Die Krise brachte mehr Obdachlose in Österreich

Die Krise brachte mehr Obdachlose in Österreich
Die Zahl an registrierten Obdachlosen steigt, Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Eine Betroffene erzählt über den Weg zurück in einen geregelten Alltag.

Der Schlafsack ist bis oben geschlossen, die Wollhaube tief ins Gesicht gezogen. Sein Lager hat er vor dem Eingang eines Geschäfts aufgeschlagen, wo es ein wenig windgeschützt ist. Bilder, wie man sie in Wien derzeit häufig sieht. Und das, obwohl man aktuell die kältesten Nächte des Winters verzeichnet: Bis zu minus zwölf Grad wurden in der Nacht auf Mittwoch in Außenbezirken gemessen.

Hat die Krise bereits dafür gesorgt, dass mehr Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sind? Der KURIER hat bei der Caritas und der Sozialorganisation Neunerhaus nachgefragt.

Ja, man beobachte einen Anstieg bei der Zahl der Obdachlosen, heißt es seitens der Caritas. Insgesamt gab es 2023 rund 21.000 registrierte Obdachlose – um 750 Menschen mehr als im Jahr davor. „Wobei die Dunkelziffer hoch ist. In Wahrheit könnten bis zu doppelt so viele Menschen betroffen sein“, erklärt eine Sprecherin.

Was beide Organisationen ebenfalls bemerken, ist ein deutlich gestiegener Bedarf an Sozialberatung: Es sind vor allem die hohen Wohn- und Energiekosten, die vielen Menschen Existenzängste bereiten.

"Weg in die Obdachlosigkeit ist ein langer"

Man müsse auch bedenken, dass die Statistik hinterherhinke, erklärt Neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer. Denn: „Der Weg in die Obdachlosigkeit ist ein langer.“ Eine Rezession, mehr Arbeitslose, die Teuerung: „Dies trifft vor allem jene, für die es sich zuvor finanziell gerade noch irgendwie ausgegangen ist“, sagt Hammer. Zuerst werden die Ersparnisse aufgebraucht, Freunde und Familie um Hilfe gebeten.

Anrufen: Das Wiener Kältetelefon der Caritas ist bis Ende April rund um die Uhr erreichbar unter 01/480 45 53. Es gibt auch Kältetelefone in allen Landeshauptstädten, z.B. in Graz (0676/880158111), in Innsbruck (0512/21447) oder in Salzburg (0676/848210651). Alle Infos und Nummern finden Sie hier

Spenden kann man etwa unter neunerhaus.at/spenden-kaelte oder unter wirhelfen.shop an die Caritas

Quartiere in Wien: Die Caritas stellt etwa ganzjährig mehr als 1.880 Beherbergungsplätze zur Verfügung, davon 357 Plätze in Notschlafstellen und in Chancenhäusern. Im Winter gibt es 1.000 zusätzliche Plätze von der Stadt Wien.

Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, landen Menschen auf der Straße – weswegen sich Krisen eben mit Verspätung in der Zahl der Obdachlosen abbilden.

"Den" typischen Obdachlosen gibt es nicht

Rund ein Drittel der Obdachlosen sind übrigens Frauen und ein Drittel Junge unter 30, so eine Schätzung der Caritas. „Wobei sehr unterschiedliche Menschen betroffen sind. Es gibt nicht ,das‘ typische Gesicht eines Obdachlosen“, erklärt die Sprecherin.

Doch was könnte man tun? 

„Gäbe es eine einfache Lösung, hätten wir sie schon umgesetzt“, sagt Hammer. Wichtig wäre Unterstützung seitens der Politik, um funktionierende Hilfsprojekte auszubauen. Und: „Mehr leistbare Mietwohnungen.“

Die Neunerhaus-Geschäftsführerin beobachtet außerdem „eine Stimmungsmache gegen Menschen am Rand der Gesellschaft“. Der Rechtsruck, sagt sie, sei nicht nur in der Politik angekommen, „sondern auch in den Herzen“. Sie wünsche sich, dass „wir raus aus der Angst kommen. Denn wir können das bewältigen.“

Auch bei der Caritas bestätigt man, dass der Ton teils rauer wurde. „Gleichzeitig erleben wir aber auch große Hilfsbereitschaft.“ Wichtig sei, nicht wegzusehen, betont die Caritas-Sprecherin: „Oft sind Obdachlose verwundert, wenn jemand beim Kältetelefon angerufen hat und ein Streetworker kommt. Sie sagen dann: ,Es hat sich jemand um mich Sorgen gemacht und extra meinetwegen angerufen?‘“

Die Krise brachte mehr Obdachlose in Österreich

Yvonne G., 45 Jahre alt, hat vor einigen Jahren erlebt, wie es ist, seine Wohnung zu verlieren. Nun möchte sie anderen helfen, die eine ähnliche Krise durchleben.

Der lange Weg zurück in ein geregeltes Leben

Eine, die es geschafft hat, wieder eine Wohnung zu finden und einen geregelten alltag zu leben, ist Yvonne G. „Man muss stark bleiben und sich kleine und große Ziele setzen“, sagt die 45-Jährige. Künftig möchte sie anderen Menschen zur Seite stehen, die ebenfalls in einer Krise sind.  

Es war während der Corona-Zeit, als ihre Beziehung in die Brüche ging: „Ich hab’ bei meinem Freund gewohnt. Plötzlich bin ich ohne irgendwas dagestanden“, erzählt sie. Keine Beziehung mehr, keine Wohnung, keine Ersparnisse.

Bei Freunden oder den Eltern wollte sie nicht unterkommen. „Ich hab’ mich da reingeritten, ich komm’ da auch selbst wieder raus“, habe sie sich gesagt. Eine Freundin begleitete sie nach der Trennung bei den notwendigen Amtswegen. „Ich hab’ Glück gehabt und innerhalb einer Woche einen Platz in einem Tageszentrum bekommen“, erzählt Yvonne G.

Zwei bis drei Monate habe sie gebraucht, um sich einigermaßen zu sammeln. Mithilfe einer Sozialarbeiterin von Neunerhaus schaffte sie es schließlich, eine sogenannte „Housing First“-Wohnung zu bekommen: Der Ansatz bei „Housing First“ ist, dass Wohnungslose zuerst Stabilität in Form einer Wohnung brauchen, um alle weiteren Probleme anpacken zu können. So war es auch bei Yvonne. 

„Ich bin so glücklich, dass ich jetzt ein richtiges Zuhause in Kaisermühlen habe.“ Nun hat sie auch die Kraft, neue berufliche Wege zu gehen: Sie absolviert gerade eine Ausbildung zum „Peer“. „Peers“ sind ehemalige Wohnungs- oder Obdachlose, die ihre Erfahrungen nutzen, um Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen. 

„Es gibt so viele  Hilfsangebote:  Ärzte, Sozialarbeiter, Suchthilfe, Schuldnerberatung. Man muss nur wissen, was es gibt. Und man muss die Hilfe annehmen“, sagt Yvonne. Dazu brauche es Hilfe, Mut und Kraft – und manchmal auch „einen Tritt in den Hintern“, sagt sie und lacht. Aber: „Ich bin jetzt stolz auf mich. Daher möchte nun ich anderen helfen.“ 

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