen Wesen irdische Meisterwerke zu vermitteln – und natürlich auf Wien anlässlich des Strauss-Jahres, heuer ist der 200. Geburtstag von Johann Strauss Sohn, als Tourismusdestination aufmerksam zu machen. Ob Ersteres gelungen ist, bleibt offen. Der Erfolg auf der Erde ist aber durchschlagend.
Über das interstellare Konzert des Wien Tourismus haben von der New York Times über Forbes bis El País und Le Figaro namhafte Medien auf der ganzen Welt berichtet. Derzeit verzeichne man mehr als 6.000 Medienberichte weltweit, heißt es beim Wien Tourismus. Auf den Social-Media-Kanälen wurden rund zwölf Milliarden Impressionen gezählt, und über 20 Millionen Views des Mission-Films auf Youtube (zu finden unter: Waltz Into Space Concert). Es ist nicht der erste Coup, den Kettner und sein Team landeten. Weil im Jahr 2021 auf Twitter und Facebook Bilder von nackten Frauen von Egon Schiele oder Peter Paul Rubens zensiert wurden, wich man zur Bewerbung von Wiens Kunst auf die Porno-Plattform „Only Fans“ aus – auch das international viel beachtet. Der Erfolg von „Waltz into Space“ stellt den damaligen aber in den Schatten.
Die Aktion war von langer Hand geplant. Wie Kettner erzählt, haben die Vorbereitungen knapp ein Jahr gedauert.
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