"Es wird immer enger": Wie die Neos um die Unternehmer kämpfen
Die Corona-Hilfen für die heimischen Betriebe sorgen auch mehr als ein halbes Jahr nach Auftreten der Pandemie für Unzufriedenheit. Zu bürokratisch, zu langsam, zu wenig treffsicher seien die Hilfspakete der Bundesregierung, kritisieren vor allem die Neos. Zusätzlich mache die Stadt den Unternehmen das Leben mit überbordender Bürokratie und Bagatellsteuern schwer.
Hauptziel der Attacken bleibt aber die ÖVP. Was auf der Hand liegt, ist der türkise Wiener Spitzenkandidat Gernot Blümel doch gleichzeitig als Finanzminister für die stockenden Hilfszahlungen politisch verantwortlich.
Lohnender Kampf
Und so wittern die Liberalen ihre Chance, der Volkspartei die Wirtschaftstreibenden abspenstig zu machen. 140.000 gibt es in der Stadt, das sind immerhin 12,5 Prozent der Wahlberechtigten.
Ob in Aussendungen, Pressekonferenzen oder den TV-Wahlduellen, die Botschaft ist dabei immer dieselbe: „Wirtschaft geht besser“.
Der Kern der Kritik: Die Bundesregierung kümmere sich nur um die Großindustriellen, die ÖVP-Spender. Die Klein- und Mittelbetriebe, das viel zitierte Rückgrat der heimischen Wirtschaft, würden hingegen im Stich gelassen.
Um diesen Vorwurf zu untermauern, luden die Neos-Wirtschaftssprecher in Bund und Stadt, Sepp Schellhorn und Markus Ornig, den KURIER auf eine Wahlkampftour zu fünf Wiener Betrieben ein.
Deren konkrete Probleme unterschieden sich, je nach Branche, teils deutlich (siehe unten). Doch der Tenor war stets derselbe: „Es wird immer enger.“
In der Eventagentur und im Fitnessstudio, weil das Anbieten ihrer Dienstleistungen aufgrund der Corona-Einschränkungen nur sehr eingeschränkt möglich sei. In der Gastronomie, weil die Menschen wegen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Homeoffice und genereller Verunsicherung viel weniger ausgehen.
Mangelnde Unterstützung
Allen gemein ist jedoch, dass sie von den versprochenen Hilfen ihrer Meinung nach zu wenig sehen. So bekommt das Café „Vollpension“ etwa wegen zu geringen Eigenkapitals keinen staatlich besicherten Überbrückungskredit. Dieses Kapital fehlt laut Co-Geschäftsführer Moriz Piffl jedoch nur wegen hoher Investitionen im Vorjahr.
Den Betrieben werde „gerade jetzt in der Corona-Zeit die Luft zum Atmen genommen“, lautet Schellhorns Fazit am Ende der Tour. "Neben überbordender Bürokratie, wegbrechenden Einnahmen kommen auch die von der Bundesregierung versprochenen Unterstützungen nicht oder nur viel zu spät an."
Doch auch die Stadt wollen die Neos nicht aus der Pflicht lassen. „Wenn man merkt, dass die Förderungen auf Bundesebene nicht funktionieren, muss man eben reagieren“, sagt Ornig. Fördern könne man auch über Entlastung, etwa die Aussetzung von Bagatellsteuern wie der Schanigartengebühr, der Luftsteuer oder der U-Bahn-Steuer. Hier müsse die Stadt ansetzen und "so zielgerecht fördern, dass es auch hilft und keine Gutscheinpolitik machen. Weil Gutscheinpolitik ersetzt halt keine Wirtschaftspolitik."
Erste Station: Die Eventagentur
Für Veranstalter ist es im wahrsten Sinn des Jahres ein Seuchenjahr. Das müsste aber nicht so sein, zumindest nicht in dieser Härte, meint Maryam Yeganehfar, die im zweiten Bezirk die „Yamyam Event Produktion“ betreibt. Es gebe keinen von einer professionell organisierten Veranstaltung ausgehenden Cluster, dennoch werde „die ganze Branche stigmatisiert“, kritisiert die Unternehmerin.
Mit Partys hat sie wenig zu tun, Yeganehfar ist auf Firmen-Veranstaltungen spezialisiert. Um diese sicher planen und durchführen zu können, hat sie eine Zusatzausbildung absolviert, kann jetzt Corona-Konzepte erstellen – bekommt aber nicht die Möglichkeit, diese auch umzusetzen. Und das teils ohne Not, denn viele Events würden nur aus Angst vor Negativpresse abgesagt, sollte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen etwas passieren, erzählt sie.
Das sei klarerweise „fatal“ für die Branche, deren Größe man nicht unterschätzen sollte: „Auch die ganzen Zulieferer leiden darunter, da hängt ein ganzer Rattenschwanz daran“, gibt Yeganehfar zu bedenken.
Dass die Eventbranche aber nicht zwingend im Stillstand verharren müsste, zeigten Beispiele wie die Filmfestspiele in Venedig: „Dort gibt es Respekt und Akzeptanz für die Branche, daher ist in einem gewissen Rahmen alles möglich“, blickt die Veranstalterin neidvoll gen Italien.
Zweite Station: Das Sozialunternehmen
Einbrechende Umsätze und dennoch kaum Hilfe – bei der Vollpension auf der Wieden wird es „immer enger“, berichtet Co-Geschäftsführer Moriz Piffl. Das hochgelobte Sozial-Gastronomieprojekt, in dem Seniorinnen und Senioren Kuchen backen und sich damit ihre Pension aufbessern, hat trotz eines erfolgreichen Crowdfundings und der Umstellung auf ein neues Bezahlmodell (abgerechnet wird jetzt nach im Café verbrachter Zeit und nicht mehr nach einzelnen Bestellungen) mittlerweile sieben Monate Überlebenskampf hinter sich.
Das Hauptproblem: Wegen der Eröffnung eines neuen Standorts und damit verbundener großer Investitionen im Vorjahr verfügt die Vollpension nicht über die für einen staatlich besicherten Überbrückungskredit nötige Eigenkapitalquote. „Dabei haben wir seit 2015 590.000 Euro an Lohnabgaben bezahlt“, kritisiert Piffl die Anwendung der Basel-Kriterien auf die Kreditvergabe.
Zusätzlich vermisst der Gastronom Ehrlichkeit, Transparenz – und Planbarkeit: „Es ist logisch, dass nicht alles im ersten Wurf gelingt. Aber wir schauen nach wie vor alle 14 Tage, wo wir stehen und ob wir zumachen.“ Eine „systemische Belastung für das ganze Team“ sei dieser Zustand.
Dritte Station: Das Fischrestaurant
Mangelnde Planbarkeit ist auch in den Augen von Sezai Özyer eine der größten Herausforderungen: „Noch können wir gerade so die Rechnungen zahlen, aber wir wissen auch nicht, wie es weitergeht, ob weitere Einschränkungen kommen.“
Özyer betreibt "Sezais Fisch(t)raum" am Viktor-Adler-Markt und kämpft wie alle Gastronomen mit einbrechenden Umsätzen. Die meisten seiner Gäste sind Büroangestellte, die jetzt großteils arbeitslos, in Kurzarbeit oder zumindest im Homeoffice, in jedem Fall aber nicht da sind. „Den Leuten fehlt einfach das Geld, essen zu gehen“, sagt der früherer Touristiker.
Zusätzlich hadert Özyer mit bürokratischen Vorgaben. Eine Hälfte seines Gastgartens befindet sich auf Marktgebiet, die andere auf öffentlichem Grund, mit unterschiedlichen behördlichen Zuständigkeiten (Marktamt bzw. Magistrat). Das Ergebnis: Will er einen Tisch von der einen auf die andere Seite stellen, etwa um die Abstände zwischen den Gästen zu vergrößern, muss er das neu beantragen.
Und auch die seit 2018 geltenden, neuen Kernöffnungszeiten sind Özyer ein Dorn im Auge. „Ich muss Samstag um 8 Uhr aufsperren. Aber wer geht in der Früh Fisch essen?“ Dafür dürfe er an Sonn- und Feiertagen nicht offen halten, die Restaurants auf der anderen Straßenseite, die sich nicht auf Marktgebiet befinden, jedoch sehr wohl. „Warum haben wir nicht die Wahl? Diese Möglichkeit sollte es geben“, fordert der Gastronom.
Vierte Station: Der Foodtruck
Wie Fischrestaurantbetreiber Özyer kämpft auch Matthias Kroisz mit dem Einbruch des Mittagsgeschäfts. Seine „Wrapstars“-Foodtrucks stehen üblicherweise an belebten Büro-Standorten; steigende Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Homeoffice ließen die Umsätze um über 80 Prozent einbrechen. Auch über die Catering-Schiene kommt mangels Events nichts mehr herein. Und wie Özyer kämpft auch Kroisz mit der Bürokratie, nur an anderer Stelle.
Für zehn temporäre Standorte soll er jedes Jahr die volle Wirtschaftskammer-Grundumlage pro Standort bezahlen, jedes Jahr muss er darum kämpfen, diese Summe zu reduzieren. „Aber ich will eine gescheite Lösung, ich will nicht jedes Jahr betteln“, sagt Kroisz, „weil das ist ja lächerlich, dass ich wegen zweieinhalb Stunden pro Woche am Standort die volle Umlage zahlen soll“.
Neben den Foodtrucks betreibt Kroisz gemeinsam mit seinen Partnern auch noch die Coworking-Küche „Herd“ – und auch hier wird es zunehmend knapp. „Das nächste halbe Jahr wird entscheidend“, sagt Kroisz, die große Frage sei dabei: „Wieviele unserer Mieter überleben das?“
Hohe Fixkosten verschärfen das Problem, Antrag auf Fixkostenzuschuss wollte er bisher dennoch keinen einbringen. „Wir warten erst einmal ab, was da noch kommt, das ändert sich ja auch ständig“, klagt der Unternehmer. Mit dem Jahr 2020 hat er bereits abgeschlossen, jetzt wird auf 2021 gehofft.
Fünfte Station: Das Spinningstudio
Eine weitere, von der Corona-Krise hart getroffene Branche sind die Fitnessbetriebe. Gerade einmal zehn Personen dürfen aktuell an Fitnesskursen teilnehmen. Wie groß der Raum ist, spielt dabei keine Rolle – für Rhana Loudon unverständlich. „Andere Länder arbeiten mit Abstandsregeln, Österreich mit einer willkürlichen Zahl“, kritisiert die ehemalige Bankerin.
Mit einer Partnerin betreibt sie drei „Supercycle“-Spinningstudios und momentan zusätzlich ein Outdoor-Studio am Donaukanal. Das ist zwar seit dem Start gut gebucht und es sei auch „eigentlich total schön“, mitten in der Stadt draußen zu sporteln, sagt Loudon – doch mit den fallenden Temperaturen geht die Zeit des temporären Standorts langsam, aber sicher zu Ende.
Auch die drei Indoor-Studios sind in Betrieb, erzählt die Unternehmerin. Auszahlen würde sich das zwar nicht, aber so könne sie wenigstens das Team zusammenhalten. Belohnt wird das nicht. Während es für andere Branche Mehrwertsteuersenkungen oder Freitests für Mitarbeiter gibt, bleibt die Sportbranche bei staatlichen Hilfen außen vor. „Wir sind wahnsinnig eingeschränkt, aber für uns interessiert sich keiner“, sagt Loudon. „Wenn das so geplant ist – okay, dann ist das ein interessantes Signal. Aber aus Public-Health-Perspektive würde ich mir schon die Frage stellen, ob es so geschickt ist, den ganzen Sport in der Stadt abzudrehen.“
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