Wiener Heumarkt: Neue Scheibenwelt soll Welterbestatus retten

Eines gleich vorweg: Die sogenannte „Wohnscheibe“, über die seit Monaten heftig spekuliert wurde, sieht überhaupt nicht wie eine Scheibe aus. So weit, so enttäuschend.
Mehr noch: Tatsächlich erinnert der gestern präsentierte (Neu-)Entwurf für das geplante Heumarkt-Projekt, das seit Jahren den Weltkulturerbestatus der Wiener Innenstadt gefährdet, ziemlich frappant an die Visualisierungen vor der Umplanung.
Das Hochhaus – die „Wohnscheibe“ –, sieht immer noch wie ein Hochhaus aus. Zentraler Unterschied: Es ist nicht mehr so hoch. Statt 75 Metern sollen es nun nur 56,5 Meter werden.

Viel Grün, ein offenes Areal - und kein Turm, so die Pläne.
Die Leidensgeschichte des Projekts zieht sich (gefühlt) ewig: „Wir sind im Jahr zehn der Ereignisse“, sagt dann auch Daniela Enzi, die Projektverantwortliche in Michael Tojners Immobilienunternehmen Wertinvest, bei der Präsentation am Mittwoch. Da schwingt Hoffnung mit, dass das (Polit-)Hickhack um den Heumarkt-Bau endlich ein Ende nimmt.
➤ Mehr dazu in einer Analyse: Wien scheitert an der Stadtplanung, stattdessen gibt es Beton
Wie soll der Bau im Detail konzipiert sein? Was bedeutet das für die geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung? Und welche Auswirkungen hat der neue Plan auf die UNESCO-Konferenz im Herbst? Der KURIER hat die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Wie soll das Gebäude im Detail aussehen?
Die Grundlage bildet ein großflächiger Sockel, der sowohl als Konferenzebene dienen, als auch Cafés, Restaurants und kleinere Shops beheimaten soll. Darauf stehen das neu gebaute Hotel Intercontinental mit einer Höhe von dann 47,85 Metern und – im rechten Winkel, also T-förmig daran – die Wohnscheibe. Eine Freitreppe führt auf den Sockel, der als frei zugängliche Stadtterrasse nutzbar wird.
Woher der Begriff „Wohnscheibe“ rührt, erklärt Architekt Thomas Schwed: Das Gebäude breite sich eher in die Länge (45 Meter) denn in die Höhe aus und stehe so in der Tradition der Wiener „Scheibenhochhäuser“. Vom Stadtpark aus werde der ursprünglich als Turm geplante Bau kaum zu sehen sein.
Was passiert mit Eislaufverein und Konzerthaus?
Der Entwurf sieht eine zentrale Freifläche von etwa 6.000 Quadratmetern vor. Der Eislaufverein bleibt ein zentrales Element des Areals, wird aber zur Stadt hin geöffnet, einsehbar – und im Sommer zur „Stadt-Oase“. Darunter entsteht eine ganzjährig nutzbare Eishalle. Auch das Konzerthaus öffne sich zum Platz hin, der, so Enzi, für die Besucher zum „größten Pausenraum der Stadt“ werde.
„Und es gibt auf dem Areal keine Hinterseite mehr“, so Enzi. Der hinter dem Gelände liegende Teil des 3. Bezirks soll eine Aufwertung erfahren. Die Fahrbahn der Lothringerstraße wird um zehn Meter in Richtung Innere Stadt verlegt.
Natürlich muss ein Zukunftsprojekt dieser Größenordnung auch den veränderten klimatischen Ansprüchen Rechnung tragen. Man wolle das „Grün des Stadtparks“ weiterziehen – extensive Fassadenbegrünung, Baumbepflanzung und Beschattung des Areals sollen die Temperatur deutlich senken und damit den Heumarkt für Bewohner wie Touristen „zum attraktiven Treffpunkt machen“.
- Was ist mit der Umweltverträglichkeitsprüfung?
Der Streit darüber, ob für das Mega-Projekt eine UVP nötig ist, führte zuletzt bis zum Europäischen Gerichtshof – und wieder zurück nach Österreich. (Kurzfassung: Die Stadt wollte darauf verzichten, der EuGH meldete Zweifel an dieser Entscheidung an.)
Erst vor zwei Wochen kündigte die Wertinvest an, von sich aus ein Feststellungsverfahren zur Frage, ob eine UVP nötig sei, anzustreben – und zwar auf Basis der (strengeren) EU-Richtlinien.
Bei der Präsentation am Mittwoch legte man dann – irritierend schnell – das Ergebnis vor: Die Stadt Wien habe Christa Reicher, Architektin und Professorin für Städtebau an der Aachen University, mit einem Gutachten beauftragt. Sie komme darin zu dem Schluss, dass „die (...) zu erwartenden Beeinträchtigungen des Schutzzweckes der UNESCO-Welterbestätte nicht als erheblich bzw. wesentlich einzustufen sind.“ Die finale Entscheidung liegt bei der Stadtregierung und wird für Herbst erwartet.
- Ab wann wird auf dem Areal gebaut?
Der Baubeginn soll 2026 erfolgen. Die veranschlagte Bauzeit beträgt zweieinhalb Jahre. Das bestehende Hotel InterContinental würde voraussichtlich bis Ende 2025 im Vollbetrieb sein.
Die betroffenen Institutionen zeigen sich zuversichtlich: „Seit Jahren blicken wir einer unsicheren Zukunft entgegen und haben einen enormen Investitionsrückstau zu verzeichnen. Das Haus entspricht nicht mehr den Erwartungen unserer internationalen Kunden“, sagt InterContinental-Chefin Brigitte Trattner.
Konzerthaus-Chef Matthias Naske findet es „unver- ständlich, dass so viele Emotionen hineinprojiziert werden“. Man könne es „nicht besser machen.“
- Ist nun auch die UNESCO besänftigt?
Völlig unklar. Ob Wien von der Roten Liste gestrichen wird oder den Titel als Welterbestätte verliert, wird sich im September weisen.
Wiens Welterbebeauftragter und Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ) zeigt sich zuversichtlich. Er sei „kein Hellseher“, aber die Stadt habe sich seit 2018 gegenüber der UNESCO zum „Musterschüler“ gewandelt und „alle Auflagen erfüllt“. Und: „So schön wie in den Renderings hat man das Wiener Konzerthaus noch nie gesehen“, sagt Woller. „Auch das Eistanzen am Wiener Eislaufverein ist immateriellen Kulturerbe“, dafür werde man künftig noch bessere Bedingungen schaffen.
Historische Inspiration: Die Wurzeln der Idee zum „Heumarkt neu“ liegen weit in der Vergangenheit. Schon im Jahr 1890 gab es auf Wunsch des Kaiserhauses ehrgeizige Pläne für das Areal: 40.000 Besucher sollten anlässlich des 50-jährigen Kronjubiläums von Kaiser Franz Josef in einer Olympion genannten Freiluft-Arena samt Bicycleclub, Wiener Sängerverein, Buffets und Restaurants Platz finden. Verwirklicht wurde dieser Plan von Ringstraßen-Architekt Ludwig Baumann allerdings nie. „Übrig“ blieb von seinem Entwurf das im Jahr 1913 errichtete Wiener Konzerthaus.
Weltkulturerbe in Wien: Schloss und Park von Schönbrunn schafften es im Jahr 1996 auf die Welterbeliste der Unesco, beim Historischen Stadtzentrum war es dann 2001 so weit. Letzteres umfasst eine Kernzone von rund 370 Hektar mit circa 1.600 Objekten. Dazu gehört der gesamte erste Bezirk (Donaukanalufer ausgenommen) sowie angrenzende Bereiche des 3., 4., 7. und 9. Bezirks. In der Begründung der Entscheidung hieß es, dass „die städtebaulichen und architektonischen Qualitäten des historischen Zentrums von Wien überragende Zeugnisse eines fortwährenden Wandels von Werten während des zweiten Jahrtausends sind“.
Rote Liste: 1.154 Welterbestätten gibt es weltweit, davon befinden sich aktuell 52 auf der „Roten Liste des gefährdeten Erbes der Welt“. Darunter das Bamiyan-Tal in Afghanistan, alle Welterbestätten Syriens, fünf Nationalparks in der DR Kongo – und Wiens Altstadt. Die komplette Streichung von der Welterbeliste erfolgte bisher nur drei Mal – so traf es etwa die Kulturlandschaft des Dresdner Elbtals wegen des Baus einer vierspurigen Autobahnbrücke
Ein Nachsatz, der Polit-Feinspitze interessieren dürfte: Falls Wien den Titel dennoch verliere, „wird die Welt auch nicht einstürzen“, sagt Woller. Schon seit geraumer Zeit wird gemutmaßt, dass die Wiener SPÖ eigentlich wenig Interesse am Erhalt des Weltkulturerbes hat – sich das aber nicht sagen traut.
Die politische Opposition gibt sich abwartend: ÖVP-Planungssprecherin Elisabeth Olischar kritisiert die „unglaubliche Verzögerung von eineinhalb Jahren“ bei der Projektpräsentation. Der Welterbestatus, sagt sie, müsse jedenfalls erhalten bleiben.
Die FPÖ bemängelt, dass der neue Entwurf „hinter Polstertüren ausgepackelt“ wurde. Das Gutachten zur UVP sei eine „Auftragsstudie“. Dass der Neubau das Welterbe „nicht erheblich“ beeinträchtige, ist FPÖ-Planungssprecher Toni Mahdalik zu wenig: „Es darf das Welterbe auch nicht ,ein bisserl’ beeinträchtigen.“
Experten gaben sich am Mittwoch noch zurückhaltend.
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