Kurden und Türken: Ein langwieriger Konflikt, der bis nach Wien reicht

Demonstrationen kurdischer Aktivisten - wie hier vor dem Parlament - gehören in Wien schon fast zum Alltag.
Ein Kurde, der ins ORF-Zentrum eindringen wollte, soll auch einen Brandsatz auf ein türkisches Vereinslokal in Wels geworfen haben

Der Konflikt zwischen Türken und Kurden schwappte am Wochenende wieder nach Österreich über. Samstagabend dürfte ein gezielter Sabotageakt gegen eine kurdische Demo am Stephansplatz eine Massenpanik ausgelöst haben. Etwa zehn Türken provozierten die Teilnehmer der Kurden-Kundgebung. Schließlich setzten beide Seiten Pfefferspray ein. Ein „Allahu Akbar“-Ruf während der Kundgebung versetzte Hunderte Passanten in Angst und Schrecken.

Angst um ihr Leben

Kurden und Türken: Ein langwieriger Konflikt, der bis nach Wien reicht
Massenpanik; Stephansplatz; Aida-Chefin Sonja Prousek

„Die Menschen sind um ihr Leben gerannt“, berichtet Sonja Prousek, Chefin der Konditorei-Kette Aida, die am Stephansplatz/Ecke Singerstraße eine Filiale betreibt. Mitarbeiter, Gäste und Touristen flüchteten in Geschäfte, Lokale und Wohnungen. Ein Video zeigt, wie Menschen schreiend davonlaufen (zu finden unter www.kurier.at/chronik). Der Aida-Gastgarten war verwüstet, Essen und Gläser lagen am Boden, Rechnungen blieben unbezahlt. Ein Mann wurde angezeigt – wegen aggressiven Verhaltens gegenüber der Polizei. Ein Beamter wurde durch das Pfefferspray verletzt.

Bereits Freitagabend wollten sieben junge Kurden ins ORF-Zentrum am Küniglberg eindringen und eine Mitteilung über PKK-Führer Abdullah Öcalan verlesen (PKK – kurdische Arbeiterpartei, von der EU als Terrororganisation eingestuft, Anm). Sie wurden von einem Großaufgebot der Sondereinheit WEGA wieder hinauseskortiert und angezeigt.

Beide Vorfälle wurden von der Polizei nicht veröffentlicht – man stufte sie als „nicht relevant“ ein.


„Nicht relevant“

Kurden und Türken: Ein langwieriger Konflikt, der bis nach Wien reicht
Brandanschlag auf türkisches Vereinslokal in Wels

Wie relevant sie tatsächlich waren, zeigt allerdings ein Brandanschlag in Wels, OÖ. Einer der Aktivisten beim ORF-Zentrum soll drei Tage später einen Molotow-Cocktail auf ein türkisches Lokal des Vereins Avrasya geschmissen haben. Zwei junge Kurden wurden nach dem Anschlag in Wels Montagfrüh festgenommen. Ein 16-jähriger Österreicher und ein 21-jährige Staatenloser, der in der Schweiz geboren wurde, wurden in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufgegriffen. Der Brandsatz, den sie ins Lokal des Vereins geschleudert haben sollen, habe zum Glück nicht gezündet, berichtete OÖ Landespolizeidirektor Andreas Pilsl.

Der jüngere Tatverdächtige, der in Wels eine Bäckerlehre absolviert, hat den Anschlag bereits gestanden und als Motiv den Konflikt zwischen Kurden und Türken genannt, sagte der Welser Staatsanwalt Christian Hubmer. Die Verdächtigen sind in der Justizanstalt Wels inhaftiert und weitschichtig verwandt. Beide sind bei der Polizei bereits einschlägig aktenkundig.

Polizei und Landespolitik wollen nun mit den türkischen und kurdischen Organisationen Gespräche führen. Der Welser FPÖ-Bürgermeister Andreas Rabl fordert, dass Beamte des Verfassungsschutzes in seiner Stadt stationiert werden.

Zwischen Anhängern der linken kurdischen PKK und den nationalistischen türkischen Grauen Wölfen kommt es immer wieder zu Übergriffen. Während die Grauen Wölfe als rechtsextrem gelten und debattiert wird, ob ihr Wolfsgruß wie der Hitler-Gruß verboten werden soll, genießt die PKK in Österreich einen geduldeten Stellenwert (siehe Zusatzgeschichte mit dem Politologen Thomas Schmidinger).

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger ist Mitbegründer und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie.

KURIER: Herr Schmidinger, die Konflikte zwischen Türken und Kurden sind in den vergangenen Wochen auch in Österreich bemerkbar. Warum?

Schmidinger: Der Konflikt in Österreich ist keine Überraschung. Immer, wenn die Situation in der Türkei eskaliert ist, hat es auch Konflikte zwischen Türken und Kurden in Österreich gegeben. Vor allem Jugendliche lassen sich für derartige Stellvertreter-Konflikte begeistern. Meist sind es Sachbeschädigungen. Aber auch Messerstechereien sind schon vorgekommen."

Nationalistische Türken, etwa die Grauen Wölfe, sind bereits öfters in Erscheinung getreten. Extremistische Kurden, die der PKK nahe stehen, waren bisher kein Thema, oder?

In Österreich herrscht ein völlig anderer Umgang mit der PKK als in Deutschland. Kurdische Verbände sind seit Jahren mit Transparenten des PKK-Führers Öcalan beim Maiaufmarsch der SPÖ dabei. Und österreichische Politiker halten auch vor Öcalan-Transparenten Reden."

Ist das ein kurzes Aufflackern des Konflikts bei uns oder ein beständiges Problem?

Ältere Kurden versuchen sehr wohl, die Jungen unter Kontrolle zu bringen. Aber Übergriffe werden bleiben.

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