Gewalt gegen Obdachlose: Worüber niemand spricht

Martin K.  war obdachlos: Sein Bekannter wurde in den Müll gesteckt.
In Wien werden keine offiziellen Statistiken geführt. Im "Hate-Crime"-Bericht wird seit 2020 das Vorurteilsmotiv vermerkt.

4 Uhr morgens auf der Mariahilfer Straße: Maskierte Jugendliche bleiben auf E-Rollern vor Schlafplätzen einer Obdachlosen-Gruppe stehen. Sie treten sie und wollen ihnen Geld wegnehmen, ihnen vielleicht absichtlich weh tun. Eine bizarre, erschreckende Szene.

Passanten rufen die Polizei und werden dafür von den Jugendlichen bespuckt. Als die Polizei eintrifft, sind diese über alle Berge. „Die Obdachlosenfeindlichkeit steigt wieder in der Stadt“, sagt ein Grätzelpolizist zum KURIER. Aber gibt es dafür Beweise oder Zahlen?

Nein, heißt es aus der Polizei-Pressestelle. In der Kriminalstatistik gebe es keine Info über das „Milieu“ der Opfer. (Erst nach Veröffentlichung dieses Artikels, wurde vom Innenministerium nochmals klargestellt, dass seit 2020 eine Zahl zu den Vorurteilsmotiven im Hate-Crime-Bericht zu finden ist). Bei anderen offiziellen Stellen will man nichts von steigender Gewalt gegen Obdachlose wissen. Fakt ist, dass vor zwei Monaten ein ungarischer 46-jähriger Obdachloser tot in einem Park im 7. Bezirk gefunden wurde. Von den Tätern fehlt jede Spur.

 

Gewalttaten gegen Obdachlose werden nicht als solche offiziell differenziert, oft nicht aufgeklärt. Auf eine parlamentarische Anfrage vor zwei Jahren, warum es dazu keine Statistik gebe, hieß es, dass lediglich Alter, Geschlecht, Nationalität, Aufenthaltsstatus (bei Fremden) bei Opfern vermerkt werde. In Deutschland werden die Straftaten hingegen vermerkt. 2021 wurden dort mindestens 16 Obdachlose getötet. In Österreich gibt es jedoch seit 2020 den sogenannten Hate-Crime Bericht. (siehe Faktenbox)

 

Sozialdarwinistische Motive

Bei vielen Gewalttaten gegen Wohnungslose spielen „sozialdarwinistische“ Motive eine Rolle, also eine menschenverachtende Perspektive auf Randgruppen der Gesellschaft und sozial Schwächere, heißt es in der Fachliteratur. Es ist ein Merkmal politisch rechtsradikal motivierter Kriminalität. Obdachlose wurden in Deutschland in der Vergangenheit auch angezündet, während sie schliefen.

Gewalt gegen Obdachlose: Worüber niemand spricht

In einem Wiener Kaffeehaus findet man das Schild noch. 

Einfaches Opfer

„Obdachlose fehlen niemanden, sie gehen nicht zur Polizei. Wenn man einen Trieb hat, Menschen zu verletzen, sind Obdachlose eben ein einfaches Opfer“, sagt Martin K. dazu. Der 38-Jährige lebte als Jugendlicher auf der Straße. Heute bietet er „Nimmerland“-Führungen vom Karlsplatz bis zum Esterhazypark an. Er spricht von den Gefahren der Straße und vom Entzugssystem. „Als jugendlicher Obdachloser suchst du geheime Schlafplätze, die Gefahr, missbraucht zu werden ist groß“, sagt er. Beschimpfungen gehören zum Alltag.

Mit Essen beworfen

Oft wurde er mit Essen beworfen. Man sei wie Dreck für andere, soziale Netzwerke verstärken das Diskriminierungsphänomen. Einmal sei ein anderer Obdachloser in einen Mistkübel gestopft worden. „Ein betrunkener Mann nahm den Obdachlosen einfach hoch und stopfte ihn hinein“, sagt er. Daher suchen sich viele Beschützer oder Hunde.

Keine Lobby

Das bestätigt auch Kurt Gutlederer von der Wiener Wohnungslosenhilfe (Fonds Soziales Wien). "Die Odbachlosen haben keine Lobby", sagt er. Die Feindlichkeit sei absolut nichts neues, eher ein Tabuthema. Die Menschen auf der Straße seien diesen Gefahren ausgesetzt, daher suchen sie sich oft beleuchtete Schlafplätze, wie ein Platz vor dem Schaufenster oder belebte Gegenden, wie die Innenstadt oder den Bahnhof. 

Gewalt gegen Obdachlose: Worüber niemand spricht

In Wien gibt es  ein Teilverbot für Bettelei. Untersagt wurde Bitten um Almosen nicht generell, sondern nur bestimmte Formen, wie aggressives oder gewerbsmäßiges Betteln.

„Schon früher wollte man die Armut nicht sehen“, sagt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak. „Noch heute findet man in noblen Altbauhäusern die alten Betteln-verboten-Schilder“, sagt sie. Diejenigen, die Gewalt ausüben und diskriminieren, seien oft Gruppen, die selbst Gewalt erlebt hätten, erklärt Ehmayer-Rosinak. Und so was nehme in Zeiten der Krisen, der Teuerung, Corona und Krieg zu. Die Gesellschaft radikalisiere sich ihrer Meinung nach, das sei im öffentlichen Raum sichtbar.

Die Stadt arbeitet mit sozialarbeiterischen Maßnahmen (Mobile Soziale Arbeit, FairPlay-Teams) dagegen.

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