Nirgends ist Wien so frei wie im Prater
Den Ort, an den man sich beim Fangenspielen flüchten kann, nennen Kinder „Leo“. Der Prater ist das Leo von Wien. Als Joseph II. das kaiserliche Jagdgebiet im Jahr 1766 für die Öffentlichkeit freigab, war das ein Meilenstein für die Stadtgesellschaft.
Im Wienerischen Diarium wurde damals schwarz auf weiß festgehalten, dass es „von nun an zu allen Zeiten des Jahrs, und zu allen Stunden des Tags, ohne Unterschied jedermann“ erlaubt sei, in den Prater spazieren zu gehen oder zu fahren – und zwar nicht nur auf der Hauptallee, sondern überall (einzige Ausnahme: „allzu abgelegene Orte und dicke Waldungen, wegen sonst etwa zu besorgenden Unfugs und Missbrauchs“).
Was ist der Prater?
Für Werner Michael Schwarz, einen der beiden Kuratoren des neuen Pratermuseums, ist das kaiserliche Dekret so etwas wie „die erste moderne Verfassung in Österreich“. Am Beginn der Arbeit am neuen Museum haben Schwarz und seine Kollegin Susanne Winkler sich vor allem eine Frage gestellt: Was ist der Prater? Sie haben viele Antworten gefunden. Die wichtigste lautet: Der Prater ist ein Ort für alle.
Um das zu verdeutlichen, hat sich das Pratermuseum eine sehr anschauliche Lösung ausgedacht. Im Foyer füllt ein 72 Quadratmeter großes, von dem Grafiker und Illustrator Olaf Osten gezeichnetes Wimmelbild die Wand. Es wirft einen Panoramablick auf den Prater, in dem die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft gesetzt sind. Falco und Ostbahn-Kurti musizieren mit Johann Strauß, Elizabeth T. Spira interviewt den Herrn Karl, und Kaiser Franz Joseph bestaunt mit Alexander Van der Bellen die Republik Kugelmugel.
Ein Pratermuseum gibt es seit 60 Jahren. 1964 hat das Wien Museum (damals noch: Historisches Museum der Stadt Wien) die umfangreiche Pratersammlung übernommen, die der Volksbildner Hans Pemmer zusammengetragen hatte, und im damals gerade neu errichteten Planetarium ein kleines Museum eingerichtet.
Die große Freiheit
Der Neubau bietet nicht nur doppelt so viel Platz wie das alte Museum, er liegt auch besser – nämlich mitten im Wurstelprater, zwischen Wettlokal und Autodrom. Das vom Architekten Michael Wallraff geplante Gebäude ist, mit Ausnahme der Feuermauern, aus Massivholz errichtet; das ist einerseits nachhaltig und passt andererseits zur provisorischen Bauweise der anderen Praterbauten.
Wenn man die verschiedenen audiovisuellen Stationen nicht mitzählt, sind auf eineinhalb raumgestalterisch geschickt komponierten Ebenen rund 300 Objekte zu bestaunen, darunter der berühmte Watschenmann, ein Heiratsvermittlungsautomat oder das Wachsmodell einer schlafenden jungen Frau aus „Präuscher’s Panopticum“. Auch das war Teil der großen Freiheit, die der Prater geboten hat: Hier konnte man den nackten Körper studieren, und sei’s als Wachspräparat. Es gab im Prater, das wird nicht verschwiegen, auch „Attraktionen“, die heute undenkbar wären. In „Abnormitätenkabinetten“ wurden Menschen mit Fehlbildungen zur Schau gestellt, in nachgebildeten afrikanischen Dörfern waren Menschen wie Tiere ausgestellt.
Auch vieles, was im Prater des 19. Jahrhunderts mit Tieren angestellt wurde – Ringkämpfe mit Bären oder das inzwischen sprichwörtliche „Affentheater“ –, wäre heute problematisch.
Zur Freiheit gehört die Abweichung. Da kann man natürlich auch auf Abwege geraten. Der Prater war nicht nur „Paradies“ und „Zaubergarten“, wie er in historischen Berichten genannt wurde, sondern auch ein Ort der Prostitution, der Kleinkriminalität und der Halbwelt.
Labor der Moderne
Der große Katalog, der zum neuen Pratermuseum produziert wurde, trägt einen Titel, der ein wenig hochtrabend klingt: „Labor der Moderne“.
Aber es stimmt. Der Prater war Schauplatz der Weltausstellung von 1873, und schon im frühen 20. Jahrhundert wurden hier Automobile oder Flugzeuge präsentiert. Aus dem großen Aquarium an der Hauptallee wurde ab 1902 die renommierte Biologische Versuchsanstalt; das Riesenrad war zu seiner Zeit ebenso State of the Art wie das Praterstadion; das künstlich angelegte „Venedig in Wien“ war ein Vorläufer von modernen Themenparks.
- Geschichte
Das Pratermuseum, eine Außenstelle des Wien Museums,
wurde 1964 gegründet und
war bis 2023 im Planetarium untergebracht. Der Neubau (Straße des 1. Mai, Prater 92) bietet jetzt doppelt so viel Ausstellungsfläche - Öffnungszeiten, Eintritt
Geöffnet täglich, außer Montag,
von 11 bis 18 Uhr.
Eintritt: 8 € (ermäßigt 6 €);
freier Eintritt für alle unter 19 sowie an jedem ersten Sonntag im Monat - 830 Menschen und Tiere
sind auf dem Wimmelbild im Erdgeschoß abgebildet. Es kann kostenlos besichtigt werden - Kataloge
Im Pratermuseum liegen zwei Kataloge auf. Der kleine (19 €) enthält Fotos der ausgestellten Objekte und kurze Erklärtexte. Der große ist zwar teuer (45 €), enthält dafür aber 70 fundierte Texte zu allen möglichen Aspekten des Themas Prater
Es ist ein großes Glück, dass aus dem Wurstelprater nie ein moderner Themenpark wurde. Bis heute bezahlt man keinen Eintritt, kann man einfach so durch den Wurstelprater zum Schweizerhaus spazieren. Auch der grüne Prater ist barrierefrei betretbar, Tag und Nacht. Im Unterschied zu den meisten anderen städtischen Parkanlagen ist der Prater nicht eingezäunt.
Er ist so frei.
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