Nachgefragt in Floridsdorf: Warum die ehemals rote Hochburg bröckelt
33 Jahre war Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig alt, als er Bezirksrat seines Heimatbezirks Floridsdorf wurde. Von einem ähnlichen Prozentanteil bei der Nationalratswahl auf Bezirksebene können Ludwig und die SPÖ am Tag nach dem Urnengang nur träumen. Während die FPÖ mit 30,2 Prozent der Stimmen einen historischen Erfolg verbuchte, rutschten die Sozialdemokraten im ehemals tiefroten Floridsdorf auf Platz zwei ab.
Liest man auf Ludwigs Homepage seinen Werdegang, ist diese Entwicklung schwer zu verstehen: "Wir lebten im Gemeindebau – zu dritt auf 44 m². Meine Mutter arbeitete fast rund um die Uhr. Tagsüber in der Fabrik, abends halfen meine Schwester und ich bei ihrer mitgebrachten Heimarbeit mit [...] Da habe ich gesehen, was es heißt, zu arbeiten.", steht dort geschrieben. Doch ausgerechnet die Arbeiter in dem Flächenbezirk über der Donau fühlen sich von den Sozialdemokraten verraten. Diesen Eindruck bekommt man zumindest am Montag bei einem Lokalaugenschein in dem Mega-Gemeindebau Großfeldsiedlung.
Ein früher Spritzer auf den Wahlsieger
Viel los ist am Vormittag zwischen den bunten, teils 16-stöckigen Plattenbauten nicht. Die Menschen, die man trifft, berichten aber alle Ähnliches: "Die Hackler sind unzufrieden, weil die SPÖ schon lange keine Arbeiterpartei mehr ist", erzählt Thomas S., der mit seiner Frau den Imbissstand "Dagmar's Hexenstüberl" betreibt. Die Handvoll im Lokal anwesenden Stammgäste heben zustimmend ihren Spritzer oder ein Seiterl.
Inwiefern die "Hackler verraten wurden", erfährt man ein paar Blöcke weiter. Dort sind Sandra H. und Patrick F. gerade am Weg zum Kindergarten, um die Kinder abzuholen. Er müsse einen Teil der Mindestsicherung zurückzahlen, weil er jetzt zu viel verdiene. Wie seine Freundin arbeitet er im Einzelhandel.
"Ich bin nicht ausländerfeindlich, aber ich hab' gehört, dass Ausländer viel Geld vom Staat bekommen, während wir hart arbeiten und jetzt Sozialleistungen zurückzahlen müssen", beschreibt Verkäuferin Sandra H. ihre Motive für das Kreuzerl bei Blau.
"Hoffnungsschimmer" Kickl
Anders als bei manch anderem Bewohner der Großfeldsiedlung handelt es sich bei den beiden nicht um frustrierte Wechselwähler: "Wir waren seit Jahren nicht wählen, diesmal hat mich meine Chefin aber überzeugt, weil's um die Zukunft geht. Als Junge müssen wir da auf uns schauen", sagt die 30-jährige Mutter, während sie das Kinderwagerl vor sich herschiebt.
Dass für viele Menschen in Floridsdorf offenbar eine Zukunft mit der FPÖ an der Spitze am besten vorstellbar ist, zeigt sich auch in "Dagmar's Hexenstüberl", wo Besitzer Thomas S. zwar nicht glaubt, dass das Wahlergebnis viel ändern wird, aber: "Kickl ist zumindest ein Hoffnungsschimmer".
Ängste bestimmen den Alltag
Hoffnung worauf? Da ist man schnell wieder beim Ausländerthema. Die Anwesenden erzählen von Kindern, die abends nicht mehr rausdürfen, Ängste davor haben, draußen mit Rock auf der Bank zu sitzen oder nach dem Besuch im Wettbüro ausgeraubt zu werden. "Wir fühlen uns allein gelassen. Im Lokal wurde unlängst eine Scheibe eingeschlagen, aber die nächste Polizeiinspektion in der Kürschnergasse ist nach 19 Uhr nicht mehr besetzt", beklagt die 58-Jährige.
Tatsächlich ist es so, dass es sich um eine jener Polizeistationen handelt, die nachts nicht für den Parteienverkehr zur Verfügung steht. Beamte seien natürlich trotzdem im Dienst und im Ernstfall rasch vor Ort, wird seitens Exekutive beschwichtigt. Die Anrainer haben dennoch Sicherheitsbedenken, die FPÖ scheint darauf die besten Antworten zu haben.
Corona-Nachwirkungen
Es ist aber nicht nur die Migration, die die Gemeindebaubewohner bewegt. "Ich habe die FPÖ gewählt, weil sie mit ihrer Corona-Politik ein Zeichen gesetzt hat. Kickl ist gegen den Strom aus Einheitsparteien geschwommen und hatte eine klare Linie", ist Emanuel Baciu überzeugt. Der FPÖ-Parteichef spreche das an, was sich andere nicht trauen, so der 47-Jährige, der als Betreuer in einer Sozialeinrichtung arbeitet. Weniger geleitet habe ihn bei seiner Wahlentscheidung der hohe Ausländeranteil im Grätzl: "Da heben sich die Blauen kaum von der ÖVP ab."
Ob die Siegerpartei auch Lösungen hat, da ist sich Baciu weniger sicher. Außerdem müsse Herbert Kickl überhaupt erst in die Regierung kommen - denn das bezweifeln hier trotz Wahlsieg fast alle. "Keiner will mit den Freiheitlichen zusammenarbeiten. Da fragt man sich dann schon, wozu man überhaupt wählen geht", kritisiert Verkäufer Patrick F. die anderen Parteien, bevor er und seine Freundin endgültig Richtung Kindergarten abbiegen.
Zurück in "Dagmar's Hexenstüberl" ist Chef Thomas S. ebenfalls skeptisch, dass Österreich bald von der FPÖ regiert wird. Bei Verlassen der Imbissbude verabschiedet er sich mit einer Politprognose: "Ich sag', in eineinhalb Jahren gibt's Neuwahlen. Da wird die FPÖ dann noch stärker abschneiden."
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