Flüchtlinge: "Bis November keine Änderung in Sicht "
Das gegenwärtige Ausmaß der Flüchtlingskrise in Europa wird sich nach Einschätzung des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) frühestens im November abschwächen. "Bis Ende Oktober ist keine Änderung zu erwarten", sagte Europa-Direktor Vincent Cochetel am Dienstag in Budapest.
Allein in den nächsten zehn Tagen sei mit 42.000 weiteren Flüchtlingen auf der Balkan-Route über Griechenland, Serbien und die Türkei zu rechnen. In Griechenland seien zurzeit 30.000 Menschen unterwegs, in Mazedonien 7.000. Von den nach Europa flüchtenden Menschen kommen nach UNHCR-Angaben 85 Prozent aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.
"Wir sind überzeugt, dass sich das Problem managen lässt", sagte Cochetel. Allerdings werde eine Lösung dadurch erschwert, dass es kein Vertrauen unter den europäischen Staaten gebe. "Diese Krise lässt sich nicht allein von Deutschland lösen", mahnte Cochetel.
Die meisten der über die Balkan-Route in die EU kommenden Menschen sind nach Einschätzung des UNHCR Flüchtlinge und haben damit ein Recht auf Asyl. Seit Jänner seien mehr als 150.000 Menschen nach Ungarn gekommen. Die meisten kämen aus Syrien, Afghanistan und Irak. Cochetel sagte, rund 85 Prozent der Ankommenden seien Flüchtlinge und keine Wirtschaftsmigranten, und widersprach damit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban
Freie Fahrt durch Österreich
Der Flüchtlingsstrom durch Österreich kann zumindest per Zug fürs Erste weitergehen. Aus Ungarn kommende Verbindungen werden weiter nicht nach Asylsuchenden kontrolliert, wurde am Dienstag bekanntgeben. Unverändert versuchen tausende Flüchtlinge vor allem aus Syrien, mit der Eisenbahn Westeuropa zu erreichen.
7.000 Flüchtlinge sind von Montag früh bis Dienstag früh durch Wien gereist. So gut wie alle sind laut Polizeiangaben weitergefahren. Am späten Vormittag befanden sich Maierhofer zufolge ständig etwa 400 bis 500 Flüchtlinge am Westbahnhof. "Die Fluktuation ist sehr hoch. Ständig kommen Züge mit weiteren Flüchtlingen an, ständig fahren wieder welche ab." Die Menschen wurden von 30 Polizisten betreut. Asylanträge gab es in den vergangenen 24 Stunden kaum: Bei 7.000 Flüchtlingen wurden im gesamten Stadtgebiet 66 derartige Anträge gestellt.
2500 Asylsuchende in Zelten
Dass das österreichische Asylwesen von der Öffnung der Grenze nicht allzu sehr tangiert wird, zeigen aktuelle Zahlen des Innenministeriums. Von Freitag bis Montag wurden 731 Anträge gestellt, 183 im Tageschnitt. Das ist deutlich weniger als in den Wochen davor, als bis zu 300 Ansuchen einkamen. Allzu viele Kapazitäten hätte Österreich derzeit ohnehin nicht, die Flüchtlinge unterzubringen. Obwohl sich die Temperaturen in der Nacht langsam in Richtung Gefrierpunkt bewegen, haben weiter 150 Flüchtlinge in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen kein Dach über dem Kopf. Zudem müssen rund 2500 Asylsuchende an diversen Standorten in Zelten ausharren.
Indes hat am Dienstag ein von den ÖBB kurzfristig eingerichteter Sonderzug mehreren 100 Flüchtlingen die Reise vom Wiener Westbahnhof über Salzburg nach Deutschland ermöglicht. Die Zahl der in München ankommenden Flüchtlinge gehe zeitgleich deutlich zurück. Am Dienstag kamen bis zum frühen Nachmittag rund 1.300 Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof an.
Im Raum Nickelsdorf (Bezirk Neusiedl am See) war die Lage in Sachen Flüchtlinge am Dienstag nach Angaben von Polizei und Rotem Kreuz weiter ruhig. Bei Kontrollen im grenznahen Bereich wurden zwei Schlepper festgenommen.
Quartiere am Stephansplatz
Kardinal Christoph Schönborn setzt indessen seine Ankündigung um, direkt am Stephansplatz Flüchtlinge unterzubringen. Es sollen Amtsräumlichkeiten der Kirche für zwei Familien geöffnet werden, berichtet die "Presse". Außerdem wird die Erzdiözese Wien rund 10.000 Briefe an Pfarrer, Caritas-Referenten und Pfarrgemeinderäte mit einem Aufruf zum Engagement in der Flüchtlingshilfe verschicken.
Bilder: Kalte Nacht am Hauptbahnhof
Die Temperaturen rücken in der Nacht langsam in Richtung Gefrierpunkt und dennoch müssen mehr als 2.500 Flüchtlinge in Österreich mangels Alternativen in Zelten ausharren. Noch schlimmer hat es jene erwischt, die nicht einmal ein Dach über den Kopf haben. In Traiskirchen sind weiter 150 Flüchtlinge obdachlos.
3.800 Personen befinden sich in der größten Bundesbetreuungsstelle des Landes bzw. am angrenzenden Areal der Polizei-Akademie. Nur für gut 2.100 gibt es Schlafplätze. 1.500 sind in Zelten untergebracht, der Rest muss sich unter freiem Himmel durchschlagen.
Traiskirchen ist aber bei weitem nicht die einzige noch bestehende Zeltstadt. 240 Flüchtlinge sind derart in der Kärntner Gemeinde Althofen untergebracht, jeweils 230 auf einem Polizeigelände sowie in der Schwarzenberg-Kaserne jeweils in Salzburg. Dazu kommen noch 200 Zeltplätze in Krumpendorf und 150 in Eisenstadt.
Lange noch nicht so weit ist man seitens des Bundes mit der Aufstellung von Containern. Neben dem Verteilerzentrum in Innsbruck stehen derzeit bloß Containerdörfer in Mondsee und Ohlsdorf. In Linz-Hörsching ist ein weiteres im Entstehen.
Freilich dürfte sich mit Oktober, wenn das neue Durchgriffsrecht des Bundes Gesetz wird, hier einiges ändern. Erstens dürften noch weit mehr Container als bisher errichtet werden. Zweitens würde sich dem Bund die Möglichkeit bieten, z.B. größere (ehemalige) Hotels anzumieten, um dort entsprechende Kapazitäten zu schaffen, wenn die Unterbringung in Zelten aus Temperatur-Gründen endgültig unmöglich ist. Bei der Erfüllung der Quoten tun sich die Länder weiter schwer. Derzeit positivste Ausnahme ist Vorarlberg, das sogar ohne Bundesquartiere die 100-Prozent-Vorgabe erfüllt.
Das Theater in der Josefstadt geht bei der Flüchtlingshilfe in Vorlage: Direktion, Betriebsräte und Ensemblevertreter haben den Hilfsverein "Wir Josefstadttheater" gegründet. Dieser will zwei syrischen Flüchtlingsfamilien dadurch einen Neuanfang in Wien ermöglichen, dass möblierte Wohnungen, vorerst für ein Jahr, zur Verfügung gestellt werden und die Josefstadt-Kantine die Versorgung übernimmt.
Auch will sich der Verein um organisatorische Dinge wie Deutschunterricht oder Hilfe bei Behördenwegen kümmern. Subventionen würden in dieses Vorhaben nicht fließen, wurde versichert. Man finanziere sich gänzlich aus Spenden der Mitarbeiter und Freunde des Hauses. "Wir freuen uns auf den Austausch mit den uns anvertrauten Menschen und darauf, dass wir ihren Weg in unsere Gesellschaft umfassend begleiten können", hieß am Dienstag in einer Aussendung der Josefstadt.
Dazu werden auch Sachspenden gesammelt. Am 4. Oktober startet überdies eine neue Gesprächsreihe unter dem Titel "Zeitpunkt Josefstadt", in deren Rahmen gleich zum Auftakt unter Moderation von Corinna Milborn Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) mit der Autorin Barbara Frischmuth über das Thema "Fremd oder nicht fremd" diskutiert. Und Hilde Dalik setzt derzeit auf der Probebühne der Josefstadt ein Flüchtlingstheaterprojekt um.
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