So läuft Weihnachten im Gefängnis ab

Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt
Kardinal Christoph Schönborn leitet die Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt.

Mit einem Fuß schaukelt die junge Frau ihren Kinderwagen sanft nach vorne und zurück. Noch schläft das Baby darin tatsächlich friedlich, trotz des ganzen Trubels. Sie sitzt in der ersten Reihe des großen Saals, in Erwartung des Kardinals und einer Stunde Flucht aus dem Alltag. Danach wird sie mit ihrem Baby wieder zurück in ihre Zelle geführt werden, so wie die rund 170 anderen Gefangenen, die an der Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt teilnehmen. Nur die 60 Festgäste dürfen danach wieder hinaus ins Freie.

So läuft Weihnachten im Gefängnis ab
Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt, Gefängnis, Häftlinge

Hohe Fluktuation

Im größten Gefangenenhaus Wiens landen Untersuchungshäftlinge genauso wie Strafgefangene mit kurzen Haftzeiten bis zu 18 Monaten, erzählt Kontrollinspektor Walter Zegl – aktuell sind es rund 1200. Es herrscht also eine hohe Fluktuation, was heute ein größeres Problem sei als früher. „Durch den Zuzug aus dem Osten kennen wir die Gefangenen heute nicht mehr, was die Situation unberechenbarer macht“, erzählt Zegl. Früher seien es immer wieder dieselben gewesen, die im Laufe ihrer kriminellen Laufbahn wieder mal erwischt wurden und in der Josefstadt landeten. Wer von an der Weihnachtsfeier teilnehmen will, muss sich also anmelden und wird auf seine Gefährlichkeit hin geprüft. Ob er Christ ist oder nicht ist hingegen egal.

Alle Jahre wieder ist es Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien, der die Feier in der Josefstadt leitet. Es ist „eine Tradition, die wir vermissen würden“, sagt Anstaltsleiterin Helene Pigl in ihrer Begrüßung. Hinter ihr auf der Bühne stehen ein Christbaum und eine kleine Krippe, nachdem die Blasmusikkapelle der Anstalt die Messe eröffnet. Gleich danach singen auch die Strafgefangenen, die ersten drei Reihen stehen auf, es klingt ein bisschen schief, aber es ist nicht so einfach zu proben, wenn die Besetzung durch Zugänge und Entlassungen ständig wechselt.

Überhaupt braucht die Planung der Weihnachtsfeier Monate, von der Erstellung und Probe des Programms bis hin zum Dienstplan – es ist alles ein bisschen komplexer in einem Gefängnis. Rund 40 Beamte sind im Einsatz, nicht nur bei der Blasmusik, sondern auch zur Sicherung des Saals. Uniformiert und in Zivil stehen sie an den Wänden, eingreifen müssen sie nie.

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Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt, Gefängnis, Häftlinge

Ein Weihnachtswunder: Österreich schafft WM-Quali

Die Gefangenen träumen sich in einer szenischen Einlage in eine bessere Welt: Zwei Gefangene rätseln, ob sie die Nachrichten einschalten sollen oder nicht, weil: „Dort kommt eh nur Blödsinn“. Als sie dann doch einschalten und eine weitere Gefangene als Nachrichtensprecherin auftritt, geschieht ein Weihnachtswunder: nur positive Nachrichten. Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen wendet sich ins Positive. Die Justiz bekommt mehr Personal und der Maßnahmenvollzug wird reformiert. Die Koalition führt konstruktive Gespräche. Österreichs Fußballteam schafft die WM-Qualifikation. Es gibt Weiße Weihnachten.

So läuft Weihnachten im Gefängnis ab
Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt, Gefängnis, Häftlinge

Es sei jedes Mal wieder „ein Höhepunkt des Jahres“, hier sprechen zu können, sagt Kardinal Schönborn; und just in dem Moment, in dem er zu sprechen beginnt, fängt auch das Baby zu schreien an. Er spricht darüber, dass im Evangelium nach Lukas „der Retter geboren“ wurde und wie Kinder buchstäblich zu Rettern werden können: Er erzählt eine Geschichte seiner Mutter, „sie ist mittlerweile 96“, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der russischen Zone in die britische wollte, „so wie heute die Menschen versuchen, dorthin zu flüchten, wo es besser ist“ und an der Grenze vom russischen Beamten gesagt bekam, dass die „Papiere nix gut“ seien.

Ein Kind berührt das Herz

„Das hätte bedeutet, aus dem Zug geführt und in ein Lager gebracht zu werden“, erzählt Schönborn. Dann aber hätte der Beamte seinen dreijährigen Bruder und ihn, gerade ein Jahr alt, gesehen. Seinem Bruder den Kopf gestreichelt und sie durchgelassen. „Ein Kind berührt das Herz und Sie können noch so ein harter Typ oder eine harte Frau sein: Bei einem Kind wird man weich, sonst ist man kein Mensch.“

So läuft Weihnachten im Gefängnis ab
Weihnachtsfeier in der Justizanstalt Josefstadt

Am Ende singen alle „Stille Nacht, Heilige Nacht“, auf Deutsch wie auf Englisch. Und der Kardinal geht nach der Messe von Gefangenem zu Gefangenem, um ihm oder ihr die Hand zu schütteln. Das Baby schläft wieder, und die Mutter verdrückt vor Rührung eine Träne, als der Erzbischof ein paar Worte mit ihr wechselt.

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