Fall Aliyev: Auch Gefängnisarzt spricht von Mord

Aliyev wurde 2015 tot in Zelle gefunden
Ehemaliger Anstaltspsychiater beschuldigt Wachebeamten, Ex-Botschafter in Zelle umgebracht zu haben. Und es gibt weitere Ungereimtheiten.

Nach einem deutschen Gerichtsmediziner erhebt nun auch ein ehemaliger Gefängnisarzt im Kriminalfall Aliyev Mordverdacht. Der Psychiater Stefan Z. bezichtigt ganz konkret einen Justizwachebeamten, den kasachischen Ex-Botschafter in der Nacht auf den 24. Februar 2015 in dessen Zelle umgebracht zu haben.

Er habe mit seinem Patienten Rakhat Aliyev mehrmals Schach gespielt und in ihm "keine suizidgeneigte Persönlichkeit" gesehen, wie der Arzt am Donnerstag im ORF-Morgenjournal bekundete.

Manipulation?

Dem KURIER gegenüber präzisierte der 47-Jährige, weshalb er den Justizwachebeamten für den Mörder hält: "Weil er als Einziger in der Nacht Zugang hatte. Es war nur noch eine Nachtschwester im Dienst, die aber immer schläft." Den Einwand, die elektronischen Aufzeichnungen beim Schließmechanismus der Zellentür und das Video der Überwachungskamera würden keinen Zutritt in der Nacht aufzeigen, lässt Dr. Z. (der laut Eigendefinition im Kontakt mit Behörden besachwaltet ist, weil er dem LKA Wien zu lästig gefallen sei) nicht gelten: Der Beamte hätte die veraltete Technik ganz leicht manipulieren können.

Fall Aliyev: Auch Gefängnisarzt spricht von Mord
Fototermin mit Dr. Stefan Lechner, Psychiater von Rakhat Aliyev, am 15.12.2016 in Wien
Kriminaltechnische Untersuchungen schließen das allerdings aus. Und laut Justizministerium patrouillieren durch die Krankenabteilung der Justizanstalt Josefstadt vor Mitternacht zwei Beamte. Nach Mitternacht kommt ein dritter Beamter in den Dienst, dieser bleibt dann allerdings für den Rest der Nacht allein vor Ort.

Aus der Auswertung des Laptops von Aliyev (den der Häftling laut dem Arzt bekommen habe, weil er "alle geschmiert" haben soll) ergibt sich: Aliyev hat am 24. Februar 2015 nach Mitternacht noch eine Nachricht verfasst, muss also zu der Zeit noch gelebt haben.

Psychiater Stefan Z. sagt, er habe es nach Aliyevs Tod nicht ausgehalten, bei Morgenbesprechungen des Gefängnispersonals ständig neben dem Justizwachebeamten zu sitzen, den er für den Mörder hält. Deshalb sei er im Einvernehmen aus dem Justizdienst ausgeschieden.

Schon damals habe er seinen Verdacht geäußert, seither werde er bedroht. Zwei Männer hätten ihn bis in die Schule seiner Kinder verfolgt. Und jemand habe auf ihn geschossen, als er mit seinem Scooter unterwegs gewesen sei, aber nur eine Cola-Dose getroffen, die er mit sich geführt habe. "Das klingt nach einem Krimi, wenn ich mir selber so zuhöre", erkennt der Arzt im KURIER-Gespräch selbst: "Aber ich habe im Gefängnis mit geistig abnormen Tätern gearbeitet, ich erkenne Kriminelle schnell."

Im Fall Aliyev gibt es noch weitere Rätsel: Die Obduktion der Leiche durch den Wiener Gerichtsmediziner Daniele Risser – Ergebnis: Suizid – wurde in St. Gallen neun Tage danach wiederholt und bestätigt. Laut Schweizer Tagesanzeiger lagen dort die in Wien nach Aliyevs Tod angefertigten Fotos der Leiche nicht vor. Gerade daraus leitet aber das von den Anwälten der Witwe AliyevsManfred und Klaus Ainedter – in Auftrag gegebene Privatgutachten (Stauungsblutungen am Oberkörper) nun ab, der Häftling sei "durch fremde Hand" erstickt worden.

Üblicherweise bekomme der zweite Sachverständige von seinem Vorgänger alle Unterlagen, die bis dahin gesammelt wurden, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Nina Bussek. Ob Daniele Risser die Fotos an den Schweizer Kollegen weitergeleitet hat bzw. warum nicht, lässt die Staatsanwältin überprüfen. Risser hat sich bis jetzt nicht geäußert.

Eine Expertenkommission unter Vorsitz des ehemaligen Generalprokurators Ernst Eugen Fabrizy befand in einem dem KURIER vorliegenden Bericht die Ermittlungen rund um Aliyevs Tod für korrekt und lässt am festgestellten Suizid keine Zweifel. Was in dem Bericht allerdings nicht vermerkt ist, ist der lockere Umgang mit dem Tatort.

Siegel am Boden

Wie der zuständige Abteilungskommandant in der Justizanstalt in einem Protokoll festhielt, hatte sich die von der Polizei nach Auffinden der Leiche Aliyevs an der Zellentür angebrachte Versiegelung offenbar "von selbst gelöst und lag auf dem Boden".

Die Kriminalbeamten nahmen das zur Kenntnis, setzten die Spurensicherung am nächsten Tag fort, brachten aber kein Siegel mehr an. Der Abteilungskommandant heftete in Eigenregie einen Zettel an die Zellentür, dass der Zutritt untersagt ist. Zwei Tage nach Aliyevs Tod am 26. Februar wurde das Türschloss zur Untersuchung ausgebaut, ein neues eingebaut und die Tür wieder ohne Siegel verschlossen.

In der Folge betraten noch mehrere Beamte die Zelle, auch ein Filmteam des ORF bekam Zutritt, erst danach (am 1. März) zogen Kriminalbeamte noch verschiedene Proben im Haftraum.Das alles ist deshalb von Bedeutung, weil ein von den Anwälten Ainedter präsentierter Zeuge über Unregelmäßigkeiten rund um das Türschloss berichtete. Der ehemalige Zellennachbar von Aliyev äußert ebenfalls Mordverdacht.

2002: Rakhat Aliyev, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putsch-Gerüchten als kasachischer Botschafter nach Österreich geschickt.

2005: Aliyev kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.

31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rakhat Aliyev.

9. Februar 2007: Aliyev wird wieder als Botschafter nach Österreich geschickt.

23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Aliyev wegen der Entführung der beiden Bankmanager.

26. Mai 2007: Aliyev wird als Botschafter abgesetzt. Nasarbajew-Tochter Dariga reicht die Scheidung ein.

28. Mai 2007: Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Aliyev.

30. Mai 2007: Auslieferungsantrag der kasachischen Justiz an Österreich.

1. Juni 2007: Aliyev wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in Haft genommen.

4. Juni 2007: In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" erklärt Aliyev, dass das Vorgehen der kasachischen Justiz politisch motiviert sei.

8. August 2007: Österreich lehnt ein kasachisches Auslieferungsbegehren für Aliyev ab, weil er kein faires Verfahren erwarten könne.

17. Jänner 2008: Kasachstan verurteilt Aliyev in Abwesenheit wegen der Entführung der Bankmanager zu 20 Jahren Haft und stellt einen weiteren Auslieferungsantrag an Österreich. Im März wird auch Ex-Geheimdienstschef Alnur M. zu 20 Jahren Straflager verurteilt.

Juli-September 2008: Drei gescheiterte Entführungsversuche gegen M. und den Aliyev-Vertrauten Vadim K. gehen in Wien über die Bühne.

29. Jänner 2009: Ein Wiener Polizist, der Daten an den mutmaßlichen kasachischen Spion Ildar A. weitergegeben hatte, wird wegen Amtsmissbrauchs zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Ildar A. ist bereits in U-Haft.

10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst habe auch Abgeordnete beeinflusst, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bestätigt.

18. Jänner 2010: Der mutmaßliche kasachische Spion Ildar A. wird in einem Prozess um die Entführungen von einem Wiener Gericht freigesprochen.

Dezember 2010: Bundespräsident Heinz Fischer besucht Kasachstan, nachdem er zwei Jahre davor eine Visite kurzfristig abgesagt hatte.

30. Jänner 2011: Laut dem ZDF ermittelt die deutsche Justiz wegen Geldwäsche gegen Aliyev. Eine zentrale Rolle soll dabei ein Metallbetrieb in Nordrhein-Westfalen gespielt haben.

Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) revidiert seine Spruchpraxis und erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland. Juristen sehen damit die österreichische Justiz im Fall Aliyev in Zugzwang.

18. Mai 2011: Aus dem Entführungsfall wird ein Mordfall: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Aliyevs in Kasachstan werden die Leichen der beiden verschwundenen Nurbank-Manager gefunden. Gerichtsmedizinern der Berliner Charite gelingt die Identifizierung der in Kalkfässer gesteckten Leichen. Aliyev spricht von durch den kasachischen Geheimdienst manipulierten Beweisen.

6. Juni 2011: Anwalt Lansky wirft den österreichischen Behörden vor, sich als Fluchthelfer für Aliyev und seine vier mutmaßlichen Mittäter zu verdingen. Aliyev ist eigenen Angaben zufolge schon seit zwei Jahren nicht mehr in Österreich.

16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans im Fall Aliyev ab.

Juli 2011: Die österreichische Behörden beginnen Ermittlungen gegen Aliyev wegen Mord- und wegen Geldwäschevorwürfen. Aliyev soll sich inzwischen in Malta aufhalten und vorübergehend den Namen seiner Frau, Shoraz, angenommen haben.

März 2013: Aliyev alias Shoraz erhebt in seinem neu erschienen Buch "Tatort Österreich" erneut Vorwürfe gegen österreichische Politiker. Als "Helfershelfer" Kasachstans werden Ex-Innenminister Karl Blecha (SPÖ) und sein Parteikollege, Ex-Parlamentarier Anton Gaal, aber auch Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner genannt.

1. Juni 2013: Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) wird verdächtigt, das kasachische Regime mit vertraulichen Dokumenten im Fall Aliyev versorgt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittle sowohl gegen Gusenbauer als auch gegen den Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeiten, berichtet das Nachrichtenmagazin "profil".

14. Juni 2013: Malta friert das Vermögen Aliyevs einem Medienbericht zufolge wegen Geldwäscheverdachts ein.

1. November 2013: Aliyev wird der österreichische Fremdenpass entzogen.

März 2014: Die Ermittlungen gegen Ex-Bundeskanzler Gusenbauer wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeiten werden eingestellt.

10. April 2014: Aliyev-Gegner werfen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) vor, "ein Mittäter, ein Assistent von Rakhat Aliyev" gewesen zu sein. Brandstetter weist die Vorwürfe zurück.

19. Mai 2014: Die Staatsanwaltschaft Wien erlässt einen Haftbefehl gegen Aliyev.

6. Juni 2014: Aliyev wird am Wiener Flughafen festgenommen. Seinem Anwalt Manfred Ainedter zufolge habe sich Aliyev "freiwillig" gestellt. Der früher kasachische Vizeaußenminister kommt in U-Haft.

16. Juni 2014: Opferanwälte präsentieren ein schriftliches Geständnis Aliyevs, das bei einer Hausdurchsuchung kasachischen Ex-Geheimdienstchefs M. gefunden worden sei. Laut der Staatsanwaltschaft Wien handelt es sich um eine Fälschung.

28. Oktober 2014: Das Oberlandesgericht Wien bezeichnet den Verein "Tagdyr" der Witwen der ermordeten Bankmanager für ein Tarnorganisation des kasachischen Geheimdienst. "Tagdyr" soll der Wiener Anwaltskanzlei Lansky zwischen 2009 und 2012 mehr als 14 Millionen Euro gezahlt haben, um gegen Aliyev vorzugehen. Lansky weist dies zurück.

31. Oktober 2014: Die Staatsanwaltschaft Wien plant eine Anklage gegen Aliyev wegen Doppelmords.

1. Dezember 2014: Der Aliyev-Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft liegt im Justizministerium und wird dort dem Weisenrat vorgelegt.

4. Dezember 2014: Eine PR-Agentur ließ einem Bericht des Magazins "Datum" zufolge jahrelang Negativpostings im Internet gegen Aliyev verfassen. Dies geschah demnach im Auftrag der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger und Partner.

30. Dezember 2014: Die erwartete Mordanklage gegen Aliyev wird eingebracht, der Schwurprozess gegen Aliyev, M. und K. soll Ende März starten.

24. Februar 2015: Aliyev wird tot in seiner Einzellzelle in der Justizanstalt Josefstadt aufgefunden. Nach Justizangaben erhängte sich der 52-Jährige dort mit Mullbinden an einem Kleiderhaken. Seine Anwälte zweifeln an dem Suizid des Ex-Diplomaten.

26. Februar 2015: Nach der Obduktion, bei der kein Hinweis auf Fremdverschulden gefunden wird, wird die Leiche von Aliyev vorerst nicht freigegeben. Das rechtsmedizinische Institut St. Gallen wird mit weiteren gerichtsmedizinischen Untersuchungen betraut.

31. März 2015: Ein pensionierter Sektionschef im Justizministerium soll versucht haben, entgeltlich für die Kanzlei Lansky Insiderwissen aus dem Ressort "abzusaugen". Der Betroffene und Lansky versichern, es habe sich dabei um kein ungesetzliches Vorgehen gehandelt.

14. April 2015: Im Wiener Straflandesgericht wird der Prozess gegen die verbliebenen Angeklagten eröffnet. M. und K. bestreiten jegliche Beteiligung an der Entführung und Tötung der kasachischen Banker und behaupten, die Beweise gegen sie wären im Nachhinein "konstruiert" worden.

29. April 2015: M. und K. werden vom Gericht wegen Wegfalls des dringenden Tatverdachts auf freien Fuß gesetzt. Ein Proteststurm der Privatbeteiligten-Vertreter sowie des Repräsentanten der kasachischen Generalstaatsanwaltschaft in Wien sind die Folge.

8. Juni 2015: Die Angeklagten werden wieder in U-Haft genommen. Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) gibt einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge. Der dringende Tatverdacht sei weiters gegeben, heißt es.

12. Juni 2015: Das gerichtsmedizinische Gutachten aus der Schweiz trifft bei der Wiener Justiz ein. Auch die Experten in St. Gallen finden keine Indizien, dass Aliyev von fremder Hand getötet worden wäre.

10. Juli 2015: M. und K. werden vom Vorwurf des Doppelmords freigesprochen. Der ehemalige KNB-Chef wird darüber hinaus gehend auch von sämtlichen weiteren, ihn betreffenden Anklagepunkten freigesprochen. K. erhält wegen Beteiligung an der Entführung und Gefangennahme der Banker zwei Jahre teilbedingt. Aliyevs Witwe wertet den Ausgang des Strafverfahrens als "posthumen Freispruch" für ihren Mann. Opfer-Vertreter Lansky sieht dagegen den "Kern der Anklage" bestätigt.

September 2016: Der Oberste Gerichtshof bestätigt die Entscheidungen des Wiener Straflandesgerichtes.

23. November 2016: Das Wiener Oberlandesgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil gegen Vadik K.

12. Dezember 2016: Die Anwälte Aliyevs, Manfred und Klaus Ainedter, präsentieren in Wien ein Privatgutachten des deutschen Rechtsmediziners Bernd Brinkmann, wonach Aliyev keinen Selbstmord verübt haben kann. Er habe sich nicht erhängt, sondern sei von einer Person niedergedrückt und durch Zudrücken von Mund und Nase erstickt worden ("Burking"). Die Staatsanwaltschaft Wien fordert daraufhin dem Schweizer Gerichtsgutachter eine Stellungnahme an, die bis Jahresende eintreffen soll (mehr dazu hier).

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