Geschworene scheuten Nazi-Prozess

Geschworene scheuten Nazi-Prozess
22 Laienrichter waren geladen. 15 kamen nicht und ließen den Prozess gegen Gottfried Küssel platzen.

Kann dieser übergewichtige Mann mit Hamsterbacken tatsächlich (noch) jemandem Angst einflößen? So sehr, dass man sich nicht traut, über ihn, gegen ihn zu urteilen? Weil der 53-Jährige in der Neonazi-Szene nach wie vor die Fäden zieht?

Der Richter, der 1993 im ersten Geschworenenprozess gegen Gottfried Küssel das Urteil (elf Jahre Haft) verkündet hatte, stand auf einer Todesliste. Er und der Staatsanwalt bekamen Drohbriefe. Damals machte auch eine Liste mit den Namen der Geschworenen die Runde, und die rechtsradikale Szene rief dazu auf, die Laienrichter mit Protestbriefen zu bombardieren. Als man einem Küssel-Komplizen – der für die von diesem gegründete „VAPO“ (Volkstreue Außerparlamentarische Opposition) tätig war – den Prozess machen wollte, platzte dieser, weil von elf geladenen Geschworenen nur fünf kamen.

Fast zwei Jahrzehnte später soll der bekennende Neonazi Gottfried Küssel neuerlich wegen NS-Wiederbetätigung auf die Anklagebank. Die Vorsitzende Martina Krainz hat am Montag vorsorglich 22 Geschworene geladen. Es erschienen – sieben. Zumindest acht müssten es sein. Fünf haben sich entschuldigt, zehn blieben ohne jegliche Meldung einfach fern. Auch vom Telefon – die Schriftführerin wählte die entsprechenden Nummern vergebens.

Der Prozess ist vorerst geplatzt. Die Richterin könnte Ordnungsstrafen verhängen, tut es aber nicht. Bis kommenden Montag muss sie versuchen, einige Prozess-Schwänzer aufzutreiben und doch noch ins Wiener Landesgericht zu bringen.

Spektakel

Der Auftakt am Montag war auch sonst ein unrühmliches Schauspiel. Niemand regelte den Einlass. Um 9.30 Uhr, dem angesetzten Verhandlungsbeginn, bahnte sich der aus der U-Haft vorgeführte Küssel mit seinen Bewachern einen Weg durch die wartenden Prozessbeteiligten und Zuschauer. Man stürmte den Verhandlungssaal, prallte an der verschlossenen Tür zurück, der ganze Pulk machte um sich rudernd kehrt. Chaos pur.

Auch dem Verteidiger wurde trotz (oder wegen?) seines signalgrünen Sakkos kein Einlass gewährt, während der Staatsanwalt längst im Saal saß.
Irgendjemand (vermutlich vom Verfassungsschutz) ohne sichtbare Legitimation herrschte nach Öffnen eines Flügels der doppelflügeligen Tür die Einströmenden an: „Der Erste, der mi anrempelt, geht als Letzter rein!“

In dem dreitägigen Prozess wird Küssel und zwei Mitangeklagten vorgeworfen, die rechtsextremistische Homepage www.alpen-donau.info eingerichtet sowie Betrieben und der Nazi-Szene ein Sprachrohr geboten zu haben. Küssel drohen diesmal bis 20 Jahre Haft.

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