Das Motiv kennt nur die Mutter

Die Wohnung, in der sich die Bluttat ereignete, ist polizeilich versiegelt.
Am Tag nach Tod einer Vierjährigen gibt es ein Geständnis, aber weiter Rätselraten über die Beweggründe.

Fassungslosigkeit, Trauer, Rätselraten: Am Tag danach ist der Tod der vierjährigen Nicola Thema Nummer eins im Gemeindebau in der Goldscheidgasse, Hernals.

Alle fragen sich: Wie konnte es zu der Bluttat kommen? In der polizeilichen Einvernahme nannte die 38-jährige Verdächtige Izabela L. am Mittwoch kein Motiv. Vermutet werden Geldsorgen – die polnische Familie stand bereits zum sechsten Mal vor der Delogierung.

Das Motiv kennt nur die Mutter
Tatort, Hernals, Goldscheidgasse, Mutter tötete Kind, versiegelte Türe, Nachbarin
Frau Theresia steigen Tränen in die Augen: Seit 61 Jahren lebe sie in dem Haus, sie kenne alle Nachbarn. "Das Mädchen war etwas Besonders. Sie war so aufgeweckt. Erst vor ein paar Tagen hat sie mir ein Bild gezeigt, das sie gemalt hat." Von Problemen hörte sie nie: "Für mich war es eine Familie wie aus dem Bilderbuch." Der Vater ein Familienmensch, die Kinder sehr wohlerzogen. "Darum habe ich mich gewundert, als der Bub in der Früh so laut geschrien hat", sagt Theresia.

Und die Mutter? Freilich, still und sehr ernst sei sie schon gewesen: "Aber immer höflich und gepflegt." Da mischt sich eine Nachbarin ein: "Ich hatte immer das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimmt", sagt sie. Warum? Sie zögert: "Ich glaube, dass sie zu ihrem Buben nicht so eine enge Beziehung hatte wie zum Mädchen." Sie habe gesehen, wie der Junge gegen sieben Uhr aus dem Haus stürmte – barfuß, nur in Unterhose und Leiberl.

Blutiger Handabdruck

Im Hof standen die für die Delogierung zuständigen Magistratsbeamten, doch niemand nahm von dem Kind Notiz. Daher wollte die Nachbarin helfen. "Ich bin runter zu ihm in den Hof und sehe: Er hat einen blutigen Handabdruck auf der Schulter. Der Bub war außer sich. Und er hat gesagt: ,Sie ist schon wieder durchgedreht‘."

Beide Damen sind ratlos: Man hätte doch geholfen, hätte man nur Bescheid gewusst. "Ich glaube, die Tat hat sich in dem Moment ereignet, als die Beamten vor der Türe standen. Vielleicht sah sie einfach keinen Ausweg", mutmaßt Theresia.

Beide vermuten, der Vater habe nichts von der Räumung gewusst: "Würden Sie in die Arbeit fahren, wenn Sie wüssten, Ihre Familie wird delogiert?"

Für den Gerichtspsychiater Reinhard Haller sieht alles nach einer Verzweiflungstat aus. "Es kostet viel Kraft, den Schein der heilen Familie aufrechtzuerhalten. Man lebt in ständiger Angst. Dann reicht ein Auslöser und man setzt eine radikale Tat." In vergleichbaren Fällen hätten Mütter zuerst ihre Kinder und dann sich selbst töten wollen: "Oft war das aggressive Potenzial nach dem Mord am Kind aber verpufft und sie hatten keine Kraft mehr für den Selbstmord", erklärt Haller. Dafür spreche auch, dass sich Izabela L. widerstandslos festnehmen ließ.

Stiche im Oberkörper

Gegenüber der Polizei schilderte die 38-Jährige am Mittwoch die Tat detailliert. Sie sei mit Nicola in der Küche gestanden, habe ein Messer genommen und auf ihren Oberkörper eingestochen – das bestätigt auch die Obduktion.

Gefragt nach ihren Beweggründen sei die Frau aber verstummt, sagt Polizeisprecher Patrick Maierhofer: "Sie macht dazu überhaupt keine Angaben." Weil vorerst keine Notwendigkeit für eine Unterbringung in der Psychiatrie festgestellt wurde, wird die Frau heute in die Justizanstalt eingeliefert.

Ratlosigkeit herrscht auch am Arbeitsplatz des Vaters, einer Baufirma in Wien-Liesing. Das Thema beherrscht die Pausengespräche, die Kollegen spielen einander auf ihren Smartphones Fernsehberichte über das Familiendrama vor. Von Problemen hatte der Maurer nie erzählt. Am Dienstag sei er bereits auf der Baustelle gewesen, als er von der Tat erfuhr.

Das Motiv? "Das kennt allein Gott", erwidert einer der Kollegen.

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