Martha Bißmann kandidiert bei Wien-Wahl für Migrantenpartei
Die Entscheidung ist gefallen: Martha Bißmann, die als „Liste Jetzt“-Mandatarin Parteigründer Peter Pilz Platz machen musste und danach als wilde Abgeordnete im Nationalrat blieb, tritt bei der Wien-Wahl 2020 für die Migrantenliste SÖZ (Soziales Österreich der Zukunft) an.
Bevor die Energie- und Umwelt-Managerin – laut Dirk Stermann und Christoph Grissemann Österreichs „wildeste Abgeordnete Österreichs“ – heute, Dienstag, Abend im ORF-Comedy-Format „Willkommen Österreich“ ihre Kandidatur bekanntgibt, sprach sie mit dem KURIER über ihre Motive.
KURIER: Frau Bißmann, die Würfel sind also gefallen: Sie gehen bei der Wien-Wahl für die Migrantenliste SÖZ ins Rennen. Werden Sie Spitzenkandidatin?
Martha Bißmann: Ja, ich trete für SÖZ an. Es wird eine Allianz ohne Parteimitgliedschaft, so wie bei Irmgard Griss und den Neos. Und ja, ich bin als Spitzenkandidatin im Gespräch. Geplant ist jedenfalls eine moderne Doppelspitze gemeinsam mit (Listengründer; Anm.) Hakan Gördü. Wir werden gleichberechtigt sein. Das soll die Ausgewogenheit der Liste abbilden. SÖZ ist durch die Allianz keine reine Migrantenliste mehr, sondern eine absolut diverse, bunte Zusammenstellung von Menschen, die für eine progressive, weltoffene und demokratiebewusste Politik einstehen.
Was sind Ihre Beweggründe?
Ich sehe da einfach eine Riesenchance, diese Liste hat Potenzial. Vielleicht gelingt ja sogar eine Art Neuauflage der Sozialdemokratie – nur ohne die Altlasten einer in die Jahre gekommenen Partei. Ohne oligarchische Machtstrukturen und ohne Gewerkschaft, die jede Reform erschwert. SÖZ ist eine Bewegung, mit der man progressive Politik machen und Akzente setzen kann. Sie ist ökologisch, solidarisch, sozial und demokratisch.
Warum sind Sie davon so überzeugt?
Für die Annäherung habe ich mir sehr viel Zeit gelassen. Nach zahlreichen Gesprächen bin ich mir sicher, dass die Leute, die hinter der Bewegung stehen, idealistisch, liberal und offen sind. Ich habe hier viel Spielraum für meine Themen: Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ich bin der Überzeugung, dass es für Klimaschutz auch ein gutes Klima in der Gesellschaft braucht. Aber der rechtspopulistische Kurs der Bundesregierung, der Minderheiten und vor allem Muslime ausgrenzt, vergiftet das Klima. Deshalb brauchen wir eine Gegenbewegung zum Rechtspopulismus. Wir müssen den Menschen, die in Österreich leben, ein Wir-Gefühl vermitteln.
Wenn man Ihnen so zuhört, klingt das so als seien die Grünen kein Thema mehr für Sie.
Punkto Klimaschutz schon, aber was Menschen- und Minderheitsrechte sowie Integration betrifft, wären sie mittlerweile die falsche Partei für mich. SÖZ ist dagegen eine Partei, die für sozialen Zusammenhalt steht.
Haben Sie als wilde Abgeordnete auch mit anderen Parteien über ein weiteres politisches Engagement gesprochen?
Ja, auf Bundesebene hab ich mit Werner Kogler gesprochen. Aber wir sind eben auf keinen grünen Zweig gekommen.
Bleiben wir bei der politischen Stoßrichtung von SÖZ. Listengründer Hakan Gördü wird ja oft vorgeworfen, dass er Vizechef der Erdogan-nahen UETD (Union der Europäisch-türkischen Demokraten; Anm.) war. Nehmen Sie ihm ab, dass er sich von der türkischen Politik emanzipiert hat?
Ja, absolut. Das war mir auch sehr wichtig. Wir haben das Agreement, dass wir türkische Politikthemen in der Partei außen vor lassen. Es darf überhaupt keine Einflussnahme aus dem Ausland geben. Und wir werden auch bei der Finanzierung transparent sein.
Sind Sie religiös?
Nein. Ich bin Agnostikerin und wissenschaftsgläubig.
Fürchten Sie nicht, dass Sie als nicht religiöse Spitzenkandidatin religiös-konservative Wähler, wie sie SÖZ zum Teil haben dürfte, vergrämen könnten?
Religiös-konservative Menschen können sehr liberal sein, vor allem wenn sie einer marginalisierten Gruppe angehören. Diese Erfahrung mache ich täglich. Meine Unterstützer verstehen, dass Toleranz wie Solidarität keine Einbahnstraße ist. Ich weiß, dass ich auf sie zählen kann. Nicht zuletzt wegen meiner solidarischen Nationalratsrede gegen das Kopftuchverbot.
Wie stellen Sie sich denn die typischen SÖZ-Wähler vor?
Da gibt es mehrere Gruppen. Zum einen das Gastarbeiterenkelkind in dritter Generation, das in Wien sozialisiert wurde und hier ein Kleinunternehmen betreibt. Zum anderen die junge gebildete Muslima, mit oder ohne Kopftuch, die das Beste aus beiden Kulturen vereint. Durch meine Person kommen aber auch nicht-migrantische Wähler dazu: Personen aus dem Fridays-for-Future-Umfeld oder Ältere aus der Kriegsgeneration – Omas gegen Rechts, zum Beispiel.
SÖZ nimmt ja für sich in Anspruch, Minderheiten eine Stimme zu geben. Schließt das auch homo-, bi- und transsexuelle Personen mit ein? Oder würden das die konservativeren SÖZ-Wähler nicht goutieren?
Ja, SÖZ steht für Minderheiten ein – das kann konservative Wähler vor den Kopf stoßen. Da braucht es vielleicht noch Zeit. Aber wir sind keine Populisten, die sich 100-prozentig nach Wählerumfragen richten. Auch Konservative können sich sozial engagieren. So schafft man ein Wir-Gefühl. Das ist ein wichtiger Auftrag.
Wie geht es Ihnen eigentlich mit der Bezeichnung „Migrantenpartei“?
Der Begriff ist wunderbar, ich fühle mich selber migrantisch. Mein Großvater war Deutscher, meine Verwandten väterlicherseits kommen aus Polen und Ungarn und die auf der mütterlichen Seite aus Slowenien.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie bei der Wien-Wahl?
5 bis 7 Prozent sind durchaus realistisch. Damit könnten wir zum Zünglein an der Waage werden und der rot-grünen Koalition zu einer Neuauflage verhelfen. Und wir würden Türkis-Grün sowie Türkis-Blau verhindern.
Es gibt also Koalitionen, die Sie von vorn herein ausschließen würden?
Heinz Christian Strache und die FPÖ hetzen seit mehr als zehn Jahren systematisch gegen Muslime – wie sollen wir da zusammenfinden? Mit der ÖVP kann ich mir zwar Gespräche vorstellen, die Türkisen wären punkto Zusammenarbeit aber die allerletzte Möglichkeit. Dafür müssten erst sehr große Brocken aus dem Weg geräumt werden. Das türkis-grüne Regierungsprogramm in der heutigen Form, mit seiner Handschrift des Rechtspopulismus, würden wir auf keinen Fall akzeptieren.
Sollte SÖZ den Einzug in den Gemeinderat nicht gelingen – wäre das dann das Ende Ihrer politischen Karriere?
Nein, nach der Wahl ist vor der Wahl. Mit SÖZ würde es auch auf Bezirksebene weitergehen, ich kann mir auch ein Engagement auf Bezirksebene vorstellen. Die Community wächst.
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