Lebenslange Haft für Estibaliz Carranza

Estibaliz Carranza nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft plus Einweisung verurteilt.

Man hat nichts ausgelassen. Vom Vater der Angeklagten, der in Mexiko ein „Kind der Schande“ zwischen Cousin und Cousine war, bis zur Küchenpsychologie der Sprachlehrerin in einem Italienischkurs, wurde Estibaliz Carranza durchleuchtet. Ein Sachverständiger hat mittels Computertomografie sogar dieses „rote Teil“ in ihrem Gehirn gesucht, das angeblich Impulse ausstrahlt und dafür sorgt, „dass ich für nichts garantieren kann“. Der Mediziner hat nichts gefunden. Das wundert Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner nicht. Carranza „verliert nicht den Kopf, sie verliert sich in Emotionen“, sagte sie. „Sie hatte sich immer unter Kontrolle.“ Und das brachte der 34-jährigen früheren Eissalon-Betreiberin am Donnerstagabend lebenslange Haft plus Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Da hat auch Carranzas unter Schluchzen vorgebrachtes Schlusswort wenig ausrichten können, es tue ihr leid, dass ich Holger und Manfred das Leben genommen habe.“ Die Geschworenen entschieden binnen eineinhalb Stunden und einstimmig, Carranza erklärte stoisch: „Ich habe verstanden“, die Verteidiger legten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein.

Milderungsgründe

Angesichts der verhängten Höchststrafe klingt der von Richterin Susanne Lehr dargelegte „Milderungsgrund“ der „psychischen Beeinträchtigung“ bei der Strafbemessung fast wie Hohn. „Es ist eh egal“, meint eine Zuschauerin: „Die Bilder haben sich bei ihr eingebrannt. Ob lebenslang oder nicht, damit wird sie leben müssen, für den Rest ihres Lebens.“ Es sei verblüffend, wie rational Carranza „auch in einer massiven Drucksituation“ entscheiden könne, hatte Psychiaterin Kastner zuvor ausgeführt. Etwa, als der von der Angeklagten erschossene Ehemann Holger Holz schon fünf Tage tot in der Wohnung saß und sich aufzulösen begann. „Es gibt nichts Grauenvolleres, Sie können sich das nicht vorstellen“, sagte Kastner zu den Geschworenen. (Die können das seit Mittwoch sehr wohl, da hatte ihnen der Gerichtsmediziner die abgeschnittenen Schädel der Opfer samt noch erkennbaren Gesichtszügen und andere Leichenteile auf die Leinwand projiziert). „Hätte Frau Carranza das vorher berechnet, hätte sie es nicht auf sich genommen“, meint Kastner. Denn das Zerteilen der Leichen bescherte der Angeklagten selbst Albträume. „Aber sie ist intelligent, sie weiß, sie findet für jedes Hindernis eine Lösung.“

Laut der Gutachterin waren es keine Taten im Affekt. Das glaubte ihr der Geschworene in der ersten Reihe ganz außen aufs Wort: Warum die Angeklagte die Pistole nach der ersten Tat behalten habe, will er wissen, und gibt gleich selbst die Antwort: „Falls Ihnen wieder einmal jemand in die Quere kommt?“
Ihre geistig-seelische Abartigkeit hat den Entscheidungsspielraum der Angeklagten sicherlich eingeengt, sagte Kastner noch. „Eine Persönlichkeitsstörung ist kein Schnupfen. Das geht nicht so schnell weg.“ Aber „sie hätte auch anders können, als ihr Handeln nur nach ihren Bedürfnissen zu richten.“ Diese Bedürfnisse waren: Die Männer – „austauschbare Partner“ – müssen den Weg frei machen für neue Beziehungen, die der Frau ohne Selbstwertgefühl mehr Bestätigung, mehr Wertschätzung entgegenbringen. Eine herkömmliche Trennung von den Männern sei ihr zwar nicht möglich gewesen, „sie hat das nicht gelernt“, meint Kastner.

Ein Trichter

Sehr wohl aber hätte es für Carranza Möglichkeiten gegeben, Hilfe zu suchen, „um sich vor sich selbst zu sichern.“ Sie steckte in der „trichterförmigen Einengung auf die absehbare Tat“, schob die Kränkungen und ihre Wut aber von sich weg, „als wäre das etwas Fremdes“. Es saß aber niemand anderer als sie selbst am Steuer, „es gab kein rotes Teil im Hirn“ – und das macht Estibaliz Carranza schuldfähig. Die Sachverständige bescheinigt der Angeklagten eine düstere Zukunftsprognose und beziffert die „statistische Wahrscheinlichkeit“ einer neuen Straftat mit schweren Folgen in den nächsten zehn Jahren mit 31 Prozent.

Im Keller des Eissalons

Die 34-jährige Spanierin hatte dem nicht rechtskräftigen Urteil zufolge im April 2008 ihren Ex-Mann Holger Holz (43) und im November 2011 ihren damaligen Lebensgefährten Manfred Hinterberger (47) hinterrücks bzw. im Schlaf aus einer Entfernung von jeweils zehn bis 20 Zentimetern erschossen, die sterblichen Überreste der Männer mit einer Motorsäge zerteilt, die Leichenteile in Plastikwannen und Blumentöpfe einbetoniert und im Keller unter ihrem Eissalon "Schleckeria" verborgen. Im Juni 2011 kamen sie bei Installationsarbeiten zufällig zutage.

Die Angeklagte hat sich zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen Taten nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden. Das stellte die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner klar.

"Es ist keine Ursache fassbar, warum sie zurechnungsunfähig sein sollte. Es war ihr immer klar, was Recht und Unrecht ist", sagte die Gutachterin, die Carranza damit keinen Schuldausschließungsgrund bescheinigte.

Die erste inkriminierte Tathandlungen wäre ebenso wie die zweite "ganz klar kein Affektdelikt" gewesen, so Kastner. Bis es dazu kam, sei eine "lange Entwicklung" abgelaufen. Auch der Versuch, die Taten zu verbergen, sprächen gegen Affektdelikte.

Schwierige Familienverhältnisse

Carranza sei in einem schwierigen familiären Umfeld aufgewachsen: "Frauen waren die, die zu gehorchen hatten. Die Männer bestimmten, was geschah." Den Vater habe männliche Dominanz ausgezeichnet. Ihm sei eine unterwürfige, dankbare Mutter gegenüber gestanden, führte Kastner aus.

Sie habe aus dieser Konstellation gelernt, man müsse für Männer möglichst attraktiv sein, um den Partner halten zu können: "Man muss ihn mit entsprechendem Liebreiz bedienen." Die Angeklagte habe diese "Rechenformel" für sich regelrecht verinnerlicht und sich in weiterer Folge immer wieder "getrieben von der eigenen Bedürftigkeit den Nächstbesten genommen", erläuterte Kastner. Den Richtigen habe sie aber nicht gefunden: "Es ist unglaublich, in wie viele defizitäre Partnerschaften die Frau geraten ist." Die 34-Jährige habe vergeblich "bedingungslose Akzeptanz als Gegenleistung für bedingungslose Unterwerfung erwartet".

"Narzissmus pur"

Eine herkömmliche Trennung, ein schlichtes Verlassen der Männer, die sie nicht glücklich machten, sei Carranza nicht möglich gewesen. Sie habe das "nicht gelernt", betonte Kastner: "Dieser Weg war für sie nicht unmittelbar gangbar."

Kastner bescheinigte der Angeklagten "eine gravierende, umfassende, vielgestaltige Persönlichkeitsstörung". Carranza setze das, was sie will, für absolut: "Das ist Narzissmus pur."

In der Ehe mit Holger Holz habe die Angeklagte "leider erleben müssen, dass die Rechnung wieder nicht aufgegangen ist". Der Mann sei nicht so gewesen, wie sie es sich erwartet hätte. Carranza hätte von ihm "pausenloser Bestätigung" für ihr Selbstwert-Gefühl bedurft, diese aber nicht erhalten, erklärte die Gutachterin. In ihrem Denken habe Holz das freie Leben mit einem anderen blockiert, "indem er einfach da war. Das Problem war, dass er einfach dasaß, und sie hat keine Möglichkeit gesehen, ihn vom Dasitzen wegzubringen".

Zielgerichtet

In dieser Situation sei Carranza "die Tötung, das Aus-dem-Weg-Räumen dieses Menschen" als Lösung erschienen, so die Gutachterin. Diese Möglichkeit habe die Frau längere Zeit "durchgespielt" und von einer Fantasie zur "Gewissheit" entwickelt. Laut Kastner lag eine "trichterförmige Einengung auf eine absehbare Tat" vor: "Es war eine Welle, die kommt und immer stärker wird." Die Tat an sich habe die Angeklagte zielgerichtet vollbracht. "Sie verliert nicht den Kopf. Sie verliert sich in Emotionen", sagte die Psychiaterin über die 34-Jährige.

Ähnlich gefangen habe sich die Angeklagte bei ihrem Lebensgefährten Manfred Hinterberger gefühlt. Wiederum sei sie an einen Mann gebunden gewesen, "der ihr beileibe nicht das geboten hat, was sie gebraucht hat", meinte die Sachverständige. Hinterberger habe der Frau immer mehr Nähe und Zuwendung entzogen. Erneut sei "die Welle" mit der Tötungsfantasie gekommen: "Nach der ersten Tötung war Carranza bewusst, dass sie dazu fähig ist. Sie war beim zweiten Mal ganz sicher nicht mehr überrascht, dass sie dazu fähig ist." Im Unterschied zum ersten Mal habe sie sich auf die Tötung Hinterbergers vorbereitet und die Folgen der Tat "wesentlich rascher und effizienter bereinigt."

Die Psychiaterin sprach sich für die Einweisung der Angeklagten in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher aus und bescheinigte der 34-Jährigen eine ausgesprochen düstere Zukunftsprognose. Eine "weitere Tatbegehung" liege bei ihr "bei realistischer Betrachtung nahe".

Neuerliche Straftat möglich

Bei Tötungsdelikten liege - bezogen auf männliche Straftäter - die statistische Wahrscheinlichkeit für ein neuerliches Töten von Menschen grundsätzlich bei maximal sechs Prozent. Carranza habe mit dem Erschießen von Manfred Hinterberger aus dieser Wahrscheinlichkeit "hundert Prozent gemacht", gab Kastner zu bedenken. Und weiter: "Der Lerneffekt der ersten Tötungshandlung (dem inkriminierten Erschießen ihres Ex-Mannes Holger Holz, Anm.) war eine bessere Effizienz bei der zweiten und nicht ein Verhindern der zweiten."

Kastner bezifferte die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Carranza in den nächsten zehn Jahren neuerlich eine Straftat mit schweren Folgen begehen wird, mit 31 Prozent. Dabei handle es sich um eine "individuelle Prognose, bezogen auf ihre konkrete Persönlichkeitsstruktur". Die Angeklagte könne "von sich aus schlecht aus ihren Mustern heraus. Die Mechanismen sind vorhanden. Die werden sie fast zwingend wieder in solche Situationen führe", so die Expertin.

Ob bei der an sich therapiebedürftigen Frau therapeutische Maßnahmen überhaupt wirken, ließ die Sachverständige offen. Dafür sei die Bereitschaft erforderlich, sich einer Therapie zu stellen. Ob eine solche bei Carranza überhaupt gegeben ist, erschien Kastner fraglich. In der U-Haft habe die 34-Jährige zwar psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen - dies aber nicht, um gegen ihre Persönlichkeitsstörung anzugehen, sondern "die Erinnerung an schieres Grauen" zu bekämpfen. Die Bilder vom Zerteilen der Leichen hätten sich bei Carranza zu "Albträumen" entwickelt, vermutete Kastner.

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