Hütchenspieler: Der tägliche Betrug in der Fußgängerzone
Sie arbeiten mit Druck. Der ermöglicht es ihnen, nichtsahnenden Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und sie arbeiten unter Druck, denn sie müssen jederzeit damit rechnen, dass die Polizei um die Ecke kommt und ihre Abzocke beendet.
Die Rede ist von den Hütchenspielern, die man derzeit wieder fast täglich in der Wiener Innenstadt bzw. in den beliebten Einkaufsstraßen antrifft. Und bei denen vielleicht auch Sie schon einmal ein paar Euro riskiert haben.
"50 Euro, schnell setzen", spricht einen der Spielleiter an, sobald man stehenbleibt, um das vermeintliche Spiel zu beobachten. Wird nicht sofort reagiert, hält schon ein anderer bereitwillig einen Geldschein hin - und gewinnt.
Nächste Runde, diesmal ist es eine Frau, die gleich 100 Euro auf ein Hütchen setzt. Auch sie hat recht: Als der Spielleiter das Hütchen hebt, auf das sie deutet, liegt darunter eine Kugel. Sofort erhält sie zu ihrem Einsatz eine weitere grüne Banknote.
Nur Lockvögel gewinnen
Mittlerweile ist die Verlockung groß, selbst schnelles Geld zu machen. Der Hütchenspieler wachelt einem mit einem Stoß Fünfziger förmlich unter der Nase - und in der Theorie ist das einfach: Am Pflasterstein liegt ein Spielbrett in Teppichform, darauf drei Hütchen, die er schnell hin und her bewegt. Unter einem von drei ist eine Kugel versteckt. Wer errät in welchem, gewinnt.
"Weiter gehts", ruft der Hütchenspieler. Sagt man, dass man kein Bargeld hat, erfolgt sofort eine detaillierte Wegbeschreibung bis zum nächsten Bankomaten.
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Während der Mann aufgeregt redet und die "Gewinner" der Vorrunden erneut setzen, fällt eines auf: Sie alle sprechen gebrochenes Deutsch bzw. Englisch mit ähnlichem Akzent. Auch was den Kleidungsstil betrifft, weisen sie gewisse Ähnlichkeiten auf. Allesamt tagen sie Umhängetaschen und tief ins Gesicht gezogene Kappen.
Der Verdacht, dass sie sich kennen, und es sich um ein abgekartetes Spiel handelt, kommt rasch auf. Zumindest bei denen, die schon von dieser oder ähnlichen Maschen gehört haben: Sollte ein echter Spielteilnehmer den schnellen Bewegungen des Hütchenspielers richtig gefolgt sein und tippt auf die Schachtel mit dem Ball, wird er kurz abgelenkt und der Ball verschwindet nach Ende des Spiels noch rasch unter einem anderen Hütchen.
Hütchenspieler zocken in Wien Fußgänger ab
Taschenspielertrick
Viele Touristen in Wien wissen das wohl nicht und so verlieren sie regelmäßig mehrere Hundert Euro, wie der Security eines Nobelgeschäfts am Kohlmarkt erzählt. Der junge Mann beobachtet die mutmaßlichen Trickbetrüger beinahe jeden Tag: "Um 11 Uhr trifft sich die Gruppe beim Brunnen am Michaelerplatz. Von dort strömen dann zwei Frauen aus. Eine steht Schmiere vor dem Demel, die andere an der Ecke Kohlmarkt/Wallnerstraße."
Auf ein Zeichen hin kommt der Hütchenspieler, dicht gefolgt von den "Lockvögeln". Der Spielleiter kniet sich zwischen Luxus-Boutiquen hin, legt einen Teppich in der Größe eines Fußabtreters auf und beginnt das Spiel. "Wo ist die Kugel?", ruft er. Sofort bildet sich ein Halbkreis um ihn. Es dürfte sich um Komplizen handeln, denn praktischerweise sind alle bereits mit 50- und 100-Euro-Scheinen ausgestattet. Ihr wildes Gestikulieren zieht in kurzer Zeit weitere Schaulustige an.
"Immer wieder kommt es zu Streitereien, wenn Passanten hier 300 Euro verlieren. Die vermeintlichen Mitspieler, die eigentlich Schauspieler sind, sagen den aufgebrachten Verlierern dann nur, dass heute nicht ihr Tag sei und sie es gut sein lassen sollten. Ist aber jemand hartnäckig, dann sind sie ganz schnell weg."
So auch Donnerstagmittag, als ein wutentbrannter Tourist das Wort "Betrug" in den Mund nimmt. Innerhalb von Sekunden ist das Spiel, das ohnehin nur aus dem Teppich, den "Hütchen" - drei mit Krepppapier überklebten Zündholzschachteln - und einem kleinen Ball besteht, weggeräumt und die Gruppe hat sich in verschiedene Richtungen aufgelöst.
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Gerade noch rechtzeitig, denn nur wenig später biegt vom Kreisverkehr am Michaelerplatz ein Polizeiauto in den Kohlmarkt ein. Die Ermittler sprechen von einer bekannten Problematik und Gruppierungen, die speziell in den Sommermonaten in Erscheinung treten.
"Wir führen regelmäßig Schwerpunktkontrollen durch, auch in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien", erklärt ein Sprecher. In der Wiener Innenstadt fanden allein im Zeitraum von 24. Mai bis 10. Juni 20 Kontrollen statt. Dabei wurden laut Exekutive 16 Hütchenspieler angehalten und angezeigt.
Bis zu 7.000 Euro Strafe
Bestraft wird gemäß des Wiener Veranstaltungsgesetzes, das seit 2005 das Hütchenspiel ausdrücklich verbietet. Laut diesem handelt es sich bei der Masche um eine unerlaubte Veranstaltung. Kostenpunkt: Bis zu 7.000 Euro. Strafrechtlich relevant wird das angebliche Geschicklichkeitsspiel erst, wenn eine gewerbsmäßige betrügerische Absicht nachgewiesen werden kann.
Das ist in der Praxis in vielen Fällen nur schwer möglich. Und die Geldstrafen wirken offenbar nur bedingt - zu lukrativ dürfte das Geschäft sein. "Ich habe schon gesehen, wie sie die Strafen ohne mit der Wimper zu zucken bezahlt haben. Drei Stunden später waren sie wieder da. Es gibt mehrere Spielleiter, die sich abwechseln", schildert der Security seine täglichen Beobachtungen.
Viermal ist ein 35-Jähriger Slowake im vergangenen Frühjahr in der Wiener City von Polizisten beim Hütchenspielen erwischt worden. Anfang April legte der Mann am Landesgericht ein Geständnis ab. Er betonte, er sei „nicht die Hauptperson, die mit Teppich und Hütchen herumtut“. Am Ende kassierte er acht Monate bedingt, kündigte aber Berufung an.
Er sei „Teil einer hochgradig professionell agierenden Gruppe“, hielt die Richterin damals fest. Der 35-Jährige erklärte, er fungiere als „Steher“, sei aber nie der eigentliche Spieler, der Touristen und leichtgläubigen Einheimischen das Geld aus der Tasche ziehe.
Ihm zufolge handelt es sich primär um Trickbetrüger aus Albanien, Nordmazedonien und dem Kosovo. "Die, die hier spielen, sind harmlos. Bei den Hintermännern, die auch schon manchmal da waren, bin ich mir nicht so sicher", erzählt er, während die Polizei langsam vorbeifährt.
"Die sind schon längst in der Kärntner Straße. Dort spielen sie entweder vor dem H&M oder dem Apple Store. Und wenn die Polizei dann dort kontrolliert, wechseln sie eben wieder hier her und schicken die Polizei im Kreis. Die kommen und gehen hier sicher vier- bis fünfmal am Tag."
Er soll recht behalten. Einmal über den Graben wird bereits in der Kärntner Straße weitergezockt. Oder, besser gesagt, abgezockt.
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