Leerer Schabbat-Tisch in Wien soll israelischen Geiseln ein Gesicht geben
Das weiße Tischtuch ist vom Regen komplett durchnässt. Große Regentropfen sammeln sich auf dem silbernen Besteck an. Eine meterlange Tafel mit über 200 Sitzen lädt zum gemeinsamen Schabbat am Judenplatz ein - doch die Plätze sind leer. Was hat es damit auf sich?
Die leeren Sitze stehen als Zeichen für die mittlerweile 229 bekannten, von der Terrororganisation Hamas verschleppten Personen in Israel. Zu Schabbat findet die Familie wöchentlich zusammen. Für viele von ihnen ist das momentan nicht möglich. Das soll die Installation in Wien verdeutlichen, so die Veranstalter. Durchgeführt wird die Wiener Aktion im Rahmen der israelischen Initiative "Hostages and Missing Families Forum - BRING THEM HOME NOW".
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Für die Umsetzung am Judenplatz haben sich deshalb verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure der jüdischen Gemeinde Wiens zusammengefunden, darunter die JöH - Jüdische österreichische HochschülerInnen und die Jugendorganisation Bnei Akiva Wien.
"Ich glaube, die Aktion hat sehr viel Symbolkraft. Man hört in den Nachrichten viele Zahlen, aber wir wollen zeigen, wie diese Zahlen in der Realität aussehen", erklärt Immanuel Turkof, Organisator der österreichischen BRING THEM HOME NOW Initiative. Er steht vor den Stühlen, auf denen Fotos der Vermissten angebracht sind.
Den Zahlen ein Gesicht geben
Jugendliche, Pensionisten und Kinder, wie die zweijährige deutsch-isrealische Aviv Katz-Asher sind unter den entführten Zivilisten. Doch nicht alle Vermissten haben ein Gesicht: die Identifizierung der Opfer sei nicht immer einfach, da viele Tote nicht erkennbar sind.
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Gleichzeitig sei der Informationsaustausch mit dem Roten Kreuz vor Ort erschwert. Diese Umstände würden dazu führen, dass die bekannte Anzahl der Geiseln in Gaza sich ständig verändere. Die über 200 leerstehenden Plätze am Judenplatz geben nun auch den unbekannten ein Gesicht.
Entwicklungen im Nahen Osten bekomme man auch stets in Österreich zu spüren. Jetzt ist die Situation laut Alon Ishay, Präsident der JöH, aber anders als zuvor: "Dass Menschen den Terrorangriff auf der Straße bejubeln, schränkt das Sicherheitsgefühl in Wien ein." Man passe verstärkt darauf auf, wie man sich in der Öffentlichkeit präsentiere. "Wir stehen seit dem 7. Oktober enorm unter Druck", fügt der 20-jährige Turkof später hinzu.
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Das Bild am Judenplatz scheint die Stimmungslage abzubilden - der Platz wird von mehreren Polizisten bewacht. Ein erhöhtes Sicherheitsaufgebot, inklusive Kontakt mit der Polizei, sei laut den Veranstaltern an der Tagesordnung.
Auf das Beste hoffen
Dennoch sei es wichtig, ein Zeichen der Solidarität mit den Entführten zu setzen. "Wir möchten das untragbare Leid der Angehörigen und der Opfer sichtbar machen", erklärt Ishay gegenüber KURIER.
"Eine der wichtigsten Werte, die wir als jüdisches Volk haben, ist die Hoffnung. Die Hoffnung jetzt nicht zu verlieren ist wichtig. Wir werden nicht aufgeben", so Turkof. Sein Onkel wurde von israelischen Armee einberufen. Auch die Familie von Ishay befindet sich in Israel.
Den beiden Männern ist es deshalb ein Anliegen, mit der Schabbat-Aktion die öffentliche Aufmerksamkeit auf die zahlreichen betroffenen Familien der Geiselnahmen zu lenken."Es geht darum, die Hoffnung für die Familien aufrechtzuerhalten", so der Präsident der JöH.
Weitere Aktionen geplant
"Ich versuche, meine Energie in Aktionen wie heute zu stecken und den Dialog zu starten, damit sich etwas ändern kann", so Alon Ishay. "Unser klares Ziel ist die Freilassung der Verschleppten", erklärt Turkof. Weitere Aktionen, mit dem Zweck den öffentlichen Druck für die zerissenen Familien zu erhöhen, seien bereits in Planung.
Das internationale Netzwerk “Hostages and Missing Families Forum” hat sich nur 24 Stunden nach dem Angriff der Hamas in Israel gegründet. Weltweit werden im Rahmen der Initiative nun Aktionen von der jüdischen Gemeinde abgehalten, wie etwa in London, Rom und Paris.
Ihren Ursprung hatte die Schabbat-Tafelaktion in Tel Aviv, wo vergangene Woche bereits über 200 Sessel aufgestellt wurden, um der von der Hamas verschleppten Menschen aus Israel zu gedenken.
Friedlicher Schabbat momentan nicht möglich
“‘Schabbat Schalom’, lautet der Gruß, mit dem wir, Jüdinnen und Juden, einander freitags begrüßen. ‘Einen friedlichen Schabbat’ wünschen wir einander, doch den gibt es für uns nicht, solange die Geiseln ihn nicht mit uns begehen können und am Schabbat-Tisch fehlen.”, meint der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici.
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