Die ganze Straße wird zum Radweg

Die ganze Straße wird zum Radweg
Radwegbenutzung soll nicht mehr Pflicht sein, viele Bezirkschefs sind jedoch skeptisch.

Seit 31. März gelten neue Regeln für Radfahrer. Eine davon sorgt für besondere Kontroversen: Künftig soll an ausgewählten Stellen die Radwegbenützungspflicht aufgehoben werden. Radler dürfen dort auch die Fahrbahn benutzen, wenn es die Sicherheit und die Flüssigkeit des Verkehrs zulassen.

Die Stadt will nun die Aufhebung im Rahmen von Pilotprojekten testen. Derzeit tüfteln Experten, wo diese stattfinden könnten. Noch im Frühjahr soll es eine Entscheidung geben, heißt es im Büro von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne).

„Gute Radfahrer können dank der Novelle nun auf Fahrbahnen wechseln und entlasten so die Radwege“, sagt Alexander Hager von der Radlobby Wien. Ausgeschildert wird der neue, nicht verpflichtende Radweg mit einem eckigen Radwegschild. Die Radlobby Wien hat unter ihren Mitgliedern eine Umfrage gestartet, auf welchen Radwegen die Radwegepflicht fallen sollte. Doch noch könnten die Bezirksvorsteher den Radlern einen Strich durch die Rechnung machen.

Am Augarten

Oft genannt wurde etwa die Wasnergasse in der Brigittenau. Direkt an der Mauer des Augartens verläuft hier ein schmaler Rad- und Fußweg vorbei an Parkausgängen.„Da gibt es hohes Konfliktpotenzial. Dabei wäre daneben auf der Straße genug Platz für Radfahrer, noch dazu gilt Tempo 30, weil es ein Wohngebiet ist“, sagt Hager.

Bezirksvorsteher Hannes Derfler (SPÖ) ist von der Idee allerdings weniger begeistert. „Wenn etwa eine Familie durch die Gasse radelt, hält sie den Bus 5A auf.“

Die ganze Straße wird zum Radweg

Ähnlich argumentieren auch die Wiener Linien. „Wir sehen in engen Gassen Probleme“, sagt Sprecher Dominik Gries. Man müsse sich daher Aufhebungen der Radwegbenützungspflicht von Fall zu Fall ansehen. „Klar ist: Die Öffis dürfen nicht behindert werden, sagt Gries. Nachsatz: „In der Wasnergasse wird das schwierig.“

Andere Bezirksvorsteher, wie Veronika Mickel (ÖVP Josefstadt), warten auf Expertenmeinungen, bevor sie entscheiden. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Radfahrer auf der Zweierlinie radeln können“, sagt Mickel. Ebenso argumentiert man im Büro von Ursula Stenzel (ÖVP), Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt: „Eine Freigabe der Ringstraße für die Radfahrer stellen wir uns sehr anspruchsvoll vor.“

Schilderwald

Durch die neuen eckigen Radwegschilder wird auch der Schilderwald in der Stadt dichter. Für die Kosten wollen aber wohl nur wenige Bezirke aufkommen. „Im Radjahr wünsche ich mir eine Unterstützung der Stadt bei der Bezahlung der Schilder“, sagt der designierte Bezirksvorsteher der Leopoldstadt, Karlheinz Hora (SPÖ). Er kann sich eine Freigabe der Praterstraße vorstellen. Er warte auf die Verordnungen der Vizebürgermeisterin.

Die Freigabe der Operngasse kann sich wiederum Wiedens Bezirksvorsteher Leopold Plasch (SPÖ) vorstellen: „Der dortige Radweg ist überlastet.“ Skeptischer ist Plasch bei der Argentinierstraße, die stadteinwärts bergab führt und dadurch sehr hohe Geschwindigkeiten ermöglicht. „Das muss man sich hinsichtlich der Verkehrssicherheit auf jeden Fall noch ansehen.“

„Natürlich weiß ich vom neuen Gesetz“, sagt Radfahrerin Gabriele Migdalek. „Aber das ist mir ziemlich egal. Ich telefoniere beim Radfahren sowieso nie.“

Damit scheint sie sich zu verhalten wie der Großteil der Radfahrer. Denn bei den Polizeikontrollen, die derzeit aufgrund des neuen Handyverbots verstärkt durchgeführt werden, finden sich kaum Radfahrer mit Handy am Ohr. Trotzdem werden viele gestraft. Großteils wegen unzureichend ausgestatteter Fahrräder oder der Missachtung von roten Ampeln.

Werner Pinoth hat es eilig und fährt bei Rot über die Kreuzung. Ein Verhalten, das keine Seltenheit ist, wie Kontrollinspektor Karl Müller verärgert feststellt: „Man fährt ja auch mit dem Auto nicht bei Rot.“ Da der Radler jedoch weder die 36 Euro Strafe zahlen kann noch einen Ausweis bei sich hat, behält Müller sein Handy als Kaution. Das Telefon bekommt Pinoth wieder, wenn er die Geldbuße beglichen hat. „Was ich gemacht habe, war nicht in Ordnung“, zeigt er sich einsichtig. „Es ist halt manchmal verführerisch, vor allem, wenn man es eilig hat.“

Eventplaner Manuel Sinz ist immer mit dem Fahrrad unterwegs. U-Bahn oder Auto benützt er nie. Auf die Ampeln achtet er hingegen. Aufgehalten wird der Radler trotzdem, denn sein Ein-Gang-Fahrrad hat nur eine Bremse und ist deshalb nicht straßentauglich.

Etwas unangenehm für den Mitorganisator des Bike Festivals am kommenden Wochenende: „Ich habe 1000 Euro in dieses Rad investiert, eine Vorderbremse und sämtliche Lichter eingebaut. Doch immer noch werden mir Steine in den Weg gelegt.“

Aber Müller tut nur seine Pflicht: „Laut Fahrradverordnung müssen Räder mit zwei funktionierenden Bremsvorrichtungen ausgestattet sein.“ Gesetz ist Gesetz.

Sinz fügt sich seufzend seinem Schicksal. Und schiebt das Rad die Ringstraße entlang.

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