Kriminelle Kritzeleien: Die Zahl der Anzeigen wegen illegaler Graffiti ist gestiegen
Es begann im Oktober.
Kurz vor dem zweiten Lockdown hat Alex Wank zum ersten Mal Beschmierungen auf der Auslage seines Plattenladens „Totem Records“ in der Zollergasse im Bezirk Neubau entdeckt. „Massiv“ wurde es dann im November und Dezember. Das Schaufenster mit den 4 mal 5 Meter großen Fenstern im knallroten Holzrahmen war voll – mit Tags.
Tags - das ist der englische Ausdruck für Signaturen oder Signaturkürzel, die Sprayer auf Hausfassaden, Stromkästen, Türen, Zügen oder U-Bahn-Waggons hinterlassen.
„XD“ und „Plake“ steht auf die Fenster des Plattenladens geschmiert, auch wenn Wank sich nicht so ganz sicher ist, ob er das Wort „Plake“ überhaupt richtig entziffert hat.
Dass die Tags teils unleserlich oder zumindest verschnörkelt sind, ist von jenen, die sie hinterlassen, durchaus gewollt.
Man will gesehen, aber nicht gleich identifiziert werden.
Wank, der auch das Café Voodoo im 7. Bezirk betreibt, ist keiner, der sich so schnell ein Blatt vor den Mund nimmt. Die Sprayer, die ihre Spuren auf seinem Geschäft hinterlassen haben, seien „genauso g’schissn wie der Puber“.
Puber war – neben King – zuletzt der wohl bekannteste Writer (ein Sprayer, der seinen Namen hinterlässt, Anm.) in Wien.Im Jahr 2016 hat er seine Spur in der ganzen Stadt gezogen, 230-mal waren seine Tags in Wien zu finden. Im selben Jahr wurde er zu zehn Monaten Haft verurteilt.
Allerdings nicht wegen seiner Sprayer-Tätigkeiten, sondern wegen schwerer Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und illegalen Waffenbesitzes.
Die „Problemviertel“
Was auf Wanks Hausfassade passiert ist, würden wohl die wenigsten als „Kunst“ bezeichnen, sondern vielmehr als Vandalenakt.
Und das sind solche Schriftzüge auf Hauswänden auch rein rechtlich: Konkret handelt es sich dabei um Sachbeschädigungen; das Strafgesetzbuch sieht dafür im schlimmsten Fall sogar Haftstrafen vor.
Die Beschmierungen beschäftigen nun auch die Wiener Stadtpolitik, denn: Die ÖVP will den „Kampf gegen illegale Graffiti aufnehmen“ – und brachte am Donnerstag eine entsprechende Anfrage im Gemeinderat ein.
„Der Schaden, den illegale Sprayen in Wien anrichten, ist enorm“, sagt ÖVP-Gemeinderätin Laura Sachslehner. „Besonders bedenklich“ sei die „Vielzahl an links- und rechtsextremen Darstellungen“, die „besonders in den Problemvierteln“ zu sehen seien.
Was Sachslehner meint? Etwa Schriftzüge wie „ACAB“ (engl: „all cops are bastards“, dt: „Alle Polizisten sind Bastarde, Anm.), linke Symbole (wie das Anarchie-Zeichen), aber auch Hakenkreuze. Besonders rund um den Kardinal-Nagl-Platz im 3. Bezirk und den Reumannplatz im 10. Bezirk sei die Lage „schlimm“.
Die ÖVP fordert nun Taten von der Stadtregierung: Illegale Graffiti sollen binnen 48 Stunden übermalt werden; extremistische, rassistische und sexistische Symbole binnen 24 Stunden. Im Gemeindebau und an „Sprayer-Hotspots“ fordert sie „stärkere Videoüberwachung“.
Das Problem vor 15 Jahren
Dabei ist es laut Norbert Siegl vom Institut für Graffitiforschung seit Puber und King eher ruhig geworden, was Hinterlassenschaften von Writern angeht. „Das Problem war vor 15 Jahren eines“, sagt Siegl.
Damals sei Taggen Mode gewesen, die sich – abgesehen von den Ausreißern Puber und King – heute so gut wie aufgehört habe.
Bei den Wiener Linien bewegt sich die Schadenssumme durch illegale Graffiti seit Jahren auf dem gleichen Niveau, bei Wiener Wohnen ist sie sogar gesunken. Und zwar von 110.000 Euro im Jahr 2019 auf 60.000 im vergangenen Jahr 2020.
Die aktuellsten Zahlen, die der Polizei vorliegen, sind aus 2018 und 2019. Zumindest in diesen beiden Jahren ließ sich aber eine Steigerung erkennen: Während es 2018 exakt 2.413 Anzeigen wegen Sachbeschädigungen durch Graffiti gab, waren es 2019 2.785. Das entspricht einem Anstieg von 15 Prozent.
Am Mittwoch ließ das Bundeskriminalamt wissen, dass illegale Graffiti nun in den Fokus der Polizei rücken.
21...
... legale Wände für Street Art gibt es in Wien. Nur 2 davon befinden sich auf dem Donaukanal
2.785...
... Anzeigenwegen Sachbeschädigung durch Graffiti gingen 2019 bei der Wiener Polizei ein
2...
... Millionen Euro Schaden entstehen bei den Wiener Linien pro Jahr durchschnittlich durch die etwa 300 Fälle von Graffiti auf U-Bahn-Zügen. 10 bis 15 davon landen vor Gericht
Links gegen Rechts
Dass auf Hausmauern oft weniger Symbole zu finden sind, die dem politisch rechten und rechtsextremen Spektrum als dem linken zuzuordnen sind, hat aber vor allem mit der Sprayer-Szene selbst zu tun. Denn die ist traditionell links(-autonom).
Wird eine rechte oder rechtsextreme Schmiererei bekannt, organisiert sich die Szene – zum Reinigen oder Übermalen. „Linke Leute stellen rechte Tags wieder in Ordnung“, sagt Street-Art-Künstlerin Käthe Löffelmann.
Politisch linke Botschaften übermalt die linke Szene nicht, die sind ja gewollt – und eine „valide Botschaft“, wie Löffelmann sagt. Und die gehöre ihrer Meinung nach „in einer Großstadt dazu.“
Zuerst erobert, dann gekauft
Es war 1990, als in Wien die erste sogenannte „legale Wand“ zum Sprayen bereitgestellt wurde. Es war die, die man heute gemeinhin als die „Flex-Wand“ kennt. Also die Wand neben dem gleichnamigen Club am Donaukanal.
Die Sprayer-Szene hatte sich diese Wand damals erobert. Heute gibt es in Wien insgesamt 21 solcher legaler Wände, auf denen sich die Künstlerinnen und Künstler – denn das sind sie in diesem Fall – verwirklichen können, ohne Anzeigen wegen Sachbeschädigung befürchten zu müssen.
Nur zwei dieser 21 Wände befinden sich – und das wird für viele überraschend kommen – am Donaukanal, also jenem Ort, den man in Wien mittlerweile unmittelbar mit Street-Art verbindet.
Die zweite legale Wand ist jene unter der Rampe bei der Augartenbrücke. Der Rest der Donaukanal-Kunst ist zwar rein rechtlich illegal, aber durchaus geduldet.
Auf der Website der Wiener Wand (www.wienerwand.at) sind alle aktuellen legalen Wände aufgelistet – und es kommen regelmäßig neue dazu, sagt Geschäftsführer Yuki Sakurai. Jüngst habe etwa der 13. Bezirk gemeldet, man wolle gerne eine Wand zur Verfügung stellen. Abgesehen vom 13. sind nur noch die Bezirke 7, 10, 20 und 23 ohne legale Street-Art-Fläche.
Nicht immer hat das mit fehlendem politischen Willen zu tun, manchmal fehlt einfach die passende Fläche.
Einen Aufschwung – auch in Sachen Öffentlichkeit – hat die Wiener Street-Art-Szene durch das erste Calle-Libre-Festival im Jahr 2014 erlebt.
Über mehrere Tage hinweg gestalten Künstler im Zuge dieses Festivals legal Wände. Zuletzt fielen in Wien vor allem kommerzialisierte Kunstwerke auf. Etwa jenes an der Linken Wienzeile mit dem Titel „When will we hug again“: Es sorgte solange für Aufsehen, bis sich herausstellte, dass es sich dabei um Werbung des Online-Modehändlers Zalando handelte. Ähnliches gab es vergangenen Oktober im 2. Bezirk.
Dort hat der Künstler Sizetwo X eine riesige Werbung für Absolut-Vodka gestaltet.
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