Experten widersprechen Ergebnissen von Aslans Radikalisierungsstudie

Professor Ednan Aslan polarisiert erneut mit einer Studie.
Extremistische Muslime seien – anders als in der Untersuchung dargestellt – sehr wohl mehrheitlich religiös ungebildet.

„Die im gesellschaftlichen Diskurs herrschende Annahme, dass radikalisierte Personen mehrheitlich über eine geringe Kenntnis der Religion verfügen, hat sich in der Studie nicht bestätigt“, schreiben Projektleiter Ednan Aslan und Projektkoordinatorin Evrim Ersan Akkillic vom Institut für Islamisch-theologische Studien der Uni Wien – und schaffen damit einmal mehr Angriffsflächen für Kritiker. Namhafte Experten aus dem In- und Ausland widersprechen dem nämlich ganz entschieden.

29 Interviews

Ziel der vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds in Auftrag gegebenen Studie war die Untersuchung der Rolle der Religion in islamistischen Radikalisierungsprozessen. Dafür wurden 29 narrativ-biografische Interviews geführt – 26 in österreichischen Gefängnissen und drei in Wiener Jugendeinrichtungen. 15 der Gefangenen saßen wegen terroristischer Straftaten in Haft. Der Großteil der mehrheitlich tschetschenischen Befragten stamme aus gläubigen muslimischen Elternhäusern und habe schon vor der Radikalisierung Kenntnisse über den Islam gehabt.

Experten widersprechen Ergebnissen von Aslans Radikalisierungsstudie
In Expertenkreisen sorgt diese Wahrnehmung allerdings für Verwunderung. So meint etwa Gefängnisseelsorger Ramazan Demir von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), der in sieben Jahren Berufspraxis „Hunderte extremistische Muslime“ betreut hat: „Das ist definitiv nicht richtig. Die meisten haben nur Halbwissen oder gar keines über ihre Religion. Sie sind Mitläufer, mehrheitlich ohne religiöse Erziehung oder religiöse Praxis. Im Gegenteil: viele kommen aus der Kriminalität, haben – komplett unislamisch – Wett-, Drogen- und Alkohol-Erfahrungen.“

Für die Radikalisierung gebe es viele Faktoren – „der Missbrauch der Religion“ sei nur einer davon, sagt Demir. Empfänglich seien vor allem „junge Menschen mit Identitätsproblemen, ohne Ziele und Orientierung, die auf der Suche nach Anerkennung sind und von wenigen selbst ernannten Experten mit extremistischem Gedankengut – also mit der Wahrnehmung ,Wir sind gut und alle anderen sind böse’ – gefüttert werden.“

„Lego-Islam“

Die medial verbreitete Zusammenfassung der Aslan-Studie, wonach die meisten Radikalisierten religiös vorgebildet wären, kann auch Islam-Experte Thomas Schmidinger, der seinerseits eine Studie zur Deradikalisierung in Haft durchgeführt hat, nicht bestätigen: „Es gibt vergleichsweise wenig Experten. Die Mehrheit der nach terroristischen Straftaten Verurteilten sind keine Personen mit umfangreichem religiösem Wissen – das trifft vor allem auf Jugendliche zu.“ Zudem kämen viele bloß aus nominell muslimischen Familien.

Experten widersprechen Ergebnissen von Aslans Radikalisierungsstudie
Thomas Schmidinger, Uni Wien, Netzwerk sozialer Zusammenarbeit
Seiner Meinung reicht es nicht aus, das Thema Radikalisierung nur religiös zu diskutieren. Ebenso seien die psychologischen und gesellschaftlichen Aspekte der Problematik zu berücksichtigen.

Zu einem anderen Ergebnis als Aslan kam auch eine deutsche Studie über eine salafistische Jugendgruppe, die Anfang Juli veröffentlicht wurde. Junge Menschen, die sich gewaltbereiten radikalislamischen Gruppen anschließen, wüssten sehr wenig vom Islam, erklärt etwa Michael Kiefer vom Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. „Man kann sagen, sie bauen sich ihren eigenen Lego-Islam.“

Salafismus in Österreich

"Innerhalb des radikalen Milieus spielen bestimmte Moscheen, die eine Lehre verbreiten, die unausweichlich zum Salafismus führt, sowie religiöse Autoritäten eine zentrale Rolle", heißt es in der Zusammenfassung von Aslans Studie. Eine Dokumentation scheint aber schwierig. Auf Seite 73 steht etwa: "Das Aufkommen salafistischer Strömungen in Österreich kann am besten als Prozess verstanden werden, dessen Entstehung weder linear verläuft noch zentral organisiert ist, die in sich heterogen und deshalb nur schwer fassbar ist." In der folgenden Darstellung werde daher "eine Annäherung an das Phänomen Salafismus in Österreich versucht". Die Faktenlage sei dünn.

In weiterer Folge führt der Studienautor vereinzelte Fallbeispiele für mutmaßlich salafistische Umtriebe in Österreich an - und verweist in den Quellenangaben auf Medienberichte über ebendiese. Darunter befinden sich auch KURIER-Artikel. Folgeberichte, die die Ursprungsmeldungen zum Teil relativierten oder ihnen gar widersprachen, bleiben in der Studie dagegen unerwähnt.

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