Fünfzehnjähriger soll Zwölfjährige vergewaltigt haben: Freispruch

Auf der Anklagebank sitzt an diesem Dienstagmorgen im Saal 204 des Wiener Straflandesgerichts ein schmächtiger, dunkelblonder Jugendlicher. Er ist 16 Jahre alt, doch in seinem karierten Hemd und den viel zu großen Jeans wirkt er deutlich jünger. Die Hände liegen ineinander gefaltet vor ihm auf dem Tisch, wenn sie nicht gerade einen Kugelschreiber hin und her drehen. Umso größer wirkt der Kontrast zu den Delikten, die ihm vorgeworfen werden. Er soll zwischen September und November 2024 eine 12-jährige Mitschülerin erpresst, schwer verletzt und vergewaltigt haben.
Übergriff
„Es hat mit Schulhofbullying begonnen und hat sich zu wirklich schwerwiegenden Verbrechen gesteigert. Wir haben es hier mit dem Terrorisierens eines zwölfjährigen Kindes zu tun“, fasst es die Staatsanwältin zusammen. Begonnen habe es mit zwei ausgeliehenen Euro, es sollen Gewaltandrohungen und weitere Gelforderungen gefolgt sein - insgesamt 100 Euro. Doch dabei blieb es nicht. Einmal soll der Jugendliche das Mädchen in den Schwitzkasten genommen haben, bis es einen Asthmaanfall bekam. Er habe ihr auch so stark auf das Ohr geschlagen, dass sie infolge eines Knalltraumas einen sechsprozentigen Gehörverlust erlitt.
Schließlich soll er das Mädchen eines Morgens im Oskar-Strauss-Park abgepasst und in die öffentliche WC-Anlage gezerrt haben, wo er die verängstigte Zwölfjährige zu sexuellen Handlungen nötigte. Mit einem vermeintlichen Video dieses Übergriffs soll er versucht haben, weitere sexuelle Handlungen zu erpressen. Anfang November vertraute sich das Mädchen seiner Mutter an, die den Fall daraufhin zur Anzeige brachte.
"Sie hat mich halt geliebt oder so"
Der Jugendliche stellt den Sachverhalt ganz anders dar. Die Zwölfjährige – laut Verteidigerin eine „notorische Lügnerin" – soll laufend Geld unter Mitschülern verteilt und im Gegenzug verlangt haben, dass diese dafür andere Mitschüler verprügeln. „Sie hat also Schlägereien finanziert“, fragt die Richterin nicht ganz überzeugt. Er selbst sei nie auf eine derartige Forderung eingegangen, habe sich immer nur das von dem Mädchen selbst angebotene Geld ausgeliehen und dann auch umgehend zurückgezahlt.
Auch den Kontakt zu ihr habe er abgebrochen und sie auf sozialen Plattformen blockiert – seiner eifersüchtigen Freundin zuliebe. „Und warum bietet sie Ihnen auch danach noch Geld an?“, wird der Jugendliche gefragt. „Ich weiß nicht, sie hat mich halt geliebt oder so“, erwidert er nuschelnd. Seine Großmutter seufzt immer wieder laut hörbar.
Er verstrickt sich laufend in Widersprüche. Er habe sich einmal zwei, einmal fünf und einmal 20 Euro geliehen. Insgesamt 40 Euro. Auf die Frage, wie sich das rechnerisch ausgehen könne: „Weiß nicht, vielleicht habe ich was vergessen.“
Widersprüche
Deutlich schwerwiegender sind die Auswertungen seines Handys. Ein IT-Sachverständiger konnte darauf gelöschte Screenshots von Snapchat-Unterhaltungen mit dem Mädchen finden, die eine eindeutige Sprache sprechen. „Kannst du morgen blasen? Geld und blasen und das Video ist weg.“ Er habe das nie geschrieben, das sei nicht sein Account. Auch das Absenden noch deutlich derberer Nachrichten bestritt er.
Wie konnten diese Screenshots der Unterhaltungen, die deckungsgleich mit den vom Mädchen vorgelegten Chats waren, auf seinem Handy erstellt worden sein, ohne dass er es gewesen sei? „Weiß nicht.“ – „Das ist jetzt schwer nachzuvollziehen“, sagt die Richterin.
Ja, es habe einen Erpressungsversuch mit einem Tiktok-Video gegeben, aber darauf sei nur zu sehen gewesen, wie das Mädchen rauche. Wieso sollte man jemanden mit einem Video erpressen, das öffentlich zugänglich ist? „Es gab noch ein Video, da hat sie auch vor der Schule geraucht, das haben mir Freunde geschickt.“ Dieses ominöse und bis dahin nie erwähnte Video sei bei der Auswertung seines Handys aber nicht gefunden worden.
Verdächtig scheint den Vorsitzenden auch, dass der Jugendliche Snapchat von seinem Handy löschte, kurz bevor die Polizei es konfiszierte. „Vielleicht war das meine Oma, weil sie mir vielleicht Handyverbot gegeben hat.“ – „Was heißt vielleicht?“ – „Na, das ist ja urlang her.“ – „Sie sind halt nicht glaubwürdig.“
Plädoyer und Urteil
Bei der kontradiktorischen Vernehmung des Opfers und der Befragung einer minderjährigen Zeugin wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
"Das Verfahren hat eindeutig ergeben, dass es so war, wie von dem Mädchen geschildert. Sie hat sich das nicht ausgedacht, sie hat es erlebt. Sie ist verletzt und der Angeklagte ist dafür verantwortlich", sagt die Staatsanwältin in ihrem Abschlussplädoyer. Die Behauptung, die gezeigten Snapchat-Unterhaltungen stammen nicht von seinem Account, sei "völlig absurd". Der Erpressung habe sich ihr Mandant geständig gezeigt, so die Verteidigerin, den Vorwurf der Vergewaltigung werde man aber nicht auf ihm sitzen lassen.
Im Kern der Anklage - der mutmaßlichen Vergewaltigung – wurde der 16-Jährige freigesprochen. Schuldig befunden wurde er nur wegen Erpressung in Verbindung mit gefährlicher Drohung. Dafür erhielt er sechs Monate bedingt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Eine dreijährige Probezeit, Bewährungshilfe und eine Psychotherapie wurden angeordnet. Der Strafrahmen beträgt 30 Monate - als mildernd wurden die Unbescholtenheit des Angeklagten und der Umstand, dass es bei einem Erpressungsversuch geblieben war, gewertet.
Freispruch von anderen Vorwürfen
Für das Urteil hatten sich die Mitglieder des Schöffensenats fast eine Stunde Zeit gelassen. Man habe die Aussage des Opfers genau analysiert. Manches sei schwer nachzuvollziehen und nicht in Einklang mit den Aussagen einer Zeugin und des Angeklagten zu bringen gewesen, führte die vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung aus. Insgesamt hätte es zu viele Widersprüche gegeben, weshalb der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde.
Ebenfalls nicht geklärt werden konnte die Herkunft der Verletzungen der Zwölfjährigen. Auch hier gab es einen Freispruch für den 16-Jährigen.
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