Nach interner Kritik: Wiener ÖVP ruft zu Rundem Tisch
Es ist ein Problem, das man üblicherweise von den Grünen kennt – diesmal trifft es die Wiener ÖVP: Die sogenannte Basis, also die Funktionäre in den Bezirken, entfremden sich immer mehr von der eigenen Führungsspitze.
Der Grund: Nicht nur im Wahlkampf, sondern vor allem in der Zeit danach dürfte in der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse so mancher Management-Fehler passiert sein. Jetzt will die Führungsspitze gegensteuern.
Einer der zentralen Vorwürfe, mit denen man sich herumschlagen muss: Die Landespartei sei „führungslos“. Parteichef Gernot Blümel habe sich nach geschlagener Wahl sofort wieder in Richtung Finanzministerium verabschiedet – und zeige kaum noch Interesse an der Zukunft „seiner“ Landespartei.
Seine Statthalter in Wien, Markus Wölbitsch und Bernadette Arnoldner, kämen mit der Organisation der türkisen Zukunft nur schwer zurecht.
Die Geschichten, die langgediente ÖVP-Politiker erzählen, gleichen einander in wesentlichen Punkten: Die Landesspitze agiere „überheblich“, ist da zu hören. Es fehle an „Handschlagqualität“ und an einem „menschlichen Umgang miteinander“. Und an „geregelter Kommunikation“ mangle es überhaupt.
Rangelei um Mandate und Ämter
Aufgebrochen ist der Konflikt zuletzt, als sich der türkise Klub im Gemeinderat konstituieren sollte. Denn obwohl die Wiener ÖVP nach ihrem Wahlerfolg (ein veritables Plus und nunmehr 20 Prozent der Wählerstimmen) mehr Posten und Ämter zu vergeben hat, wird gerangelt.
Zuerst eskalierte der Streit zwischen den Bezirken Neubau, Josefstadt und Alsergrund – der KURIER hat berichtet: Die Spitzenkandidaten der drei Bezirke, die gemeinsam in dem Wahlkreis „Innen West“ antraten, hatten eine interne Nebenabsprache getroffen. Inhalt: Nicht der formal Listenerste, sondern der Kandidat mit den meisten Vorzugsstimmen solle das Grundmandat im Wahlkreis und damit den Sitz im Gemeinderat erhalten.
Als Siegerin ging Christina Schlosser hervor, Parteichefin in Neubau. Die zweitmeisten Vorzugsstimmen hatte Lisa Fuchs (Alsergrund). Josef Mantl (Josefstadt), der formal Listenerste, landete nur knapp dahinter. Nach der Wahl „vergaß“ Mantl jedoch, dass es ein internes Abkommen gegeben hat – und zieht nun kommende Woche in den Gemeinderat ein.
Ein „unehrenhaftes Mandat“ nennen das seine Kritiker. Andere wiederum verteidigen ihn und erzählen, dass sich seine Mitstreiterinnen im Wahlkampf auch nicht an alle Abmachungen gehalten hätten.
Relevant wird die Geschichte, weil auch die Landespartei eine Rolle darin spielt: Die interne Abmachung zwischen den dreien soll nämlich im Beisein der türkisen Landesgeschäftsführerin Arnoldner in einem Büro der Landespartei getroffen worden sein. Auch Andreas Ottenschläger, Nationalratsabgeordneter und Parteichef in der Josefstadt, sei anwesend gewesen.
Dass es ein Treffen gab, das bestätigen – nach Zögern – mittlerweile alle Seiten. Einzig über die Zusammensetzung der Runde wird noch gestritten. In manchen Erzählungen saßen alle um einen Tisch, in anderen ging der eine früher oder kam der andere später.
Der Streit hat mittlerweile so weite Kreise gezogen, dass die Landespartei handeln will: Arnoldner hat für heute, Donnerstag, einen Runden Tisch mit allen Streitparteien einberufen, um die Wogen zu glätten. Und, wie Arnoldner im KURIER-Gespräch sagt, „um einige Dinge klarzustellen“.
Etwa, dass „die Landespartei von Anfang an betont hat, dass Kandidaten für individuelle Vereinbarungen in ihren Wahlkreisen und deren Einhaltung selbst verantwortlich sind“. Mit ihr, Arnoldner, habe es daher „keine Vereinbarung“ gegeben. Und: Sie erwarte sich, dass das die Kontrahenten beim Runden Tisch „auch selbst klarstellen“.
Verschollene Kandidatin
Um Schadensbegrenzung ist man auch im zweiten Streitfall bemüht. Wie der KURIER berichtet hat, ist eine Kandidatin seit der Wahl unauffindbar. Antonia Heiml aus dem 22. Bezirk sollte auf ihr Mandat verzichten, damit andere Kandidaten, die aufgrund ihrer Vorzugsstimmen parteiintern vorgereiht werden hätten sollen, einen Sitz im Gemeinderat erhalten.
Zehn Leute seien zuletzt Tag und Nacht unterwegs gewesen, um Heiml zu finden – daheim, vor dem Haus der Eltern, bei Nachbarn. Immer mit der Verzichtserklärung in der Hand. Die Jungpolitikerin ist bis heute verschollen.
Man habe überlegt, eine Vermisstenmeldung aufzugeben, heißt es. Dann aber habe der Vater die Tür geöffnet. „Lasst’s die Antonia in Ruh’“, habe er gesagt. Seine Tochter müsse „für ihr Studium lernen“.
Intern wird Kritik laut: Es sei unverständlich, dass derartiges passieren könne. Heiml war auf der Landesliste unter die ersten 30 gereiht. „Bei so prominenten Plätzen muss man vorab einen Hintergrund-Check bei allen Kandidaten machen und sie sorgsam auswählen“, wird moniert.
Andere kritisieren das Reißverschlusssystem, bei dem sich Männer und Frauen auf den Listen abwechseln: Heiml sei vom Bezirk überhaupt nur nominiert worden, weil man eine Frau benötigt habe.
Das will man in der Parteizentrale so nicht stehenlassen: Man kenne Heiml seit drei Jahren, sie habe den internen Mentoring-Prozess „mit guter Bewertung“ absolviert. Auch ein Screening habe es gegeben. Heiml sei „ motiviert“ gewesen. Am Dienstag wurde sie bei der Präsidiumssitzung aus der Partei ausgeschlossen.
Vorzugsstimmen-System ausgesetzt
Da sie sich weigert, auf ihr Mandat zu verzichten, können Jan Ledochowski (mit 1.785 Vorzugsstimmen) und Suha Dejmek-Khalil (1.168) nicht in den Gemeinderat einziehen. Die ÖVP hat nämlich ihr internes Vorzugsstimmensystem „vorübergehend ausgesetzt“, wie es heißt.
Andere formulieren es drastischer: „Das Vorzugsstimmensystem ist tot. Niemand kann in Zukunft darauf vertrauen, dass Vereinbarungen eingehalten werden.“ Zumindest einer der beiden, die nun den Einzug verpassen, könnte klagen, ist zu hören.
In der ÖVP gibt man sich entspannt: Gegebenenfalls halte man sich bei Heiml schadlos. Vorerst setze man auf Versöhnung. Ledochowski und Dejmek, die aus dem christlichen Lager kommen und viele Wähler brachten, liegen „der Partei sehr am Herzen“. Man überlege, wie sie sich künftig einbringen können.
Frischer Wind?
Am Dienstag hat sich der ÖVP-Klub konstituiert. 22 Mandatare zählt er, um 15 mehr als in der vergangenen Periode. Die Herausforderung: Nur fünf davon haben Erfahrung im Gemeinderat, 17 sind Newcomer.
Was einige „für eine Chance auf frischen Wind“ halten, das sehen andere kritisch: „Manche sind in der Stadtpolitik noch nie in Erscheinung getreten.“ Unter den Neuen sind etwa Peter L. Eppinger, „Stimme der Bewegung“ (von Sebastian Kurz), und Markus Gstöttner, stv. Kabinettschef von Kurz. Damit Gstöttner das Mandat bekommt, wurde Isabelle Jungnickel, die vor ihm auf der Liste war, kurzerhand zur Stadträtin erhoben, wird geätzt.
Die Neuen in das Prozedere einzuführen, wird die Aufgabe von Markus Wölbitsch, dem neuen Klubobmann. Er folgt auf Elisabeth Olischar, die Dritte Gemeinderatsvorsitzende wird. Nicht alle können Wölbitschs Kür nachvollziehen: Er war bisher Stadtrat und daher nur am Rande mit den Prozessen im Gemeinderat befasst.
In der Parteizentrale kommentiert man die Hintergründe für den Wechsel nicht. Nur so viel: Wölbitsch übernehme „auf Wunsch von Gernot Blümel“ das Amt. Zumindest bei den Personalia mischt Blümel also mit. Und die Partei folgt: Wölbitsch wurde einstimmig gewählt.
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