In den Nachmittagskursen lernt sie töpfern, Schmuck designen und neue Spiele, „die ich bisher nicht gekannt habe“, sagt Martha aus der 5C in einer Schulpause. Dann fügt die Schülerin hinzu, was man so auch schon von sozial benachteiligten Kindern in Wien gehört hat: „Gut ist es, dass alles kostenlos ist.“
Martha besucht seit Herbst die „Nordlicht-Schule“ in einer Plattenbausiedlung am Rand der ostdeutschen Hanse- und Universitätsstadt Rostock. „Unsere Schule gilt als sozialer Brennpunkt“, erklärt dort Schulleiter Nico Müller.
Die 450 Schüler sind elf bis 15 Jahre alt. Jedes dritte Kind hat zusätzlichen Förderbedarf. Die meisten sitzen in der Früh mit leerem Bauch im Unterricht. Und können nur wenig erzählen, wenn sie Herr Müller montags fragt, was sie am Wochenende Schönes erlebt haben.
Genau hier greift das Projekt „Hobby Lobby“ an. Es wurde in Wien von Rosa Bergmann und anderen Fellows von „Teach for Austria“ gegründet und erstmals 2019 in Wien-Favoriten angeboten (siehe Fakten unten).
Danke, Rosa!
„Wir wollen Kindern, deren Eltern sich das nicht leisten können, nachmittags ein möglichst hochwertiges Freizeitangebot bieten“, berichtet Julia Pietschmann von der Rostocker „Hobby Lobby“.
Die Lehrerin hat durch private Bande von den Lernerfolgen in Wien erfahren. Ihr Freund, Niklas Witt, ist der Trauzeuge von Rosa Bergmanns Mann, und Rosa ihre gute Freundin. Bei Plauderei entstand schnell die Idee, auch in Rostock eine Lobby für Kinder zu gründen. Seit gut einem Jahr arbeitet man mit vier Schulen der Ost-Hanse-Stadt zusammen.
Die Pflichtschule im Stadtteil Lichtenhagen ist nur fünf, sechs Kilometer vom bekannten Ostsee-Badeort Warnemünde entfernt. „Dennoch gibt es bei uns Kinder, die noch nie das Meer gesehen haben“, beschreibt Direktor Nico Müller das Ausmaß sozio-ökonomischer Benachteiligungen.
Nach anfänglicher Skepsis sieht auch Müller das Potenzial für die „Hobby Lobby“: Ehrenamtliche leiten die Kurse und entlasten damit auch die rund 40 Lehrer an seiner Schule.
Marthas Schulkollegin, Liah, ebenfalls elf Jahre alt, Schülerin der 6C, nimmt das zusätzliche Angebot auch gerne in Anspruch. Beide Mädchen sind sich darüber einig: „Würde es das nicht geben, dann würden wir zu Hause sitzen und nichts machen.“
Danke, Wien!
Pädagogin Chiara Schreiter ist für Rostocks „Hobby Lobby“ in der „Nordlicht-Schule“ am Kurbeln. Sie dankt ihren Kollegen in Wien: „Auf ihren Erfahrungen können wir heute gut aufbauen.“
Die Rostocker sind aber auch ein Glücksfall für die Wiener: Welches Start-up im Bildungsbereich kann von sich sagen, dass es sofort zum Exportgut wurde?
Die Ausrollung der Angebote der Lobby auf ganz Wien sowie Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck, auf St. Pölten und Wiener Neustadt ist wiederum ein Ansporn für die Hanseaten, im Norden weiter zu wachsen.
Julia Pietschmann sagt so: „Kurzfristig wollen wir hier in Rostock mit mehreren Schulen kooperieren und mehr anbieten. Dann wollen wir im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern neue Angebote schaffen.“ Irgendwann möchte man in großen Städten wie Berlin oder Hamburg landen.
Nicht genützte Potenziale der Kinder: Die sind in Deutschland ebenso groß wie in Österreich. Unterschiede gibt es aber bei den Erwachsenen. „Die Stadtkasse ist zwar leer“, berichtet Niklas Witt. „Dafür zeigt man überall großes Interesse für unsere Angebote.“ In Wien ist das eher umgekehrt.
PS: Eine neue „Hobby Lobby“ startet übrigens (nach bereits absolvierter Pilotphase) im Frühjahr in der Stadt Temesvar, im Westen Rumäniens.
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